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Mittwoch, 25.03.2020 | Drucken |
„The roads not taken.“
Die 70. Berlinale - von Volker-Taher Neef
Vom 20.Februar bis zum 1. März fand die 70. Berlinale statt. Bei diesen Filmfestspielen lief in der Sparte WETTBEWERB das britisch-amerikanische Filmdrama „The roads not taken.“ Der Film hat eine Länge von 85 Minuten und hier treten ausgezeichnete internationale Preisträger auf. Das mit dem „ausgezeichnet“ ist wörtlich zu nehmen! Für die Regie verantwortlich ist die Engländerin Sally Potter (70). Sie schrieb auch das Drehbuch, war für den Schnitt zuständig und komponierte die Filmmusik. 2012 erhob die britische Monarchin sie ob ihrer Verdienste für den Film in den Ritterstand. Sally Potter kann auf zwei Oscar-Nominierungen und 25 erhaltene internationale Filmpreise verweisen. Hauptdarsteller ist der spanische Darsteller Javier Bardem (51). Er spielt den „Vater Leo.“ 1997 würdigte man Javier Bardem mit dem Publikumspreis der Europäischen Filmakademie.
2001 erhielt er als erster spanischer Schauspieler eine Oscar-Nominierung. Als er 2003 den spanischen Filmpreis „Goya“ ausgehändigt bekam, nutzte der Schauspieler seine Dankesrede, um gegen den Irakkrieg zu protestieren. 2008 bekam er den Oscar in der Kategorie Bester Nebendarsteller. 2009 und 2011 brachte es der Schauspieler auf erneute Oscar-Nominierungen. Ferner wurde er in seiner Karriere mit einem Golden Globe geehrt; dem Preis der Filmfestspiele von Venedig sowie dem Darstellerpreis der Filmfestspiele von Cannes. Elle Fanning spielt Molly, Leos Tochter. Die 1998 geborene US-Darstellerin wurde 2017, also mit 19 Jahren, in die „Academy of Motion Picture“ berufen, die jährlich die Oscars vergibt. 2019 gehörte Elle Fanning der Wettbewerbsjury des 72. Filmfestivals von Cannes an. Die US-Darstellerin Laura Linney (56) spielt Rita, die Ex-Ehefrau von Leo. Dreimal ehrte man sie mit dem Emmy, dem wichtigsten Fernsehpreis der USA.
Bisher erhielt Laura Linney drei Oscar-Nominierungen. Die mexikanisch-US-amerikanische Darstellerin Salma Hayek (53) hat die Rolle der Dolores inne. Sie ist die einst große Liebe des Schriftstellers Leo, der sie in jungen Jahren verließ. Salma Hayek kann auf je eine Oscar-Nominierung und eine Golden Globe-Nominierung hinweisen. 2012 erhob sie die französische Regierung in den Rang eines Ritters der Ehrenlegion.
Die deutsche Darstellerin Milena Tscharntke (24) spielt Anni, ein junges Mädchen am Strand. Der Schriftsteller Leo führt mit ihr ein Gespräch. Milena Tscharntke wurde 2019 sowohl mit der Goldenen Kamera als auch mit dem „Studio Hamburg Nachwuchspreis“ gewürdigt. Zum Inhalt: Molly kümmert sich liebevoll um ihren kranken Vater Leo. Eines Tages besucht sie ihn, den erfolgreichen Schriftsteller, in seiner Wohnung in New York. Er reagiert aber weder auf das Klingeln an der Haustür noch auf Telefonanrufe. Molly hat an diesem Tag zwei Termine für ihren Vater vereinbart. Es soll zu Behandlungen beim Zahn- als auch Augenarzt gehen. Beim Eintreten von Molly in seine Wohnung weiß Leo nicht mehr, wie seine Tochter mit Namen heißt. Er leidet an Alzheimer und ist dement. Er bittet sie, das Foto vom Schrank zu nehmen. Ein Hund ist auf dem Foto abgebildet. Leo fragt, wer der Hund ist und wem der Hund gehört. „Papa, das ist Nestor, unser Hund.“ Leo möchte wissen, wo der Hund jetzt ist. Seine Tochter, die nicht glauben mag, wie schlimm es um ihren Vater bestellt ist, antwortet: „Er ist doch schon lange Tod.“ Wie schwer erkrankt Leo ist, zeigt sich auch beim Zahnarzt. Statt mit einer Lösung seinen Mund auszuspülen, trinkt er den Inhalt des Glases in einem Zug leer. Die Zahnärztin sieht Molly an und stellt die Frage: „Warum macht er so etwas?“ Molly ist erzürnt und antwortet: „Mein Vater hat doch einen Namen. Warum sprechen Sie ihn nicht mit seinem Namen an?“ Nach dem misslungenen Zahnarztbesuch geht es zum Augenarzt. Leo kann den ärztlichen Anweisungen wie „bitte rechtes Auge schließen“ oder „bitte halten Sie sich das linke Auge mit der Hand zu“ gar nicht Folge leisten. In dieser Praxis wird auch an Molly die Frage gestellt, warum er das macht? Molly ist erneut aufgebracht und antwortet wieder: „Mein Vater hat doch einen Namen. Warum sprechen Sie ihn nicht mit seinem Namen an?“ Mit dem Taxi soll es nach Hause gehen. Während der Fahrt lässt sich Leo aus dem Taxi fallen. Zum Glück ist er nur leichtverletzt, wie die Ärzte im Krankenhaus feststellen. Molly ruft ihre Mutter an.
Einst waren Rita und Leo verheiratet. Im Krankenzimmer scheint Leo Rita zu erkennen. „Bist Du nicht meine Frau?“ Rita teilt mit: „Leo, wir waren einst verheiratet. Schon lange sind wir geschieden. Ich bin seit Jahren mit einem anderen Mann verheiratet. Du kennst ihn doch, er ist auch Künstler von Beruf, ihr seid euch oft bei Ausstellungseröffnungen begegnet. Du findest ihn sehr sympathisch.“ Leo möchte wissen, warum Rita Nestor nicht mitgebracht habt. „Leo, wir mussten damals Nestor einschläfern lassen. Er war so schwer krank, dass der Tierarzt ihn von seinen Leiden erlöst hatte.“ Leo blickt zuerst Rita und dann Molly an. Er stellt die Frage an beide Frauen: „Wir haben unseren Nestor einschläfern lassen? Kann man kranke Menschen auch einschläfern lassen?“ In diesem Moment kommt ein Arzt ins Krankenzimmer hinein und stellt Leo einige Fragen zu seinem Gesundheitszustand. Leo kann nicht eine einzige Frage beantworten. Der Mediziner schaut Molly an und fragt: „Hat er das schon lange?“ Molly schreit: „Mein Vater hat doch einen Namen. Warum sagen Sie seinen Namen nicht?“ Der Arzt verlässt daraufhin wortlos das Zimmer und die Mutter nimmt die weinende Tochter in den Arm. „Schätzchen, merkst du es denn wirklich nicht? Oder willst du es nicht sehen? Papa bekommt nichts mehr mit.“ Molly fährt mit ihrem Vater nach Hause. Sie will diese Nacht bei ihm bleiben und auf ihn aufpassen. Als sie eingeschlafen ist, steht Leo auf. Barfuß, nur mit einem Pyjama bekleidet, spaziert er nachts orientierungslos durch New York. Als Molly plötzlich aufwacht und ihren Vater nicht vorfindet, ruft sie sofort die Polizei an.
Eine Funkstreifenbesatzung hatte Leo bereits entdeckt. Man bringt ihn unbeschadet nach Hause. Molly ist nun klar, sie muss eine Entscheidung treffen. Leo kann alleine nicht mehr in der Wohnung bleiben. Molly wird in jungen Jahren auch bewusst: Der Mensch hat kein Anrecht darauf, vom ersten Tag seines Lebens bis ins hohe Alter gesund zu bleiben. Man selber, die Eltern, die eigenen Kinder, nahe Verwandte, Freunde, Kollegen und Nachbarn können durch einen Unfall, einen Schlaganfall oder eine Krankheit plötzlich zum Pflegefall werden. Sally Potter und das gesamte Filmteam haben diese Selbstverständlichkeit eindringlich ins Bewusstsein der Zuschauer gerufen. Dazu zählt auch, dankbar zu sein! Molly durfte jahrelang ihren Vater, zu dem immer ein sehr liebevolles Verhältnis bestand, um sich haben. Erst nach dem erfolgreichen Studium der Tochter machte die Krankheit Leo zu schaffen. Wie viele Kinder haben bereits in jungen Jahren einen Elternteil oder sogar beide Elternteile früh verloren? Ist der Mensch, egal ob er einen religiösen Bezug hat oder nicht, wirklich immer für ein langes Leben mit seinen Eltern dankbar? Sieht er diesen Umstand nicht als „Gottgegeben“, als etwas Natürliches, an?
Das Filmdrama „The roads not taken“ berührt uns Zuschauer; es geht unter die Haut. In der Pressekonferenz teilte Sally Potter mit, sie habe sehr gute Beweggründe für einen Film dieser Art gehabt. 2010 war ihr Bruder Nic an Demenz erkrankt, er verstarb zwei Jahre später. Oscar-Preisträger Javier Bardem hatte sich intensiv bei Familien mit dementen Familienmitgliedern und Betroffenenverbänden auf seine Rolle vorbereitet. Seine beste Ratgeberin war jedoch Sally Potter, die berichten konnte, wie sie ihren kranken Bruder gepflegt und welche Gespräche man geführt hatte. Ein Berlinale-Film, der mit ausgezeichneten Künstlern ein einzelnes Schicksal, das von Krankheit geprägt ist, offen und ehrlich darstellt. Ein absolut sehenswerter Film! (Volker-Taher Neef, Berlin)
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