Newsnational Samstag, 02.09.2006 |  Drucken

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Die Rolle der Moscheen - Kommentar

Eine in Großbritannien durchgeführte Umfrage zeigt große Mängel in der Aufgabenwahrnehmung der Moscheevorstände. Was können Moscheevereine zur Extremismusbekämpfung in Deutschland beitragen? Von Omar Abo-Namous

Seit dem 11. September 2001 und den darauffolgenden Katastrophen am 11. März 2004 in Madrid und dem 7. Juli 2005 in London wird der Druck auf Muslime in Verantwortungspositionen größer, in der muslimischen Gemeinschaft gegen diese Terrorakte anzukämpfen. Tatsächlich haben muslimische Vereine und Moscheen spätestens seit den Anschlägen in New York klargemacht, daß solche Anwendung von Gewalt islamisch nicht rechtfertigbar sei. Dies geschah und geschieht sowohl in Pressemitteilungen, als auch in Predigten und religiösen Unterweisungen. Obwohl dies eine gute – und wichtige - Grundlage ist, muss man sich fragen, ob Moscheen nicht mehr im Kampf gegen Terrorismus und Extremismus bieten können – und müssen.

Die Gruppe MPACUK hat 40 (von geschätzten 1000) Moscheen in Großbritannien zu ihren Aktivitäten befragt, die entweder zur Vorbeugung von Extremismus beitragen können oder zur Früherkennung extremistischer Neigungen geeignet sind. Das Ergebnis – wenn auch in Detailfragen erfreulich – war ernüchternd.

Grundlage für die Fragen war die Erkenntnis, dass vor allem Jugendliche von Extremismus bedroht sind. Perspektivlosigkeit, Ausgrenzungsgefühle und Orientierungsschwierigkeiten in religiösen Fragen aber auch Frustration angesichts der Außenpolitik ihres Landes bilden zusammen mit dem Aktionismus der Jugend eine gefährliche Mischung, die von Extremisten genutzt werden kann. Die Hauptvoraussetzung, um die Jugend zu erreichen ist dabei sicherlich die Sprache. Nach der Umfrage halten etwa die Hälfte der Moscheen ihre Freitagspredigten (oder zumindest einen Teil der Predigt) auf Englisch.

48% der befragten Moscheen gaben an, Extremismus in der Freitagspredigt thematisiert zu haben – ein Prozentsatz, der sicher ausbaufähig ist, allerdings Hoffnung geben kann. Zudem erhöht sich der Prozentsatz auf 70%, wenn man nur Moscheen mit englischsprachiger Predigt betrachtet. Während 35% der Gemeinden mit Islamophobie konfrontiert worden sind, haben nur 26% der Moscheevereine aktiv den Dialog mit der Gemeinde gesucht, um Ängste vor Islamophobie zu besprechen und gemeinsam nach Auswegen zu suchen.

Zusätzlich befasst sich die Umfrage mit der Motivierung der Gemeinde zur Teilnahme am politischen Diskurs. Leider sieht die Mehrheit der Moscheevereine in Großbritannien ihre Aufgabe nicht in der Vermittlung von demokratischer Partizipation. Nur 13% der Umfrageteilnehmer gaben an, die Teilnahme am politischen Prozess in ihrer Gemeinde zu ermutigen. Nur 15% der übrigen Moscheen haben Interesse bekundet, in Zukunft die politische Bildung in ihrer Gemeinde zu erweitern.

Wie eine solche Umfrage unter deutschen Moscheen aussehen würde, kann man sich derzeit nur vorstellen – eine entsprechende Umfrage wäre sehr wünschenswert! Im Allgemeinen muss man annehmen, dass das Ergebnis nicht besser aussehen wird als in Grossbritannien. Obwohl einige Moscheen ihre Predigten entweder komplett auf Deutsch halten oder zumindest übersetzen (ob simultan oder als zweite Predigt), muss sicherlich weiter in die „Eindeutschung“ der Moscheen investiert werden, um langfristig weiterhin ein Angebot für die heranwachsenden Generationen bieten zu können und einer Radikalisierung der Jugendlichen vorbeugen zu können. Dazu gehört, dass Vereinsvorstände der deutschen Sprache mächtig sein müssen, wie das kürzlich der Generalsekretär des ZMD, Aiman Mazyek, in einem ZEIT-Interview zurecht einforderte, sowie dass deutschsprachige Imame eingestellt werden.

Bei der Extremismus-Bekämpfung müssen Verantwortliche eine verstärkte Sensibilität zeigen, indem sie auf der einen Seite einen offenen Dialog anstreben, in dem durchaus auch extreme Positionen von den Teilnehmern ohne Angst ausgedrückt werden können, die aber auf der anderen Seite im Verlauf einer fairen Diskussion – auch mit Jugendlichen – ausgeräumt werden. Es hilft nicht, die extremen Positionen mundtot zu machen, man muss sie argumentativ bekämpfen und Alternativen aufzeigen.

Dringend notwendig für eine solche Debatte ist eine vertrauliche und offene Diskussionskultur. Dabei kann es nicht sein, dass ein Diskutant befürchten muss, etwa in einer Anti-Terrordatei aufgeführt zu werden, sobald er eine extreme Position in einer solchen Diskussion vertritt. Moscheevereine und muslimische Vertreter sollten deshalb im Gespräch mit Sicherheitsapparaten und Politikern stets darauf hinweisen, dass Überwachungen, wie sie in einigen Moscheen stattfinden – ob durch technische Vorrichtungen oder durch Spitzel – bei der Extremismusbekämpfung kontraproduktiv sind.

Gleichzeitig sollten deutsche Moscheen bestrebt sein, politische Bildung als Teil der Integrationsbemühungen für ihre Gemeinden anzubieten. Dazu gehören nicht nur Kenntnisse über die Grundprinzipien des deutschen Staates wie etwa parlamentarische Demokratie, Gewaltenteilung oder Föderalismus, sondern auch die Wege zur politischen Partizipation – und damit die Konfliktlösung mittels Diskussion und Konsens – und die Pflichten eines Bürgers der Gesamtgesellschaft und dem Staat gegenüber. An der Stelle kann Hilfe bei kommunalen und bundesweiten Einrichtungen zur politischen Bildung geholt werden.

Der Autor, ein in Deutschland aufgewachsener muslimischer Student, beteiligt sich über sein Weblog http://www.toomuchcookies.net/ an diversen gesellschaftlichen Diskussionen.




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