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Sonntag, 03.06.2007 | Drucken |
Ralph Giordano spricht den Muslimen in Deutschland ihr Grundrecht auf freie Religionsausübung ab – Von Ebehard Seidel
"Weg mit der Burka!" forderte die Frankfurter Allgemeine Zeitung am vergangenen Freitag. Der Aufruf ist eine engagierte Verteidigung des Kölner Publizisten Ralph Giordano. Der hatte kürzlich von Kopf bis Fuß verhüllte Frauen als menschliche Pinguine bezeichnet. Für diesen Tiervergleich wurde er kritisiert. Die FAZ hingegen meint: Man wird das doch wohl einmal sagen dürfen, vor allem dann, wenn es einer moralischen Instanz und einem "eiligem Denker" wie Giordano um die Verteidigung der Menschenrechte gehe.
Führt die FAZ damit eine wichtige Auseinandersetzung um die Tyrannei der politisch Korrekten? Ganz offensichtlich. Auch andere Medien stimmten in das Klagelied über eine Sprachpolizei ein, die verhindert, Missstände klar zu benennen. Es ist ein typischer Fall von Themaverfehlung. Denn in der Kontroverse zwischen Ralph Giordano und Bekir Alboga, dem Dialogbeauftragten des muslimischen Dachverbandes Ditib, ging es nur in einer Fußnote um so Exotisches wie Burkaträgerinnen in Deutschland. Sie verhandelten Gewichtigeres. Giordano forderte die verantwortlichen Politiker dazu auf, die Genehmigung für den Bau einer repräsentativen Ditib-Moschee in Köln zurückzuziehen. Eine Forderung, die auch die rechtspopulistische Organisation "Pro Köln" erhebt.
Ist Ralph Giordano deshalb schon rechtsextrem? Spiegel-Online beschuldigt die taz am vergangenen Donnerstag, sie habe in einem Kommentar gegen Giordano reflexhaft die Rechtsextremismuskeule gezückt, nur weil sich hier jemand "deutlich - und auch mal überspitzt - gegen konservative islamische Vorstellungen und gegen Kopftücher einsetzt". Doch Giordano setzt sich keineswegs nur ein wenig "überspitzt gegen konservative islamische Vorstellungen ein". Giordano spricht den Muslimen in Deutschland generell ab, Teil dieser Gesellschaft zu sein. Er möchte Muslimen das Grundrecht auf freie Religionsausübung aberkennen, zu der auch der Bau sakraler Bauten gehört. Das ist ein Aufruf zum Rechtsbruch und zur Diskriminierung einer religiösen Minderheit. Merkwürdigerweise scheint das diejenigen, die zur Verteidigung Giordanos angetreten sind, nur wenig zu stören.
Prinzipiell gilt: Die Meinungsfreiheit deckt vieles ab. Auch das Recht, den lieben langen Tag Wirres, Beleidigendes und Unsinniges zu äußern. Dieses Grundrecht gilt es gegen Puristen zu verteidigen. Gleichzeitig gilt: Auffassungen, die im Gegensatz zu den grundlegenden Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen, werden vom Bundesamt für Verfassungsschutz gemeinhin als extrem bezeichnet. Das ist die umstrittene Arbeitsdefinition einer Bundesbehörde, der man nicht folgen muss.
Etwas gehaltvoller erscheint diese Definition: Für Rechtsextremisten sind Menschen durch biologische oder kulturelle Herkunft so weit vorgeprägt, dass eine friedliche und gleichberechtigte Koexistenz nicht möglich ist. Daraus werden bestimmte Freund-Feind-Haltungen als naturnotwendig abgeleitet. Dieser Haltung kommt Giordano zumindest gefährlich nahe, wenn er Alboga vorhält, die "Ehrenmorde kommen aus der Tiefe Ihrer Kultur" - gemeint ist der Islam als Religion. Oder wenn er an anderer Stelle ohne jegliche Differenzierung behauptet: "Die Integration der muslimischen Minderheit in Deutschland ist gescheitert."
Für Giordano ist der Islam verantwortlich für Parallelgesellschaften, für mangelnde Deutschkenntnisse der Einwanderer, die Unterdrückung der Frau und Ehrenmorde. Einwände, diese Defizite, Verbrechen und Verwerfungen könnten etwas mit Stammesstrukturen, sozialer Schichtung und der politischen Instrumentalisierung einer Religion zu tun haben, lässt der Publizist nicht gelten.
Als Giordano nur noch wenig rationale Argumente bleiben, beschimpft er den Publizisten und Islamwissenschaftler Alboga, der seit 1980 in Deutschland lebt und hier studierte: "Sie antworten wie jemand aus einem Kulturkreis, dem die kritische Methode völlig unbekannt ist. Diese Errungenschaft der abendländischen Kultur ist dem Islam völlig unbekannt." Dies ist, wenn nicht eine rassistische, so doch eine kulturalistische Argumentationslinie, die nur eine Schlussfolgerung zulässt: Muslime können niemals zu vollwertigen Bürgern dieser Gesellschaft werden - weder als Individuen noch als Kollektiv.
Folgerichtig fordert Giordano das Zweiklassenrecht. Er möchte verbriefte Grundrechte der muslimischen Minderheit von der Gnade der (christlichen) Mehrheitsgesellschaft abhängig machen, wenn er meint: "Ein solches Großprojekt wird hier mitten in Köln errichtet als Religionsausdruck einer fremden Kultur, und die Bevölkerung wird überhaupt nicht gefragt, ob sie damit einverstanden ist." Die Empörung war groß und man vermutete zu Recht Antisemitismus, als 2003 und 2004 Leipziger Bürger Klage gegen den Bau einer Synagoge mit der Begründung einreichten, sie hätten Angst vor Anschlägen, befürchten Ruhestörung, Beschädigungen an den Fundamenten ihrer Häuser und Wertverlust der Immobilien.
Wer angesichts von mehr als einer Million deutscher Muslime und mehr als drei Millionen auf Dauer hier lebender Muslime, die in erster Linie treue Staatsbürger und Steuerzahler sind, von Repräsentanten einer "fremden Kultur" spricht, ist noch nicht rechtsextrem. Zumindest aber ist er eine Rechenschaft über sein republikanisches Verständnis schuldig.
In der Erregung um Ralph Giordanos Äußerungen ist in Vergessenheit geraten, mit wem er spricht. Bekir Alboga ist in Deutschland kein Unbekannter. Seit 1980 lebt er hier, seit 1995 arbeitet der 44-Jährige als eine Art "Brückenbauer" zwischen Islam, Christentum und Judentum. Er ist Vertreter von Ditib, die hundertausende von Muslimen repräsentiert. Ditib, die türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion, ist eng mit der staatlichen türkischen Religionsbehörde verbunden. Seit Jahrzehnten bemüht sich Ditib, den Islam mit den Prinzipien einer laizistischen Republik zu versöhnen. Sie ist gegen Ehrenmord und häusliche Gewalt. In den letzten Jahren setzte sich Ditib intensiv für die Bildung von Mädchen vor allem in den unterentwickelten kurdischen Regionen der Türkei ein. Giordano hätte in Alboga für seine Anliegen einen Bündnispartner finden können. Unnötigerweise brüskiert er hunderttausende von Muslimen in Deutschland, die sich ebenso wie er gegen Verbrechen zur Wehr setzen, die im Namen von Stammestraditionen und einer politisch missbrauchten Religion verübt werden.
Ralph Giordano, dem wir so wichtige Bücher und Interventionen verdanken, vertritt heute ein undifferenziertes Freund-Feind-Denken, und seine Auslassungen sind gefährliche Brandreden, die in der Tradition des Anti-Asyl-Diskurses zu Beginn der Neunzigerjahre stehen. Eine wichtige moralische Instanz demontiert sich selbst. Das ist schade.
(Mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstveröffentlichung in der TAZ vom 29.05.07. Der Journalist Eberhard Seidel befasst sich mit Rechtsextremismus und Islamismus. Anfang der 90er-Jahre stand er auf einer Todesliste von Rechtsextremisten, später attackierten ihn militante Antifas, seit 2000 Islamisten. Er unterscheidet zwischen Islamismus und Islam.)
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