Newsnational Samstag, 04.02.2006 |  Drucken

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Karikaturstreit: „Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann?“ – Von Aiman A. Mazyek

„Krampf“ der Kulturen der „Huntingtons“ - Wo bleiben die Vernünftigen, die Besonnenen?

Epilog:
„C a f f e e – trink nicht so viel Ka´afee/ Nicht für Kinder ist der Türkentrank, schwächt die Nerven, macht Dich blass und krank. Sei doch kein Muselmann, der das nicht lassen kann.“ So heißt ein aus alten Zeiten stammendes deutsches Kinderlied. Es war die Einstiegshymne meines Musiklehrers zu Beginn fast jeden Unterrichtes über Jahre hinweg. Ich habe damals als Jugendlicher diese Art von Kulturweitergabe als beleidigend empfunden. (Damals wusste ich auch noch nicht, dass die Deutschen Weltmeister im Kaffeetrinken waren.)
Mein bescheidener Protest erschöpfte sich darin, das Lied nicht zu singen. Das Ergebnis: Meine Musiknoten waren nie besser als „befriedigend“ und mein Interesse an der Musik fiel in der Schulzeit eher bescheiden aus. Viel später erst entdeckte ich die reiche, großartige europäische Kultur der klassischen Musik und fand den Zugang – Gott sei Dank und sogar mit Kaffee!


Die dänischen Karikaturen sind im selben Geiste wie das obige Lied gezeichnet – nur krasser: beleidigend, ehrenrührig und mit Vorurteilen aus Jahrhunderten beladen.
Die Karikaturen bedienen alt bekannte Stereotypen: Der Islam ist von Grund auf gewaltbereit (Mohammad als umfunktionierte Bombe), archaisch und barbarisch. Wir kennen diese bisweilen menschenverachtenden Art auch bei der Darstellung der Juden in den Anfängen des vergangenen Jahrhunderts: Der Jude war als geizig, geldgierig und verschlagen gezeichnet worden. Heute: Gleiches Spiel, andere Religion. Darüberhinaus zielen die Karikaturen auf die Diskriminierung und Diffamierung einer zu einer ganz bestimmten Religion gehörigen Gruppe ab.

Auch die Debatte wird nun in diesem Gestus geführt und kommt einem bisweilen „spanisch“ vor, die mittlerweile direkt beschworene Warnung vor dem „schwarzen Mann“ erscheint als Ausdruck ehrlich empfundener Angst, oft aber als „getürkt“. Nicht selten drückt sie mehr über die eigene Befindlichkeit etwas aus, als über die des anderen.

Sie kommt in einer Zeit, in der sich das gesellschaftliche Klima in Europa gegenüber seinen Einwanderern – speziell den Muslimen – extrem verschlechtert hat. Offene Diskriminierungen, die den Islam pauschal als „Terrorreligion“ bezeichnen, jetzt zuletzt wieder von Seiten rechter Gesinnungspolitiker in Dänemark geäußert, kommen immer häufiger vor.
Die Regierungen schauen bis dato weg und eine konstruktive Islampolitik lassen die meisten Staaten vermissen mit zum Teil fatalen Folgen, wie man sieht.

Zugegeben: Wir alle haben den Protest in dieser Heftigkeit und Intensität in der islamischen Welt unterschätzt. Man war ganz allgemein überfordert, deutlich zu sehen an der unglücklichen Krisenbewältigung der dänischen Regierung.
Arabische Länder verhängten Wareneinfuhrboykotte, Botschafter wurden einbestellt, ganze Bevölkerungsgruppen kauften plötzlich keine dänischen Produkte mehr ein. Die dänische Gesellschaft erlitt empfindliche Schläge – nicht etwa kultureller Art – sondern wirtschaftlicher Natur. Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel, jahrelange vertrauensvolle Arbeit von Unternehmen z.B. in Saudi Arabien sind über Nacht zunichte gemacht worden. Die dänische Wirtschaft bekniete daraufhin den Premierminister Rasmussen, er solle sich doch entschuldigen. Dieses Bild sitzt nun tief in den Köpfen der Europäer.

Anstatt aber nun dafür zu sorgen, dass sich die Gemüter mit einer Deeskalationspolitik wieder beruhigen, läutet man eine neue Runde im Streit ein.
Schon heizen auf beiden Seiten die Kommentatoren die Stimmung weiter auf und wittern beweiskräftiges Material ihrer längst verinnerlichten These vom Kampf der Kulturen zu finden. Die Debatte wird instrumentalisiert und viele Medienvertreter wähnen sich schon im „Feldzug für die Pressefreiheit“.
Auf der anderen Seite sieht die islamische Welt ihr monolithisches Bild eines blasphemischen und von Islamphobie durchtränkten Europa bestätigt und meint nun, ein Exempel statuieren zu müssen.

Die Diskussion um Ursache und Wirkung gerät in den Hintergrund, Emotionen und Ressentiments beherrschen das Klima und jeder will dem anderen besserwisserisch und gleich einem Oberlehrer seine Sicht der Welt aufdrücken und obendrein – welch verrückter Gedanke – dies auch noch als Auseinadersetzung von Kultur begreifen.
Doch der Dialog der Kulturen kann nicht destruktiv und verteidigend geführt werden. Das ist immer schon schief gegangen. Das endet nicht einmal mehr im Kampf der Kulturen, es endet beim Kampf von Durchgedrehten um Kultur, die dann keine mehr ist, sondern nur noch eine verdorbene und bittere Speise.

Übrigens: Es ist selbstverständlich, dass Religion kritisiert werden kann, ja ihre Anhänger, wenn nötig, kritisiert werden müssen. Um die Abbildung oder Nichtabbildung des Propheten geht es dabei schon lange nicht mehr. Aber bedeutet das Recht auf freie Meinungsäußerung a priori Blasphemie und die Zementierung von Vorurteilen? Ist die die Strategie der Provokation einziges Stilmittel, wie wir uns zukünftig den kritischen Dialog mit den Muslimen vorstellen? Na dann, gute Nacht!

Die Empörung, die nun die islamische Welt wegen dieser Ereignisse erfasst, wird nun geschickt als Zeichen eines Kampfes gegen die Pressefreiheit umgedeutet. Wohlgemerkt: Empörung – auch ein Menschenrecht. Die Skandierung und Drohungen gewaltbereiter muslimischer Hooligans gehören natürlich entschieden von allen abgelehnt und verurteilt. Sie werden uns aber überproportional via Bildschirm serviert und schinden den Eindruck, als stünde ein Haufen meuternder Truppen vor den Toren Europas und wollen die Meinungsfreiheit abschaffen. Dieses Bild ist absurd. Ganz im Gegenteil, diese Gesellschaften wünschten sich nichts Sehnlicheres als Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit, die in ihren eigenen Ländern kaum vorkommen.

Presse- und Meinungsfreiheit und die Achtung vor der Religion; ein Blick in das Grundgesetz zeigt wie wunderbar beides harmonisch miteinander passen kann, sich nicht gegenseitig aufheben muss. Doch jetzt werden sie als vermeintliche Gegensätze von selbsternannten Barrikadenkämpfern aufgebauscht.

Die Ventile sind geöffnet – die Bogen gespannt – der Kampf kann beginnen. Es gibt auch schon Sieger: die Huntingtons auf beiden Seiten. Und wo bleiben die Vernünftigen, die Besonnenen?




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