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Dienstag, 02.07.2002
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Hat Innenminister Otto Schily Assimilierung gesagt und Integration gemeint? - Ein Versuch missverständliche Worte im Kontext der Fußballweltmeisterschaft und Wahlen richtig zu verstehen. Kommentar von Aiman Mazyek

Ist der beste Türke der, welcher als solcher gar nicht mehr zu erkennen ist? Probleme der Türken in Deutschland oder der Türkei mit der EU kommen wieder hoch - Was wäre passiert, wenn Deutschland und die Türkei im Endspiel gestanden hätten?

Wir hören von einer Integrationsoffensive, von Integrationsbemühungen und von Integrationsbeauftragten, aber wie genau Integration aussehen soll, diese Antwort bleiben unsere PolitikerInnen schuldig. Nun äußerte sich Bundesinnenminister Schily am 27. Juni in Integration und präzisierte seine Vorstellungen. Die beste Integration sei seiner Ansicht nach Assimilation; dabei sagt er wörtlich: "Assimilierung heißt wörtlich Anähnlichung. Das kann in sehr unterschiedlichen Formen vor sich gehen. Aber am Ende werden sich die Menschen in einem gemeinsamen Kulturraum ähnlicher", so weit der Innenminister und seine nicht ganz richtige Übersetzung. Daraufhin hagelte es öffentliche Kritik, insbesondere auch in den eigenen Reihen. Dennoch, ich versuche einmal Herr Schily zu verstehen: Denn vielleicht hat er sich einfach nur versprochen oder wider besseres Wissen von Assimilierung gesprochen und Integration gemeint?
In diesen Tagen, wo viele PolitikerInnen zu Recht gemahnt haben, nicht auf dem Rücken von Minderheiten den Wahlkampf auszutragen, ist diese Formulierung jedoch gelinde ausgedrückt, äußerst ungeschickt.
Aus dem Kontext des Interviews in der SZ vom 27.06.02 geht jedenfalls hervor, dass der Innenminister gerade nicht eine möglichst weitreichende Aufgabe der ursprünglichen Sprache und Kultur zu Gunsten der Mehrheitssprache und -kultur einfordert. Nach dem Motto: Der beste Türke ist der, welcher als solcher gar nicht mehr zu erkennen ist! So verstanden, wäre das neue Zuwanderungsgesetz kein Fort-, sondern ein großer Rückschritt, der Diskurs um Interkulturalität würde wieder in der Monokultur der Mehrheitsgesellschaft enden.

Möglicherweise hatte Otto Schily auch noch andere Bilder im Hinterkopf, als er diese missverständlichen Äußerungen zu Papier brachte.
Das Spannungsfeld, was die Türken in Deutschland ausmachen oder die Beitrittsprobleme der Türkei in der EU wurden auch angesichts der Erfolge der türkischen Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft - die ich ihr von Herzen gönne und über die ich mich sehr gefreut habe- erneut deutlich sichtbar. Mit der Integration ist es weit her, wenn man bedenkt, dass bereits die 3. Generation der Türken in Deutschland überschwänglich und fast fanatisch "ihre Nationalhelden" feiert. Identifikationsfaktor mit Deutschland als "ihr" Heimatland ist quasi gleich Null. Man stelle sich nur vor, was passiert wäre, wenn Deutschland und die Türkei im Endspiel gestanden hätten? Auf der anderen Seite sollte aber auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Türkei seit Jahren der EU beitreten will und immerzu ein Nein erntet.
Unter vorgehaltener Hand wird dann argumentiert, dass die Türkei noch deutlicher zeigen muss, dass sie es mit den Menschen- und Freiheitsrechten ernst meint, wenn sie in die EU will. Eine Forderung, die einerseits Alibicharakter hat, andererseits auch richtig ist, wie ein jüngstes Beispiel wiederum im Zuge der Weltmeisterschaft deutlich machte: Am 7. Juni besuche Sükür, einer der grossen Stars der Mannschaft, zusammen mit anderen Spielern eine Freitagspredigt südkoreanischer Muslime. An und für sich nichts Anstößiges, denn schließlich sind 99 Prozent aller Türken Muslime.
Doch einige gewichtige Stellen der türkischen Öffentlichkeit wertete den Gottesdienstbesuch einer Person des öffentlichen Lebens als Angriff auf die laizistische Ordnung. Genau das ist nun unversehens dem meisterlichen Torschützen Sükür widerfahren und er musste erleben, wie rasch man in der Türkei vom Helden zum Verräter werden kann. Kemalistische Kommentatoren schrieen nach seinem Moschee-Besuch auf, Sükür aus dem Team zu entfernen. Für ein demokratisches Land wie Deutschland eine seltsam anmutende Form Freiheitsrechte auszulegen. So etwas, so sagen sich dann manche PolitikerInnen hierzulande, würde "unseren Jungs" nicht widerfahren, wenn sie sich beispielsweise öffentlich bekreuzigen oder "Jesus" das geschossene Tor widmen.
Doch diese Erscheinungen in der Türkei dürfen alleine kein Grund sein für die destruktive Abwehrhaltung der EU gegenüber der Türkei.
Erst jüngst drängte der türkische Präsident Ahmet Necdet Sezer die europäischen Staats- und Regierungschefs, ein fixes Datum für die Aufnahme konkreter Beitrittsverhandlungen beim Dezember-Gipfel in Kopenhagen zu nennen. Doch die EU reagierte kühl: "Ich glaube nicht, dass es die Chance auf einen verbindlichen Zeitplan gibt", meinte etwa der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder. Der Kanzlerkandidat der deutschen Unionsparteien, Edmund Stoiber, hatte einem EU-Beitritt der Türkei bereits zuvor eine klare Absage erteilt.
Diese "kalte Schulter" ist der andere Grund, warum die Türken in Deutschland das Gefühl nicht loslässt, hier nicht willkommen zu sein. Denn Integration, auch und gerade wie es Schily hoffentlich verstanden wissen will, heißt eben "Anähnlichung". Ein Prozess, der von beiden Seiten angestrengt werden muss, sowohl von Seiten der Minderheit wie auch von der Mehrheitsgesellschaft. Und es kann - ja diese Option müssen beide Seiten ernsthaft und ehrlich in Betracht ziehen - es kann durchaus etwas Neues (nicht schlechteres) hervorbringen. Unsere Gesellschaft ist zum Glück eben keine Einbahnstrasse. Aiman Mazyek





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