Artikel Montag, 27.01.2025 |  Drucken

"Vom Ölreichtum zum Blutbad: Gorbatschow und die Ironie des Nobelpreises" - 35. Jahrestag der Tragödie des Schwarzen Januar in Baku oder der Anfang vom Untergang der damaligen Sowjetunion - Von Nasimi Aghayev

Am 15. Oktober 1990 verkündete das Nobelpreiskomitee eine seiner wohl ungewöhnlichsten Entscheidungen. Demnach wurde Michail Gorbatschow, damals Präsident der Sowjetunion, mit dem begehrten Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Das Komitee begründete seine Entscheidung mit Gorbatschows „führender Rolle im Friedensprozess“ und seinen „zahlreichen und entscheidenden Beiträgen“ zum Frieden. Das Komitee und seine Unterstützer schienen so „beeindruckt“ vom sowjetischen Staatschef zu sein, dass sie viele schwerwiegende Verbrechen, die er begangen hatte und die nichts mit Frieden zu tun hatten, schlicht ignorierten. Und niemand weiß das besser als das Volk Aserbaidschans.

Zehn Monate vor der Entscheidung des Komitees, am 20. Januar 1990, entsandte Gorbatschow persönlich 26.000 sowjetische Truppen in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku, wo sie Hunderte von Zivilisten, darunter Kinder, Frauen und ältere Menschen, töteten und Tausende verwundeten. In einem Blutbad, das als „Schwarzer Januar“ bekannt wurde und von schwer bewaffneten Soldaten verübt wurde und das Human Rights Watch später als „kollektive Bestrafung“ bezeichnen sollte, stürmten die Truppen die Stadt aus allen Richtungen und begannen wahllos auf die friedlichen Demonstranten zu schießen. Das einzige „Verbrechen“ der Opfer war es, die Freiheit Aserbaidschans von der Sowjetunion zu fordern — ein Beweis dafür, dass die sowjetischen Machthaber ein zusammenbrechendes Imperium verwalteten und dass Aserbaidschan an vorderster Front für die Freiheit kämpfte. Der Aufstand von Baku war das erste Mal in der Geschichte der UdSSR, dass sich eine gesamte Stadt gegen die sowjetische Besatzung erhob — und das erste Mal, dass die Behörden mit solch überwältigender Gewalt, einschließlich Panzern und Hubschraubern, gegen Demonstranten und unschuldige Zivilisten vorgingen.


Ironischerweise hätte Alfred Nobel den Nobelpreis 1901 nicht ins Leben rufen können, wenn er und seine Brüder nicht ein riesiges Vermögen mit der Erdölentwicklung in Baku gemacht hätten. Und Alfred Nobel hätte sich wohl kaum träumen lassen, dass sein Preis eines Tages an einen Mann verliehen werden würde, der eben jene Stadt Baku in ein Blutbad verwandelte.

Dem Schwarzen Januar ging eine Reihe von Ereignissen mit tragischen Folgen für Aserbaidschan und die Region voraus. 1987 brachen in Armenien antiaserbaidschanische Pogromeaus. Armenische Mobs, unterstützt von der armenischen Regierung, griffen die von Aserbaidschanern bewohnten Dörfer an und töteten Hunderte unschuldiger Zivilisten. Ihr Plan, Armenien in ein Land ohne Aserbaidschaner zu verwandeln, wurde schon bald verwirklicht. Über 300.000 Aserbaidschaner, die größte ethnische Minderheit des Landes, die seit Jahrhunderten in Armenien gelebt hatten, wurden gewaltsam vertrieben (Kürzlich tauchte sogar ein Video des ersten Präsidenten Armeniens aus dem Jahr 1993 auf, in dem er damit prahlte, alle Aserbaidschaner aus Armenien und Karabach ethnisch gesäubert und die “600 Jahre alte Frage” für das armenische Volk gelöst zu haben). In der Zwischenzeit erhob Armenien unbegründete territoriale Ansprüche gegen Aserbaidschan und löste dadurch eine Welle der Gewalt aus, die schließlich in einen für äußerst furchtbaren und verlustreichen Krieg zwischen den beiden Nationen mündete. All diese Ungerechtigkeiten, die von der pro-armenischen sowjetischen Führung in Moskau gutgeheißen und angefacht wurden, lösten in Aserbaidschan öffentliche Empörung aus und führten zu antisowjetischen Massendemonstrationen in Baku, die sich bald in eine nationale Freiheitsbewegung verwandelten. Diese mächtige aserbaidschanische Bewegung für die Freiheit wurde unter anderem von dem amerikanischen Nachrichtenmagazin „Newsweek“ gewürdigt, das eine Aufnahme von einer der Demonstrationen in Baku als Coverillustration für die Dezemberausgabe 1989 benutzte und mit dem Titel „Standing Up for Freedom. PEOPLE OF THE YEAR“ versah.


Durch das Massaker in Baku wollte Gorbatschows Regime den Freiheitskampf des aserbaidschanischen Volkes brechen und andere einschüchtern. Aber das von ihm angeordnete Verbrechen führte zu einer der stärksten Demonstrationen menschlicher Beharrlichkeit in der modernen Geschichte. Unmittelbar nach dem Angriff, während das Blut der erschlagenen Körper noch die Straßen tränkte, wurde eine strenge und bedrohliche sowjetische Ausgangssperre verhängt. Sie kündigte eine noch schrecklichere Reaktion an, wenn sie verletzt werden sollte. Trotzdem gingen über eine Million Aserbaidschaner auf die Straßen von Baku und überschwemmten sie buchstäblich, um als mutiges und vereintes Volk gegen Terror und Tyrannei zu demonstrieren und zugleich die Opfer des Blutvergießens zu ehren und zu betrauern. Muslimische, christliche und jüdische Religionsvertreter hielten öffentliche Gebete ab, als Botschaft unseres gemeinsamen Glaubens, unserer gemeinsamen Hoffnung und der Unbezwingbarkeit unserer Werte. Heydar Aliyev, der spätere Gründer des modernen Aserbaidschan, begab sich in die Ständige Vertretung der Sowjetrepublik Aserbaidschan in Moskau und prangerte an einer Pressekonferenz das Blutvergießen an seinem Volk heftig an. Sein Mut und Widerstand inspirierten das aserbaidschanische Volk, und Aliyev wurde zum Anführer des Freiheitskampfes. Die Gewalt konnte das aserbaidschanische Volk nicht davon abhalten, seine Freiheit zu suchen — im Gegenteil, sie stärkte nur den Willen, ein freies und unabhängiges Aserbaidschan wiederherzustellen. Die Unabhängigkeit wurde schließlich am 18. Oktober 1991 wiederhergestellt, als die UdSSR zusammenbrach — teilweise auch aufgrund der Grausamkeit des Schwarzen Januars und der daraus resultierenden Legitimationskrise der sowjetischen Behörden. Ein Massaker, das das Imperium stabilisieren sollte, trug ironischerweise zu seinem Untergang bei. Viele Historiker sind sich heute einig, dass der Schwarze Januar den Anfang vom Ende der Sowjetunion markierte. Seit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit hat sich Aserbaidschan stetig weiterentwickelt.

Heute ist das Land unter der visionären Führung von Präsident Ilham Aliyev wirtschaftlich dynamisch, politisch stabil und eine wichtige geopolitische Macht. Es ist die größte Wirtschaftsnation im Südkaukasus und eine der stärksten Volkswirtschaften der gesamten ehemaligen Sowjetunion. Internationale Investoren sind vom Geschäftsklima des Landes angezogen, und Aserbaidschan spielt eine Schlüsselrolle für die europäische Energiesicherheit und den Ausbau des sogenannten „Mittleren Korridors“, einer wichtigen Transportroute, die Asien mit Europa verbindet. Baku, das im Schwarzen Januar von Schüssen erschüttert wurde, hallt heute wider vom Klang des Bauens, da sich die Stadt in eine pulsierende und moderne Metropole verwandelt. Die Straßen, die einst von sowjetischen Panzern überrollt wurden, sind heute gefüllt mit Aserbaidschanern, die leidenschaftlich und entschlossen für die Freiheit und Unabhängigkeit ihres Landes eintreten. Seit 2020 hat Aserbaidschan seine Souveränität und territoriale Integrität vollständig wiederhergestellt und damit der 30 Jahre andauernden barbarischen Besatzung seiner Gebiete durch Armenien ein Ende gesetzt. Heute steht Aserbaidschan als eine starke, geeinte und souveräne Nation da — ein lebendiges Zeugnis für den Mut und die Entschlossenheit seines Volkes. Am 20. Januar wird das aserbaidschanische Volk den 35. Jahrestag der Tragödie des Schwarzen Januar begehen und der Gefallenen ehrend gedenken. Doch es wird auch die Fortschritte der Jahre danach als unabhängige Nation feiern und anerkennen, dass der 20. Januar einen entscheidenden Wendepunkt auf dem Weg zu Aserbaidschans Freiheit und Unabhängigkeit darstellte.

Mit freundlicher Genehmigung von Nasimi Aghayev , derzeitiger Botschafter Aserbeidschan in Deutschland.Erstveröffentlichung in medium.com vom 18.01.2025




Ähnliche Artikel

» Religiöse Verantwortliche kommen im Rahmen der Cop29 in Baku zusammen
» The 4th. Islamic Solidarity Games

Wollen Sie einen
Kommentar oder Artikel dazu schreiben?
Unterstützen
Sie islam.de
Diesen Artikel bookmarken:

Twitter Facebook MySpace deli.cio.us Digg Folkd Google Bookmarks
Linkarena Mister Wong Newsvine reddit StumbleUpon Windows Live Yahoo! Bookmarks Yigg
Diesen Artikel weiterempfehlen:

Anzeige

Hintergrund/Debatte

"Vom Ölreichtum zum Blutbad: Gorbatschow und die Ironie des Nobelpreises" - 35. Jahrestag der Tragödie des Schwarzen Januar in Baku oder der Anfang vom Untergang der damaligen Sowjetunion - Von Nasimi Aghayev
...mehr

Mein Austritt aus der CDU -Eine Entscheidung des Gewissens- Aladdin Beiersdorf-El Schallah, Stv. Vorsitzender ZMD-NRW, Stadtverordneter Sankt Augustin und ehemalige dortige Stadtverbandsvorsitzender erklärt detailliert seine Beweggründe
...mehr

Extreme bis extremistische Einstellungen in Deutschland auf dem Vormarsch mit Spiegelung in der Politik und Medien
...mehr

Langes KNA-Interview: Der neue Vorsitzende des Zentralrats der Muslime über sein Amt
...mehr

Bochum ehrt Ahmed Aweimer zum 70. Geburtstag
...mehr

Alle Debattenbeiträge...

Die Pilgerfahrt

Die Pilgerfahrt (Hadj) -  exklusive Zusammenstellung Dr. Nadeem Elyas

88 Seiten mit Bildern, Hadithen, Quran Zitaten und Erläuterungen

Termine

Islamische Feiertage
Islamische Feiertage 2019 - 2027

Tv-Tipps
aktuelle Tipps zum TV-Programm

Gebetszeiten
Die Gebetszeiten zu Ihrer Stadt im Jahresplan

Der Koran – 1400 Jahre, aktuell und mitten im Leben

Marwa El-Sherbini: 1977 bis 2009