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Montag, 16.12.2019 | Drucken |
"Staat, Politik und Verwaltung sind auf organisierte Ansprechpartner angewiesen"
Deutsche Islamkonferenz (DIK): Staatssekretär Markus Kerber will die Imamausbildung der Moscheegemeinden weiterhin unterstützen und finanziell stärken - Im Interview mit KNA
Berlin (KNA) Vor einem Jahr startete die vierte Phase der Deutschen Islamkonferenz (DIK). 2006 vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) begründet, dient sie als Dialogplattform zwischen Staat und Islam in Deutschland. Seitdem wurden viele Initiativen angestoßen, um die Integration der schätzungsweise fünf Millionen Muslime zu verbessern.
Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) berichtet der Staatssekretär im Bundesinnenministerium und Koordinator der DIK, Markus Kerber, über aktuelle Projekte und künftige Herausforderungen.
KNA: Herr Kerber, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hofft für die Zukunft auf einen Islam in, aus und für Deutschland. Was heißt das genau?
Kerber: Es geht um einen Islam, der seinen Gläubigen dabei hilft, sich in Deutschland zuhause zu fühlen und das Leben in der deutschen Gesellschaft nicht als Widerspruch zu ihrem Glauben zu sehen. Einen Islam, dessen Institutionen finanziell und organisatorisch nicht mehr an die Herkunftsländer gebunden sind und dessen Lehren nicht im Widerspruch zum Wertefundament der freiheitlich-säkularen Demokratie stehen. Wir wollen einen Islam, der sich nicht in Parallelwelten verschließt, sondern in das Gefüge von Staat und Gesellschaft integriert. Diese ganze Entwicklung will die DIK in den drei Bereichen Religionspolitik, Integrations- und Gesellschaftspolitik begleiten und dabei förderliche Impulse setzen.
KNA: Beginnen wir mit der Religionspolitik. Was tut sich da?
Kerber: Da liegt unser Schwerpunkt momentan auf der Ausbildung des religiösen Personals in den Moscheegemeinden. Wir brauchen mehr Imame, Prediger und Gemeindepädagogen, die in Deutschland aufgewachsen und ausgebildet sind. Sonst stellen die Gemeinden weiter Leute aus dem Ausland ein, die den deutschen Lebensalltag nicht kennen, die Integration nicht fördern und nach ein paar Jahren wieder weg sind. Eine staatliche Ausbildungsregelung für Imame würde der Religionsfreiheit widersprechen. Im Rahmen der DIK können wir aber auf die Islamverbände einwirken, die Ausbildung ihres Moscheepersonals in Deutschland zu forcieren. Im Juni gab es dazu in Hannover ein zweitägiges Expertentreffen.
KNA: Der größte Moscheeverband, die türkische Ditib, sträubte sich immer wieder, die Anstellung von Imamen der türkischen Religionsbehörde Diyanet zurückzufahren. Ankara scheint daran kein Interesse zu haben.
Kerber: Bei der Ditib tut sich inzwischen einiges. Ich war im Februar zusammen mit zwei Ditib-Vertretern zu einem Gespräch mit dem Chef der Diyanet zur Frage der Imame in Ankara und traf auch den Berater von Erdogan. Mein Eindruck war, dass unser Anliegen auch verstanden wurde. Im Januar eröffnet die Ditib in der Eifel ein erstes Imam-Seminar. Das ist ein wichtiger erster Schritt. Im kommenden Jahr werde ich weitere Gespräche in Maghreb- und Balkanländern über die Ausbildung religiösen Personals führen. Die Ablösung der Muslime von ihren Herkunftsländern ist aber psychologisch keine leichte Sache und braucht Zeit.
KNA: Mittlerweile gibt es in Deutschland fünf Fakultäten für islamische Theologie mit jährlich hunderten Absolventen. Warum ist das Problem damit nicht gelöst?
Kerber: Weil die meisten Absolventen nicht in die Gemeindearbeit wollen. Die Löhne für Imame sind niedrig, die Leute streben lieber in die Privatwirtschaft, den öffentlichen Dienst oder ins Lehramt. Mittelfristig müssen wir deshalb überlegen, wie wir die Gemeinden finanziell stärken und von ausländischen Zahlungen unabhängiger machen können. Eine Moscheesteuer bringt nicht viel, so lange die Verbände so wenig eingetragene Mitglieder haben. Wir können die Gemeinden bei der Bezahlung ihres Personals als Staat aber auch nicht direkt unterstützen. Denkbar ist, dass wir zum Beispiel bei der Integrationsarbeit unter die Arme greifen und so mehr Mittel für die Bezahlung des Personals bleibt. Das können aber nur Übergangslösungen sein.
KNA: Damit sind wir beim zweiten Arbeitsfeld der DIK, der Integrationspolitik.
Kerber: In diesem Bereich haben wir im November das Projekt "Moscheen für Integration - Öffnung, Vernetzung, Kooperation" vorgestellt. Damit fördern wir in 50 Moscheegemeinden und alevitischen Cem-Häusern Aktivitäten, durch die sie den Kontakt mit ihrer Nachbarschaft und ihrer Kommune verbessern. Das können Projekte der Kinder- und Jugendbetreuung sein, interkonfessionelle Aktivitäten und Angebote, Infoveranstaltungen, die Einrichtung von Begegnungszentren und mehr. Insgesamt haben wir dafür sieben Millionen Euro in den nächsten drei Jahren bereitgestellt. Als Trägerorganisationen werden die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung, der Paritätische Wohlfahrtsverband, das Goethe-Institut und die Otto-Benecke-Stiftung den Moscheen bei der Projektarbeit begleiten und unterstützen.
KNA: Nach welchen Kriterien suchen Sie die Fördergemeinden aus?
Kerber: Wir schauen nach solchen, die bei der Integrationsarbeit schon etwas vorzuweisen haben, über personelle und räumliche Mittel verfügen und eine gewisse Repräsentativität für den Mehrheitsislam haben. Außerdem stellen wir sicher, dass die Gemeinden auf dem Boden der Verfassung stehen.
KNA: Bleibt noch der Bereich Gesellschaftspolitik. Wo liegen da die Schwerpunkte? Kerber: Zum einen wollen wir mehr gegen Islamfeindlichkeit tun, aber auch gegen den Antisemitismus unter Muslimen. Dazu hat die DIK in diesem Jahr Workshops organisiert. Genauso wichtig für die Entwicklung eines Islam der Muslime in Deutschland ist aber die innermuslimische Debatte, zwischen den Verbänden und nichtorganisierten Muslimen, Konservativen und Liberalen. Anders als in der vorherigen DIK-Phase, wo es mehr um religionspraktische Themen ging, fördern wir diese Gespräche mit einer Reihe von Foren. Der Islam in Deutschland wird immer heterogen sein, und noch gibt es zwischen den verschiedenen Strömungen starke Spannungen. Die können wir als Staat nicht auflösen, sondern da müssen sich die Muslime untereinander annähern. Der Staat kann diese Debatten aber fördern und er muss dabei deutlich machen: Uns geht es hier auch um die Anerkennung säkularer Werte wie den Vorrang unserer Verfassung vor religiösem Recht und die Gleichberechtigung der Geschlechter.
KNA: Das richtet sich in erster Linie an die Adresse der Verbände, die einen traditionellen, patriarchalischen Islam und nur ein Fünftel aller Muslime in Deutschland vertreten...
Kerber: ...aber die allermeisten Moscheen betreiben. Zugleich sind Staat, Politik und Verwaltung auf solche organisierten Ansprechpartner angewiesen. Die Islamverbände müssen aber lernen, dass es in ihrem eigenen Interesse ist, sich den Werten der Mehrheitsgesellschaft zu öffnen und auch auf progressive Muslime zuzugehen, oder solche, die ihre Religiosität als reine Privatsache verstehen und nicht ständig als Muslime definiert werden wollen, sondern als Bürger eines säkularen Landes. Und diese Muslime sind die klare Mehrheit. Der Versuch von Verbänden, einen traditionellen, landsmannschaftlich geprägten Islam wie in den Herkunftsländern zu etablieren, wird nicht funktionieren. Da wird es immer Reibungen geben. Ich habe die Hoffnung, dass der Widerstand der Verbände gegen einen Islam in, aus und für Deutschland langsam abschmilzt, auch wenn es noch zehn Jahre oder länger dauert.
KNA: Seit 2015 kamen Hunderttausende neue Muslime ins Land, viele bringen ein rückwärtsgewandtes Islamverständnis mit. Gibt das den konservativen Islamvertretern nicht Auftrieb?
Kerber: Viele Moscheegemeinden haben die Ankömmlinge willkommen geheißen. Aber inzwischen stelle ich in Gesprächen mit Verbandsfunktionären fest, dass da auch viel Frust herrscht. Die Lebensmuster, Sichtweisen und Orientierungspunkte von Muslimen, die in sehr traditionellen Gesellschaften aufgewachsen sind, unterscheiden sich zuweilen sehr von den hiesigen kulturellen Gepflogenheiten, die, auch für lange hier lebende Muslime selbstverständlich sind. Ich erlebe dann, dass Verbandsvertreter ihre Rolle auch so verstehen, für unsere Gesellschaftsordnung zu werben. Wir sehen also wohl keinen Schulterschluss, sondern müssen eher aufpassen, dass sich die Gräben innerhalb der muslimischen Community nicht vermehren oder vertiefen.
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