Newsnational Montag, 12.11.2012 |  Drucken

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Islamischer Friedenspreis für Romani Rose

Romani Rose, Präsident des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, wird mit dem diesjährigen Muhammad-Nafi-Tschelebi-Friedenspreis geehrt – 200 000 muslimische Roma wurden in KZ der SS ermordet - Laudatio hier exclusiv in voller Länge

Romani Rose wurde vom Zentralinstitut Islam Archiv Deutschland geehrt, weil er sich in herausragender Weise um die Erforschung des Schicksals auch der muslimischen Roma aus den Balkanländern bemüht habe, von denen etwa 200.000 in deutschen Konzentrationslagern von der SS ermordet worden seien. Zudem habe er dem Institut geholfen, auch das Schicksal der 80.000 von der SS ermordeten nordafrikanischen Muslime zu erforschen.

Die Laudatio auf Romani Rose hielt Wilhelm Solms, Vorsitzender der "Gesellschaft für Antiziganismusforschung" aus Marburg, deren gesamten Rede im unteren Link exklusiv nun nach zulesen ist.

Der Preis ist nach dem Syrer Muhammad Nafi Tschelebi benannt, der das Zentralinstitut 1927 in Berlin gründete. An der Preisverleihung in der DITIB-Moschee in Werl im Kreis Soest nahmen zahlreiche Vertreter aus dem gesellschaftlichen Leben, der Lokalpolitik und aller Religionsgemeinschaften  – darunter auch mit einem Grußwort der ZMD-Vorsitzender Aiman Mazyek -  teil.

Und sie (Muslime) verhinderten den Abtransport von Roma nach Auschwitz-Birkenau, indem sie sich auf die Gleise legten

Romani Rose wurde während der Veranstaltung mehrfach von den Rednern für seine Friedensbemühungen, sachliche Berichte über den Islam und die Förderung des Dialogs zwischen Juden, Christen und Muslimen gelobt. Unter den bisherigen Preisträgern gehören u.a. die Islamforscherin Annemarie Schimmel, die frühere Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John, der ehemalige Generalsekretär des Weltrates der Kirchen, Konrad Raiser und im letzten Jahr Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka.




Laudatio für Romani Rose zur Verleihung des Tschelebi-Friedenspreises - Von Prof. Dr. Wilhelm Solms

Vor 18 Tagen, bei der Eröffnung des Denkmals (islam.de berichteten, siehe unterer link. Anm. d. Red.)  „für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Europa“, sagte Romani Rose Folgendes:

„Als 1980 eine Gruppe von Sinti und Roma, darunter fünf Überlebende des Holocaust, im ehemaligen Konzentrationslager Dachau in einen Hungerstreik traten, um auf die Tatsache des Völkermordes und seine jahrzehntelange Verleugnung in der Bundesrepublik Deutschland aufmerksam zu machen, konnte sich niemand von uns vorstellen, dass es einmal ein solches Denkmal geben würde.“

In den mehr als dreißig Jahren, die darauf folgten, hat Romani Rose dies nicht nur sich vorgestellt, er hat unermüdlich dafür gekämpft und es nun endlich erreicht. Er hat damit erreicht, wie die nationale und internationale Berichterstattung zeigt, dass der Völkermord an den Sinti und Roma endlich weltweit bekannt und anerkannt ist, sogar bei ihren Feinden. Als einige Romafrauen nach der Eröffnungsfeier zur Bus-Haltestelle gingen, folgten ihnen vier erwachsene Männer, und als sie in den Bus einstiegen, riefen diese ihnen nach: „Hoffentlich kommt bald ein zweiter Holocaust!“

Die Lebensleistung von Romani Rose ist aber nicht allein dieses Denkmal, es ist die Erforschung und Dokumentation des Völkermords an den Sinti und Roma in Deutschland und in den von deutschen Truppen besetzten Teilen Europas, an den dieses Denkmal von nun an erinnern wird.

Der diesjährige Preisträger wird dafür geehrt - ich zitiere die Begründung -, dass er auch das Schicksal von muslimischen Roma in den Balkanländern erforscht hat, von denen etwa zweihunderttausend ermordet wurden, und dass er dem Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland geholfen hat, „auch das Schicksal der achtzigtausend ermordeten nordafrikanischen Muslime zu erforschen“. Darüber hinaus hat er das Islam-Archiv-Deutschland seit 15 Jahren unterstützt, wie mir sein Leiter, Herr Muhammad Salim Abdullah versicherte.

Mit der Forschung über die Muslime in den Balkanländern hat er zur Erhellung eines dunklen und umstrittenen Kapitels der Geschichte des Zweiten Weltkriegs beigetragen, nämlich die Rolle der so genannten Bosniaken, der Bosnischen Muslime. Nachdem die deutschen und italienischen Truppen 1941 das Königreich Jugoslawien zerschlagen hatten, hatten die kroatischen Ustascha, eine faschistische Bewegung, mit Unterstützung von Mussolini und Hitler den „Unabhängigen Staat Kroatien“ gegründet, zu dem auch Bosnien-Herzegovina gehörte. Statt nun den Kriegsgegner, die Alliierten, zu bekämpfen, beschlossen die Ustascha die ethnische Säuberung Kroatiens und ermordeten im Verein mit deutschen SS-Verbänden die im erweiterten Kroatien lebendenSerben, Muslime, muslimische und andere Roma sowie die Juden. Die Gesamtzahl der Opfer wird auf etwa fünfhunderttausend geschätzt. 1943 kam der Groß-Mufti von Jerusalem Muhamed Emin El Husseini nach Sarajewo und rief die Bosnischen Muslime zum Widerstand auf. Auf sein Geheiß bescheinigten die muslimischen Geistlichen auch nicht muslimischen Roma, Mitglied einer muslimischen Gemeinde zu sein. Und sie verhinderten den Abtransport von Roma, indem sie sich auf die Gleise legten. Da das Deutsche Reich auf islamische Staaten, vor allem die Türkei, Rücksicht nehmen musste, hielt es sich bei der Verfolgung von islamischen oder sich als islamisch ausgebenden Roma, allerdings nur vorläufig, zurück.

Romani Rose besuchte im Oktober 1999, nach Beginn der Vertreibungs- und Mordaktionen gegen die Roma-Minderheit im Kosovo, das Roma Viertel in Prizna, und sprach dort mit ihrem Vorsitzenden Haxhi Zulfi Mergja sowie mit dem Standortkommandeur General Riechmann. Im Januar 2001 informierten Romani Rose, Otto Rosenberg, der damalige Vorsitzende des Berliner Landesverbands der deutschen Sinti und Roma und der Hadschi Mergja den damaligen deutschen Außenminister Joseph Fischer und den Geschäftsträger der US-Botschaft über die Lage der Roma im Kosovo und über ihre Forderungen an die Deutsche und Amerikanische Regierung. Im selben Jahr sprach General Reinhardt, der frühere Oberkommandierende der KFOR-Truppen, im Dokumentations- und Kulturzentrum über die Lage der Roma im Kosovo, die er als „lebensgefährlich“ bezeichnete.

Romani Rose hat in Presse-Erklärungen auch mehrfach auf die gegenwärtige menschenunwürdige Situation von Roma in Südosteuropa hingewiesen und dazu aufgerufen, die Abschiebung von Roma und Ashkali in das Kosovo auszusetzen. Dass Kinder und Jugendliche, die sehr gutes Deutsch sprechen, die hier die Schule besuchen oder bereits in der Berufsausbildung sind, in ein Land verpflanzt werden, in dem sie sich nicht verständigen, keine Schule besuchen und keine Arbeit finden können, in dem die Häuser ihrer Eltern zerstört oder enteignet wurden und in dem sie nicht sicher vor Anschlägen sind, ist keine Frage des Asylrechts, sondern ein Verstoß gegen die Menschenrechte und gesamteuropäisch betrachtet ein ökonomischer Nonsens.

Vor einem Monat hat Romani Rose Bundesinnenminister Friedrich wegen dessen „Hetze“ gegen Asyl suchende Roma aus Mazedonien und Serbien kritisiert. Wenn Friedrich gesagt hat, dass diese „eher aus wirtschaftlichen Gründen“ kämen, wie in „tagesschau.de“ berichtet wird, wenn er also politische oder rassisstische Gründe nicht ausschließt, dann weiß er, dass seine Forderung nach Schnellverfahren statt Prüfung im Einzelfall rechtswidrig ist.

Romani Rose hat außerdem bei vielen Gelegenheiten auf die Situation von Muslimen in Deutschland aufmerksam gemacht, so bei seiner Rede in Berlin im Juli 2009, wo er spontan eine Solidaritätsadresse wegen der Ermordung einer Muslima im Dresdner Landesgericht gesprochen und Maßnahmen der Regierung gegen die rassistische Hetze gegen Muslime im Internet gefordert hat. Er hat den Imam Mehmet Kilinc, den Stellvertretenden Direktor des Islam-Archivs, zu der Einweihung des Mahnmals in Auschwitz-Birkenau am 2. August 2001 eingeladen, das an die Ermordung der Sinti und Roma vor 47 Jahren erinnert. Herr Kilinc konnte dort einen Kranz niederlegen und Totengebete für die ermordeten muslimischen Roma sprechen.

Als Antiziganismusforscher habe ich mir überlegt, was es bedeutet, wenn Romani Rose als deutscher Sinto die Ermordung von jugoslawischen Roma und wenn er als Katholik die Ermordung von Muslimen erforschen lässt. Er widerlegt damit gleich mehrere Vorurteile über Sinti und Roma.

Von Antiziganisten wird verbreitet, dass Sinti und Roma zwei verfeindete Gruppen wären oder dass Sinti auf Roma herabschauten, während Philoziganisten das Märchen erzählen, Sinti und Roma seien ein europäisches Wandervolk mit einer europäischen Sprache, dem Romanes, das von Land zu Land zöge und keine Grenzen kennte. Tatsächlich sind Sinti und Roma zumindest seit der Ankunft der Sinti in Mitteleuropa vor mehr als 600 Jahren, vielleicht aber schon von Anfang an, zwei verschiedene Volksgruppen. Romani Rose ist mit einem bulgarischen, bosnischen oder albanischen Rom ebenso wenig verwandt wie Sie oder ich, und er könnte sich mit ihm nicht oder nur äußerst schwer verständigen, weil das Romanes auch viele Wörter der jeweiligen Landessprache enthält. Und er ist, entgegen einem weiteren Vorurteil, für die in südosteuropäischen Ländern verelendeten oder von dort nach Deutschland geflohenen Roma auch nicht zuständig. Zuständig sind erstens die jeweiligen Regierungen, die als Bedingung für den Beitritt zur EU das Rahmenübereinkommen zum Schutz und zur Förderung ihrer Minderheiten unterzeichnen müssen, zweitens die bisherigen Mitgliedsländer der EU, die der Aufnahme zugestimmt haben und drittens die Europäische Kommission, die die Einhaltung dieses Abkommens überwacht. Und was machen diese Institutionen? Unterstützen sie die Roma? Romani Rose setzt sich für sie ein.

Auch die Sinti und Roma haben ebenso wie unsere Vorfahren nach dem Rechtsgrundsatz „cuius regio eius religio“ die Religion der jeweiligen Landesherren angenommen. Trotzdem wird nur ihnen in deutschen Kirchen-Lexika beider Konfessionen unterstellt, dass sie „zwangsweise christianisiert“ worden seien , und es wird über sie verbreitet, dass sie sich „zur jeweiligen Volksreligion der Mehrheitsbevölkerung (…)nach außen hin auch bekennen“ würden  oder dass sie die „Andersgläubigen und Fremden“ wären .

Romani Roses Vater Oskar und sein Onkel Vinzenz Rose waren gläubige Katholiken gewesen. Der Freiburger Erzbischof Gröber schrieb in einem Brief: „Was die Brüder Rose an Spenden gegeben haben, davon könnte man eine kleine Kirche bauen.“ Er selbst zweifelt nicht an der Existenz Gott, aber er kritisiert am Papst und den deutschen Bischöfen, dass sie zur Deportation der Sinti und Roma geschwiegen haben. Vielleicht musste auch er die Erfahrung machen, beim Gottesdienst nicht willkommen zu sein, wie von manchen Zeitzeugen berichtet wurde. Trotzdem ist er Katholik geblieben. „Katholisch“ heißt „gemeinsam“, „allen gemein“. Es widerspricht diesem Begriff, dass er zur Abgrenzung gegen andere Konfessionen verwendet wird. Romani Rose aber betrachtet die damals wie heute verfolgten Muslime und Juden als seine Brüder und Schwestern. Er hat anerkannt, dass sich der Groß-Mufti, obwohl er ein „rückhaltloser Gefolgsmann Hitlers“  gewesen ist, sich schützend vor die muslimischen Roma gestellt hat.

Ursprünglich, im April 1989, hatte Romani Rose im Namen des Zentralrats ein gemeinsames Denkmal für alle Opfer des nationalsozialistischen Völkermords gefordert. Dies kam leider nicht zustande, weil sich die Regierungsvertreter durch das Dogma von der Einzigartigkeit des jüdischen Völkermords einschüchtern ließen. Einzigartig an den Verbrechen der Nationalsozialisten ist, das habe ich von dem vor drei Wochen verstorbenen jüdischen Historiker Henry Friedlander gelernt, dass Menschen nur deshalb ermordet wurden, weil sie auf die Welt gekommen waren. Und das waren die Behinderten, die Juden und die Sinti und Roma.

Romani Rose hat sich in seinem Leben für alle Sinti und Roma gleich welcher Nation und gleich welcher Konfession oder Religion eingesetzt. Dass ihm heute der Muhammad-Nafi-Tschelebi Friedenspreis verliehen wird, ist eine gute Entscheidung und für alle seine Mitstreiter eine große Freude. Wilhelm Solms





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Allerhöchste Zeit: Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas im Berlin-Tiergarten

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