Artikel Montag, 19.02.2018 |  Drucken

Teatro de guerra - Theatre of War - Die 68. Berlinale

Bei der 68. Berlinale 2018 lief in der Sparte Forum der in diesem Jahr entstandene spielerische Dokumentarfilm „Teatro de guerra“. Der englische Titel lautet „Theatre of War.“ Regie führt Lola Arias. Eine Film-Rezession

Bei der 68. Berlinale 2018 lief in der Sparte Forum der in diesem Jahr entstandene spielerische Dokumentarfilm „Teatro de guerra“. Der englische Titel lautet „Theatre of War.“ Regie führt Lola Arias. Sie kam  1976 in Buenos Aires zur Welt. Erfolgreich studierte sie Literaturwissenschaft und Dramaturgie. Die Argentinierin ist Autorin, Theaterregisseurin, Bildende Künstlerin, Musikerin und Performerin. Sie macht uns mit rund einem Dutzend Herren aus Argentinien und Großbritannien bekannt, die sich alle mit SIR und SENOR anreden. Man ist nicht einfach „Jack“ oder „Jose“, die britische und südamerikanische Höflichkeit soll nicht außen vor bleiben und so wird man mit „Senor Jose“ oder „Sir Jack“ angeredet. Das verblüfft um so mehr, da die Herren indirekt ihr Leben „der anderen Seite“ zu verdanken haben.

Die Argentiniern den Briten, die Briten den Argentiniern. Die Jüngsten dieser Herren sind Jahrgang 1962, einige bedeutend älter. Man ist von Beruf Postbote, Gärtner, Polizeibeamter und Lackierer oder übte einst diese Tätigkeit aus und ist mittlerweile im Ruhestand. Hätte man damals sein heutiges Gegenüber erschossen, wäre es niemals zu einer Mordanklage gekommen. Ganz im Gegenteil, es hätte sogar für ein vielfaches Töten einen Orden, eine Geldprämie und Sonderurlaub gegeben. Diese hier anwesenden Herren haben sich von April bis Juni 1982 bekämpft auf Leben und Tod. Für die Briten ging es um die Falklandinseln, für die Südamerikaner um die Malwinen. Eine kleine Inselgruppe im Südatlantik, knapp 12 Quadratkilometer groß. Dort leben 3.000 Bewohner. Der damalige argentinische Präsident und Anführer der Militärjunta, General Leopoldo Galtieri, wollte die unter britischer Hoheit stehende Inselgruppe einverleiben und ließ Soldaten an Land gehen. Großer Widerstand durch Großbritannien wurde nicht erwartet, da auf den Falklandinseln nur ein kleiner Trupp britischer Soldaten sich befand. Die damalige britische Regierungschefin Margaret Thatcher sprach von „argentinischen Eindringlingen“ und setzte die britische Kriegsmaschinerie von London aus in Gang. Sowohl aus Argentinien als auch aus Großbritannien kamen zahlreiche Militärangehörige auf die Malwinen.

Am Ende des Krieges waren insgesamt 910 Tote zu beklagen Regisseurin Lola Arias begann 2014, nach Kriegsteilnehmern auf beiden Seiten zu suchen. Zu diesem Zeitpunkt startete sie auch ihre Videoinstallation, die 2018 endete. Die Künstlerin brachte die ehemaligen Kämpfer zuerst in Buenos Aires zusammen, dann fuhr man mehrfach gemeinsam auf die Inselgruppe. Wobei angemerkt werden muss, die Südamerikaner nahmen Kurs auf die Malwinen, die Briten Kurs auf Falkland. Haargenau weiß jeder ehemalige Soldat noch, wo er an Land ging und wo er kämpfte. Ein Brite, nennen wir ihn Alan, begründet das so: „Wer einmal im Krieg war, der hat was mitgemacht. Das Geschehen des Krieges vergisst Du nie.“ Dem pflichtet ihm ein anderer Brite bei: „Bis heute nehme ich Antidepressiva und Schlaftabletten. Ohne Schlaftabletten schlafe ich nicht ein.“ Ein Argentinier berichtet: „Nach diesem Kriegseinsatz habe ich 8 Jahre lange alles geschluckt, gesoffen und inhaliert. Alkohol, Heroin, Haschisch, Tabletten - Cocktails. Hätten meine Frau, die immer zu mir hielt, sowie meine Schwester mich nicht zwangsweise für einige Zeit in eine Klinik eingewiesen, ich würde heute nicht mehr am Leben sein.“ Noch etwas sehr intimes gibt er von sich: „Mit einem Kugelschreiber habe ich in der ersten Nacht stundenlang im Dunkeln die Wände meines Klinikzimmers bemalt. Am frühen Morgen sah ich bei Tageslicht: Ich hatte die Berghöhe mit allen Häusern und Straßen gemalt, die man mir damals befohlen hatte mit meinem Trupp einzunehmen.“  Wie sehr der Krieg seine Spuren hinterlassen hat, belegt die Aussage eines Briten: „Seit diesem Krieg esse ich kein Corned Beef mehr. Ich besuche auch keine Schnellrestaurants, wo man Hamburger serviert. Ich habe heute keine Aversionen mehr gegen die Argentinier, wenn ich aber lese, „Fleisch von guten argentinischen Rindern“, kommen alle schrecklichen Kriegserinnerungen wieder zum Vorschein.“

Der britische Gärtner kann von einem Erlebnis am Flughafen erzählen: „Der Betrieb, für den ich tätig bin, bekam nach einer Ausschreibung den Auftrag, das Gras an einem Flughafen zu mähen. Einmal sah ich in unmittelbarer Nähe meiner zu mähenden Rasenfläche ein argentinisches Flugzeug landen. Ich zitterte am ganzen Körper.“ Es waren „ja Kampfbomber mit dem argentinischen Hoheitsabzeichen, die ihre Bombenlast einst über uns abgeworfen hatten. Das selbe Hoheitsabzeichen hatte auch die Passagiermaschine.“ Ein Brite zog die Hose aus. Was war los mit ihm? Er wirkte nicht angetrunken, was hatte er vor? Er sprach die „Senores“ an, ob sie „mal sein Kriegssouvenier anfassen möchten?“ Nach so vielen Jahren nahm er sein Schicksal jetzt mit typisch schwarzem englischen Humor. „Anfangs war ich nur traurig.“ Dem Mann fehlt ein Bein und sein Plastikbein kommt zum Vorschein. „Das schlimmste für mich als Engländer ist danach gewesen, ich konnte keinen Fußball mehr in meiner Mannschaft spielen.“ Ein Argentinier berichtet seine Erlebnisse mit einem Bein. „Am Strand fand ich ein abgetrenntes Bein vor. Es steckte in einer argentinischen Militärhose. Vom restlichen Körper haben wir nichts mehr gefunden.

Ich wusste sofort, wem das Bein zuzuordnen war. Ein Kamerad war ein Fußballbesessener. Er trug niemals die Militärsocken, sondern die Socken mit den Vereinsfarben seines Heimatvereins. Das abgetrennte Bein steckte in dieser Fußballsocke.“ Alan kann berichten, dass er am ersten Tag auf Falkland einen Sterbenden hörte und zu ihm rannte. Ein argentinischer Offizier war von Handgranaten schwer verletzt worden. „Im perfekten Oxford-Englisch bat mich der Mann darum, bei ihm zu bleiben, bis er gleich erlöst werde. Er konnte noch flüsternd mitteilen, vor Jahren habe er in Oxford studiert und fragte mich: Warum das Ganze? Warum das alles für diese kleine Insel?“ Der Sterbende bat auch darum, man möge ihn tief eingraben, die Füchse sollten nicht an seinem Körper nagen. Man erfüllte dem Offizier diese Bitte. Plötzlich starb hier „kein Gegner, hier starb ein Kamerad in einer anderen Uniform als ich sie trug. Hier ist ein Mensch gestorben.“ Ein anderer englischer Soldat gibt sein Geheimnis preis, das ihn Tag und Nacht belastet: „Wir bekamen den Befehl, in eine bestimmte Richtung zu marschieren. Mit Maschinenpistolen und Handgranaten kämpfte sich mein Zug den Weg frei. Ein argentinischer Soldat erhob bei unserm Vorstoß die Hände. Es sollten aber keine Gefangenen gemacht werden, weil wir nicht stark genug waren, diese zu bewachen. Wir haben die Genfer Konvention und die Haager Landkriegsordnung nicht angewandt und den armen Teufel regelrecht hingerichtet.“ Alan hat nachgefragt, wer ein Musikinstrument spielen kann. Der britische Hobbymusiker hat eine gemischte Band gegründet. Argentinier und Briten spielen gemeinsam ein von ihm verfasstes Lied. Es trägt den Titel „Have You ever seen the War?“

Im Text fragt er nicht nur danach, ob man jemals einen Krieg gesehen und miterlebt hat. Alan fragt auch, ob man jemals einen Menschen im Krieg hat sterben sehen. Er sah ja den argentinischen Offizier sterben, dessen Hand er bis zuletzt berührte. Das war der Auslöser zu diesem Song. Im Text heißt es auch: „Hast Du jemals einen toten Kameraden zu Grabe getragen und am offenen Grab die weinende Mutter deines getöteten Kameraden getröstet?“ Lola Aries hat nach der Premiere ihres Films auf der Pressekonferenz mitgeteilt, zu der Eskalation um diese Inselgruppe sei es auch gekommen, weil die Militärjunta von eigenen Verfehlungen und aufkommender Demokratiebewegung in Argentinien ablenken wollte durch diesen Krieg. Margaret Thatcher nahm den Fehdehandschuh dankbar auf. Konnte sie doch auf eine hohe Unterstützung für sich und ihre Partei nach der nächsten Wahl zum Unterhaus hoffen. „Weder die Chefs der Militärjunta noch Frau Thatcher waren aktiv im Krieg. Sie ließen kämpfen und betrachteten von der Ferne aus diesen Krieg.“ 

Was nebenbei noch auffällt: Niemals wird von einem „Krieg Christen gegen Christen“ gesprochen. Argentinien, sehr katholisch geprägt, Großbritannien, sehr der anglikanischen Kirche zugewandt, was die Religionszugehörigkeit betrifft, wird anders historisch eingeordnet als der Krieg zwischen dem Irak und dem Iran von 1980 bis 1988. Er forderte fast 0,9 Millionen Tote. 

Da wird sehr oft von einem „muslimischen Krieg“ oder „Krieg zwischen Sunniten und Schiiten“ geredet. Der Krieg zwischen Argentinien und Großbritannien scheint kein „Krieg Christen gegen Christen“ gewesen zu sein für einige Militärhistoriker. Wie dem auch sei. Lola Arias zeigte mit „Teatro de guerra - Theatre of War“ was Menschen anderen Menschen antun können. Sind wir wirklich nicht in der Lage, Konflikte gewaltfrei zu lösen? Damit dieser Krieg und das Leid nicht in Vergessenheit geraten kann, hat die Regisseurin die Erlebnisse, die die ehemaligen Soldaten erlebt hatten, von Schauspielern auf Bühnen nachspielen lassen. Als Berater standen den Künstlern die ehemaligen Kriegsteilnehmer zur Verfügung. 

Da ist Aussöhnung schon gelungen. Andere Kriegsgebiete und Krisengebiete wie Naher Osten, Korea und die Krim beispielsweise warten noch auf die baldige Aussöhnung. Ein großes Lob an die Berlinale, den mittlerweile bei uns hierzulande fast in Vergessenheit geraten Krieg im Südatlantik filmisch anzusprechen und die Aussöhnung von „SIR JOHN“ und „SENOR JOSE“ und den anderen ehemaligen Kämpfern uns Zuschauern miterleben zu lassen. (Volker-Taher Neef, Berlin)




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