Artikel Dienstag, 10.01.2017 |  Drucken

Racial Profiling als Mittel den Rechtsstaat zu sichern?

Nach den massenhaften Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht 2015/16 stand die Kölner Polizei dieses Jahr unter besonderem öffentlichem Druck. Fernsehbilder von jungen Männern, die vor dem Hauptbahnhof Gruppen bildeten, junge Frauen einkreisten und sexuell belästigten, sollten diesmal unbedingt verhindert werden. Ein Massenaufgebot an Landes- wie Bundespolizisten wurde deshalb bereits Stunden vor dem Beginn der Silvesterfeierlichkeiten an zentralen Plätzen der Domstadt, insbesondere im Vorfeld des Hauptbahnhofs, aufgeboten.

Um zu verhindern, dass sich derartige Kollektivverbrechen wie ein Jahr zuvor wiederholten, wurden bereits in Zügen mit Richtung Köln verdächtige Personen kontrolliert und bei tatsächlicher oder vermeintlicher Aggressivität festgenommen bzw. in Köln am Ausstieg aus den Zügen gehindert. Auch am Bahnhofviertel selbst kam es zu etlichen Festnahmen und zur Verordnung von mindestens 650 sogenannten „Platzverweisen“. Die Tatsache, dass fast alle, die von außerhalb zum Feiern in die Kölner Innenstadt gekommen waren, anschließend unversehrt in den Zug steigen und die Heimfahrt antreten konnten, hat sich demnach tatsächlich dem Sicherheitsgefühl der Bevölkerung dienlich erwiesen.

Da voriges Jahr im Wesentlichen von Tätern „nordafrikanischer Herkunft“ bzw. „nordafrikanischen Aussehens“ berichtet worden war, galt dieses Kriterium manch einem in Polizei- und Sicherheitsbehörden nun allerdings offenbar als Synonym für potentielle Straffälligkeit. Auf Twitter kommentierte ein Sprecher der Kölner Polizei diesen Masseneinsatz mit den zweideutig erscheinenden Worten. „Am HBF werden derzeit mehrere hundert Nafris überprüft. Infos folgen“.

Wenngleich er sich mit dieser Aussage, die den Behörden von Kritikern den Vorwurf des „racial profiling“ einbrachte, nicht identifizieren wollte, sei dem Kölner Polizeipräsidenten Jürgen Mathies zufolge die Bezeichnung „Nafri“ bereits seit längerem eine polizeiinterne Begriffswahl. Sie bezeichne jedoch lediglich die ethnische Herkunft einer bestimmten Personengruppe. Ob einer als potentieller Straftäter anzusehen und zu behandeln sei, werde hingegen anhand dessen individuellem Verhalten und sichtbaren Aggressionspotential entschieden. Weshalb so eine „ethnische Bezeichnung“ nun aber ausgerechnet im Polizeisprachgebrauch auftaucht und wieso 98% der erteilten Platzverweise dieser Silvesternacht an junge Männer mit maghrebinischen Wurzeln erteilt wurden, erscheint vor diesem Hintergrund allerdings wenig plausibel.

Allein die Tatsache, dass im Vorjahr die Majorität der Täter tatsächlich aus den Maghrebstaaten stammende, im Wesentlichen als Asylbewerber nach Deutschland gekommene junge Männer gewesen sind und überproportional viele Männer gleicher Herkunft und Altersgruppe diesen Silvester erneut nach Köln unterwegs waren, kann hierfür nicht als Erklärung herhalten. In diesem Kontext erscheint der von der Polizei öffentlich zurückgewiesene Begriff „racial profiling“ durchaus eine gewisse Berechtigung zu besitzen. Wenn ein Polizeisprecher dazu noch anmerkt: „Wie ein Nordafrikaner grundsätzlich aussieht, das weiß man“, drängt sich der Eindruck, die Sicherheitsorgane handelten nicht nach Rationalität, sondern aufgrund von stereotypisierten Pauschalassoziationen, geradezu auf.

Die überproportionale Häufigkeit junger, in den letzten Jahren nach Europa eingereister Männer aus Nordafrika im Zusammenhang mit bestimmten Straftaten sollte bei Politik und Behörden durchaus benannt und daraus entsprechende Konsequenzen gezogen werden. Diese Konsequenzen können jedoch nicht darin bestehen, Menschen mit tatsächlichem oder vermeintlichem maghrebinischen Migrationshintergrund pauschal als potentielle Straftäter zu behandeln und ihnen die freie Partizipierung am Gesellschaftsleben in Deutschland einzuschränken. Vielmehr gilt es, die Ursachen dieser Straffälligkeit zu ergründen und zu beseitigen. Hierzu dürfte objektive oder zumindest subjektive Perspektivlosigkeit gehören, die bei einer behördlich sanktionierten oder gar betriebenen Stigmatisierung noch verstärkt wird.

Wer den Eindruck gewinnt, die Prinzipien des deutschen Rechtsstaates gälten für ihn selbst aufgrund seiner Herkunft, seiner Religion oder seiner Aussehens nicht,  wird keine Energie aufbringen, sich im Sinne dieses Rechtsstaats zu verhalten. Befördert wird stattdessen eine Oppositionsmentalität gegen die Mehrheitsgesellschaft, die sich auch in Straftaten ihren Ausdruck suchen kann. Man bestielt oder belästigt andere nun nicht mehr ausschließlich, um sich einen persönlichen Vorteil zu verschaffen, sondern auch, um der übrigen Gesellschaft das Signal zu senden, an ihre Normen nicht gebunden zu sein.

Um Kollektivstraftaten der Qualität der Silvesterübergriffe von vorigem Jahr langfristig auszuschließen, ist es einerseits unabdingbar, jeden mit erkennbar kriminellen Absichten – unabhängig von Aussehen oder Herkunft – mit allen rechtsstaatlichen Mitteln an der Ausübung seiner geplanten Straftat zu hindern. Gleichzeitig erfordert es jedoch Projekte zu entwickeln, über die jene jungen desillusionierten Immigranten in der deutschen Gesellschaft wirklich Fuß fassen können. Bei dieser als präventiv zu klassifizierenden Aufgabe sind Polizei und Kriminologie in der Tat überfordert. Sie könnten ihre Erkenntnisse über den als „Gefährder“ geltenden Personenkreis jedoch einbringen in ein gesellschaftspolitisches Gesamtkonzept, in dem Sozialpädagogen, die mit Sprache und Kultur der betreffenden Gruppen vertraut sind, die Hauptarbeit übernehmen.

Ein Teil der Verantwortung gebührt jedoch auch den Medien. Sobald über bereits bestehende Präventionsangebote und deren Erfolge in gleichem Maße berichtet wird wie über Herkunft und Religion von mutmaßlichen Straftätern, wird die Polizei von einem unangemessenen Verhalten befördernden Druck ein wenig befreit. In diesem Klima besteht nicht nur für Ethnisierung von Straftätern in Polizeipräsidien keine Grundlage mehr, Deutschland wird auch als sozialer Rechtsstaat im Inneren und nach außen sein Profil weiter schärfen.

Mohammed Khallouk ist stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland.
Sein letztes Werk „Islamischer Fundamentalismus vor den Toren Europas –Marokko zwischen Rückfall ins Mittelalter und westlicher Modernität“ ist 2016 bei Springer VS in Wiesbaden erschienen.






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