Newsnational Dienstag, 28.08.2012 |  Drucken

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Muslimische Religionsgemeinschaften lehnen Plakataktion ab

DITIB, VIKZ, ZMD und IGBD nehmen ausführlich Stellung zur Sicherheitspartnerschaft mit dem Bundesinnenministerium

Köln, 28.08.2012: Anlässlich der neu gestarteten "Vermisst-Kampagne" des Bundesministeriums des Innern (BMI) im Rahmen der "Initiative Sicherheitspartnerschaft", die eine bundesweite Plakatierungs-, Postkartenaktion und darüber hinaus eine Anzeigenkampagne in verschiedenen Medien umfasst, wollen die unterzeichnenden Verbände und muslimischen Religionsgemeinschaften diesbezüglich einige Punkte zum Verständnis konkretisieren:

1. Die Auftaktveranstaltung zur "Initiative Sicherheitspartnerschaft" fand im Juni 2011 statt und ist eine im BMI angesiedelte Arbeit. Unsere Erwartungen an die "Initiative Sicherheitspartnerschaft" waren, geeignete Maßnahmen gegen Extremismus aller Couleur, zumal sie ja auch alle in das Ressort gehören, mit vereinten Kräften zu entwickeln und umzusetzen.

2. Das erste Arbeitstreffen mit den muslimischen Spitzenvertretern im BMI in der Startphase der Initiative Sicherheitspartnerschaft wurde durch die Enthüllungen und Entwicklungen um die NSU-Morde überlagert. Dieses erste Arbeitstreffen im November 2011 wurde kurzfristig zum Austausch über die aktuellen NSU-Entwicklungen genutzt. Dies hat den Teilnehmern die Dringlichkeit und Notwendigkeit einer inhaltlichen und strukturellen Neuorientierung deutlich gemacht. Eine Orientierung, die auch den Sicherheitsbedürfnissen der Muslime und Migranten gerecht wird, ist bislang nicht ersichtlich. Ein diesbezügliches Schreiben der muslimischen Vertreter vom Februar 2012 blieb bis heute unbeantwortet. Auch zu anderen Anlässen blieben Anfragen unbeantwortet oder aber wurden gefällig übergangen, beispielsweise bei der in Eigenregie erarbeiteten Spenden-Broschüre des BMI. Eine Kooperation mit den Partnern auf selber Augenhöhe und in Anerkennung der muslimischen Gesprächspartner spiegelt sich folglich leider weder im Arbeitsprocedere, noch in der Kommunikation wieder, wäre jedoch für ein qualitatives Ergebnis zwingend notwendig. Oft waren bisherige Arbeitsergebnisse des BMI in der "Initiative Sicherheitspartnerschaft" allein durch Informationsschreiben bekannt gemacht worden, was keinen erforderlichen Ab- und Zustimmungsprozess ersetzen kann.

3. Obwohl auch das Symposium unter dem Titel "Inspire, YouTube & Co" der "Initiative Sicherheitspartnerschaft" im März 2012 sehr deutlich die Parallelen zwischen den verschiedenen extremen Strömungen in Deutschland und ihrer Kommunikationswege aufzuzeigen vermochte, wurde eine von uns geforderte Neuorientierung nicht in Betracht gezogen.
Erste Vorstufen der aktuell diskutierten Plakataktion "Vermisst" wurde erstmals im März 2012 zum Symposium vorgestellt und bereits in dem Stadium stark kritisiert. Die endgültigen Plakate sind bis zur Veröffentlichung den offiziellen Schreiben nicht beigefügt worden. Die erheblichen Bedenken und Vorbehalte zur Maßnahme, der Umsetzung und der Auswirkungen, wurden von Seiten des BMI wie wir jetzt erst feststellen, leider nicht aufgegriffen. Auch dieses Procedere spiegelt nicht die Erwartungen und Standards einer bedarfsgerechten und ergebnisorientierten Kommunikation wieder. So sehr es auch eine Notwendigkeit und unser Bedürfnis ist, dass die Partner in der Sicherheitsinitiative nicht nur formal als Statist in Kenntnis gesetzt werden, sondern im Kern inhaltlich als Protagonist gestaltend in diesen Prozessen einbezogen werden, bleibt dies weiterhin ein unerreichter Idealfall.

Plakataktion stellt Muslime unter Generalverdacht - Das Gegenteil von "gut", ist "gut gemeint"!

4. Es ist zu befürchten, dass die Plakataktion in der gegenwärtigen Form neue Konfliktfelder schafft und das Ziel verfehlt. Dies wird potenziert durch die Rückmeldungen, Kommentare und Diskussionen in verschiedensten Medien. So fühlt sich nicht nur die scheinbare Zielgruppe "zur Fahndung" ausgeschrieben und damit kriminalisiert. Vielmehr wird eine gesellschaftliche Paranoia heraufbeschworen, die geeignet ist, das gesellschaftliche Miteinander nachhaltig zu beeinträchtigen und Misstrauen bis in die Tiefen der Gesellschaft zu säen. Darin übertrifft diese Plakataktion die umstrittene "Extremisten-Checkliste" aus Niedersachsen.

5. Eine ständige einseitige Kontextualisierung von Gewalt, "angenommener" Gewaltbereitschaft, Sicherheitspolitik  und Islam kann aus unserer Sicht leider nur zur falschen Wahrnehmung in der Gesellschaft führen. Auch wenn dies in gutem Glauben und zum Zweck der Lösung von Problemen geschieht, verbreiten sich dadurch eher bedenkliche Annahmen und Vorurteile gegenüber denen, denen damit eigentlich geholfen werden sollte. Diese  kontraproduktiven Handlungs- und Denkmuster stellen die muslimische Bevölkerung, die friedfertiger Teil dieser Gesellschaft ist,  unter Generalverdacht, sozialen und psychischen Druck. Zu begrüßen ist, dass sich Teile der Zivilgesellschaft und der Politik dieser Mechanismen bewusst sind und daran öffentlich Kritik üben. Viele Arbeiten mögen gut gemeint sein, allerdings: Das Gegenteil von "gut", ist "gut gemeint"!

6. Die islamischen Religionsgemeinschaften und ihre Gemeinden sind natürlicher Teil des pluralistischen, multireligiösen und multiethnischen Lebens. Aus dieser Haltung und diesem Selbstverständnis heraus glauben wir daran, ohne ständig mit den externen Zuschreibungen der Verfassungstreue oder Untreue bedacht zu werden, uns in die Meinungsbildung einzubringen, Kritik zu üben und Vorschläge zu unterbreiten. Denn nur so kann man der eigenen Verantwortung und den umfassenden Erwartungen gerecht werden. Daraus folgt ebenfalls, dass die Wahrnehmung des Islam und der Menschen, die diese Religion leben, nicht allein von Medien, Politik und Extremisten und deren Interessen bestimmt werden kann. Ein konstruktiver und breit angelegter Ansatz mit gesamtgesellschaftlicher, soziologischer Grundlage ist notwendig, um einen gesamtgesellschaftlichen Konsens zu schaffen. Darin nehmen muslimische Einrichtungen und Denker eine zentrale Rolle ein. Unter dieser ausschließlich sicherheitszentrierten Betrachtung ist dies jedoch nicht möglich.

7. Es ist inakzeptabel, dass Religionen und ihre Lehren, die bestimmt sind, dem Menschen und der Gesellschaft Frieden zu bringen, für soziale oder politische Zwecke, Ideologien oder Legitimierung von Gewalt instrumentalisiert werden. Davon distanzieren wir uns mit Nachdruck. Denn Eintracht, Solidarität, gegenseitiges Verständnis, Liebe und Respekt sind unabdingbare Grundlagen der menschlichen und gesellschaftlichen Existenz und des Islam gleichermaßen.

Diese Vermisst-Plakataktion ist aus dargelegten Gründen nicht tragbar. Der gesellschaftliche Schaden ist größer, als ihr vermeintlicher Nutzen. Als verantwortungsbewusste, religiöse und soziale Akteure dieser Gesellschaft fordern wir das Bundesinnenministerium auf, diese Fahndungs-Aktion zu stoppen und sich auf geeignete Instrumentarien zu besinnen, die dem Wohl und Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft dienen.

Kooperationspartnerschaft auf Eis gelegt

Unsere Perspektive und Annäherung an diese "Kooperation" als religiöser, zivilgesellschaftlicher Teil nährt sich aus der Mitte dieser Gesellschaft. Basis unserer Bemühungen ist die Schaffung gesellschaftlicher Grund- und Rahmenbedingungen, die für Individuum und Gesellschaft in ihrer Verschiedenheit eine Einheit herzustellen vermag. Diese gesellschaftliche Einheit als Solidargemeinschaft zu gestalten, kann aus einem rein sicherheitspolitischen Ansatz und kriminalistischer Methodik heraus nicht erfolgreich sein.

Solange an erster Stelle die Bedürfnisse und Nöte der Muslime in den ministeriellen Arbeiten keine Beachtung, ihre konstruktiven Beiträge, Vorschläge und Kritiken keinen Niederschlag finden, ist diese "Kooperationspartnerschaft" sinnlos. Ein Schreiben diesbezüglich wird ebenfalls an das BMI verfasst werden.

Solange es kein verbindliches, fixiertes Kooperations-, Ab- und Zustimmungsprocedere gibt, wird die "Kooperation" immer wieder durch die Beliebigkeit der "Initiative Sicherheitspartnerschaft" in Misskredit gebracht.
Solange legen wir, die unterzeichnenden Verbände, diese "Kooperationspartnerschaft" auf Eis.


DITIB   
Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.

VIKZ
Verband der Islamischen Kulturzentren e. V.

ZMD
Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V.

IGBD
Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland e.V.




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