Newsinternational Sonntag, 19.08.2007 |  Drucken

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Der Anti-Giordano oder warum wir keine Angst vor dem Islam haben müssen

Zu einem neuen Buch von Michael Lüders – Von Rupert Neudeck

Das ist ein aktuelles Buch. Der Autor versucht gerecht zu sein, aber manchmal bricht es in kurzen Sätzen aus ihm hervor. In dem Irak Kapitel („Der unaufhaltsame Weg in den Abgrund“) beschreibt er den Unfug, der mit der von den USA programmierten Demokratisierung im Irak getrieben wurde. Als ob die Araber darauf warten, dass Ihnen die Demokratie mit unseren westlichen Bajonetten gebracht würde?! Lüders: „Mein Eindruck ist, dass die vielbeschworene westliche Rationalität regelmäßig aussetzt, wenn es um den Nahen und Mittleren Osten geht“. Die Fehler, die bei diesem Feldzug begangen wurden, liegen auf der Hand: 1. man hatte die Armee, die Polizei, die Baath-Partei abgeschafft und die Gefängnisse waren offen: Anarchie war die Folge;
2. Die Amerikaner rissen sich die privaten Erdöl-Lizenzen unter den Nagel, 3. es wurde kein Nationaler Dialog in dem empfindlichen multiethnischen und mutlireligiösen Irak begonnen.

Ähnlich beschreibt Lüders die voraussehbare Niederlage der NATO in Afghanistan. Auch hier setzt die politische Vernunft aus. Zur Zeit der sowjetischen Besatzung konnten 100.000 sowjetische und 100.000 afghanische Soldaten diese schlecht ausgerüsteten und miteinander konkurrierenden Muschaheddin nicht besiegen. „Die Geschichte scheint sich zu wiederholen: damals kontrollierten die Sowjets die Städte, nicht das Land. Den westlichen Truppen könnten es schon bald ähnlich ergehen“.

Wieder vergisst man die Geschichte dieser Länder und deren Kultur. Man vergisst, dass ausländische Truppen auf Dauer in Afghanistan nie gern gesehen sind, nicht mal, wenn es Deutsche sind. Die Briten haben sich drei mal im 19. jahrhundert eine blutige Nase geholt. 1841 wurde ein Expeditionskorps von 16.000 Soldaten bis auf einen einzigen aufgerieben, der der westlichen Welt Bericht erstatten sollte.

Die paschtunische Gesellschaft lebt in einem strengen Ehre- und Rache-Korsett des Paschtunwali. Wenn bei einer Anti-Terroroperation 50 Zivilisten bei der Bombardierung einer Hochzeitsgesellschaft getötet werden, die Opfer aus fünf verschiedenen Stämmen kommen, dann hat dieser Irrtum zur Folge, dass nunmehr diese fünf Stämme den Westen allgemein als Feind ansehen.
Lüders beschreibt, dass das Verhältnis der Militärausgaben zu denen für den Wiederaufbau in Afghanistan lächerlich ist. 2002 bis 2006 wurden 82,5 Mrd US Dollar für das Militär, aber nur 7,3 Mrd US $ für den zivilen Aufbau ausgegeben.
Der größte Fehler (um nicht von Verbrechen zu sprechen) war der Krieg gegen den Terror. Damit hat man die nach dem 11. September 2001 geläufige Gleichung Islam = Islamismus= Terror erhärtet. Diese gefährliche Gleichsetzung sei auch in Deutschland schlecht wegzubekommen. Wir haben uns sehr spät klargemacht, dass sich bei uns Deutschen eine neue Religion einbrachte. Allzu spät kapierte man, dass Ausländer sich bei uns eingebürgert hatten. In aller Hektik gab man Fragebögen für einen Einbürgerungstest heraus, in denen Fragen wie Kreuzworträtsel („Nennen Sie die drei höchsten Berge in Deutschland?“) neben Fragen zur Religion stehen.

Die 3, 5 Millionen Muslime sind selten richtig willkommen. Die Muslime in Deutschland gehören zu großen Teilen zur Unterschicht. Die Arbeitslosigkeit türkischer Jugendlicher liegt bei 40 %. Gewiß sind da große Fehler gemacht worden, man hätte viel klarere Forderungen stellen müssen. Es ist natürlich nicht beliebig, ob jemand die deutsche Sprache lernen will oder nicht, er muss sie beherrschen, wenn er hierbleiben will. Auch in den Medien ist es noch lange nicht gelungen, obwohl das ZDF unter seinem Chefredakteur in dieser Richtung gute Anstrengungen macht. In den gesellschaftlich-repräsentativen Rundfunkräten gibt es selbstverständlich Vertreter der Christlichen Kirchen und jüdische Vertreter aber genau so selbstverständlich noch keine muslimischen Vertreter. Das „Wort zum Freitag“, das der ZDF Chefredakteur Nikolaus Brender einführte, ganz zaghaft erst mal über das Internet, galt einigen CSU Funktionären schon als der Untergang des Abendlandes. Auch die Bemühungen des Innenministers Wolfgang Schäuble mit seiner Islamkonferenz wertet Lüders sehr positiv.
Es bleibt seine Frage: „Wann hat ein Bundeskanzler oder Bundespräsident das letzte Mal eine islamische Gemeinde besucht?“

Es gab immer schon den anderen Islam, es gab auch in Europa immer schon andere Haltungen dem Islam gegenüber. Lüders verweist in seinem Einleitungskapitel darauf: Weit vor Goethe, der uns mit seinem westöstlichen Divan dazu einfällt, war es der römisch-deutsche Kaiser Friedrich II (1194 – 1250), den der Autor als den islamophilsten Herrscher europäischer Geschichte beschreibt.
Der Kaiser holte sich die führenden islamischen Wissenschaftler an seinen Hof nach Palermo. Er brach zwar nach langer Weigerung 1228 zum 5. Kreuzzug nach Jerusalem auf, wollte aber nicht kämpfen. Er erreicht in Gesprächen mit dem Sultan von Kairo den Frieden von Jafa. Dieser Vertrag sollte christlichen Pilgern die wallfahrt nach Jerusalem möglich machen. Als der Muezzin aus Rücksicht auf den Kaiser auf seinen morgendlichen Gebetsruf verzichtete, verbat sich das der Kaiser Friedrich II: „Ich habe in Jerusalem übernachtet, um den Gebetsruf der Muslime zu hören und ihr Lob Gottes zu hören.“

Michael Lüders: Allahs Schatten. Warum wir vor dem Islam keine Angst haben müssen. Herder Verlag Freiburg 2007 223 Seiten





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