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Freitag, 25.05.2012 | Drucken |
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Untersuchungsausschuss: Günther Beckstein übernimmt keine politische Verantwortung für die NSU-Terrormordserie und lobt sich selbst
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): „Wenn alle nur feststellen, dass sie nichts falsch gemacht haben, kommen wir nicht weiter. Es gehe nicht darum, einen individuellen Schuldigen ausfindig zu machen, sondern strukturelle Defizite.“
Länger als ein Jahrzehnt konnte die rechte Terrorgruppe NSU mordend durchs Land ziehen, ohne gefasst zu werden. Alle bayerischen Beamten, die im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags vernommen wurden, haben dennoch so getan, als könne man ihnen keine Versäumnisse vorwerfen. Auch der frühere bayerische Innenminister Günther Beckstein ist dieser Linie treu geblieben. Als Dienstherr über Polizei und Verfassungsschutz trug er aber die politische Verantwortung dafür, dass es zwischen den Sicherheitsbehörden im Freistaat zu einem unwürdigen Gerangel kam.
Dennoch, für Günther Beckstein war es ein besonders schrecklicher Mord, als am 9. September 2000 der türkische Blumenhändler Enver Simsek in Nürnberg durch acht Schüsse getötet wurde. "In meiner Nachbarschaft!", notierte der damalige Innenminister entsetzt an den Rand eines Zeitungsartikels. Der Tatort liegt in der Nähe von Becksteins Wohnung, der CSU-Politiker kannte den Blumenstand. In Beckstein keimte ein fürchterlicher Verdacht: "Bitte mir genau berichten: Ist ausländerfeindlicher Hintergrund denkbar?" So kritzelte er es auf die Zeitung. Es sei in alle Richtungen ermittelt worden, sagt Beckstein. Bei keinem anderen Fall habe man einen derart großen Aufwand betrieben. Tatsächlich hatte Beckstein sogar die türkische Regierung kontaktiert, um Hilfe zu mobilisieren.
Der CSU-Minister habe eine "tragische Rolle" gespielt, sagt die SPD-Abgeordnete Eva Högl. Er habe die Ermittlungen "durchaus engagiert" verfolgt. Doch bei den Recherchen in Richtung Rechtsextremismus sei zu wenig geschehen und der Verfassungsschutz nicht richtig eingebunden worden. Die Linken-Politikerin Petra Pau spricht sogar von einem "Totalausfall" des bayerischen Verfassungsschutzes. Monatelang hatte er die Polizei hingehalten, als diese Daten über Rechtsextreme bekommen wollte. Als Dienstherr auch des Verfassungsschutzes hätte Beckstein seinen Kommissaren zur Seite springen können - so wie er bei anderen Spuren zur Eile drängte: "Das muss beschleunigt werden!", forderte er bei einer Gelegenheit von den Ermittlern.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kritisierte Becksteins Auftritt gestern im Untersuchungsausschuss und sagte der Süddeutschen: "Wenn alle nur feststellen, dass sie nichts falsch gemacht haben, kommen wir nicht weiter. Es gehe nicht darum, einen individuellen Schuldigen ausfindig zu machen, sondern strukturelle Defizite. Hierzu hat Herr Beckstein heute leider nicht beigetragen." Bei Vernehmungen von Beamten der Polizei und des Verfassungsschutzes war vor Becksteins Auftritt deutlich geworden, dass die Behörden in Bayern fast neun Monate lang über einen Datenaustausch gestritten hatten. Beckstein sagte dazu, die Ermittler hätten sich direkt an ihn wenden sollen. Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele verurteilte das Verhalten des Verfassungsschutzes scharf. Dieser habe 'schwere Schuld auf sich geladen'. Die SPD-Abgeordnete Eva Högl kritisierte eine 'merkwürdige Aktenführung' des bayerischen Verfassungsschutzes, da sich etliche Aktionen, von denen ein Beamter berichtete, nicht in den Unterlagen fänden
Kommentar der in Süddeutschen Zeitung zu dem Fall
Anders als die Ermittler hatte Beckstein von Anfang an den richtigen Verdacht gehabt und nach einem fremdenfeindlichen Hintergrund der Morde gefragt. Doch in diese Richtung wurde dann nicht konsequent genug recherchiert. Beckstein hat nun - anders als seine Beamten - immerhin seinen Schmerz über die fehlende Aufklärung formuliert und den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl ausgedrückt. Selbst Becksteins Gegner bescheinigen ihm, dass er oft sehr engagiert gegen den Rechtsextremismus gekämpft hat. Deshalb war es überflüssig und auch ein wenig peinlich, dass er sich dafür im Untersuchungsausschuss ausgiebig selbst lobte. Beckstein war auf dem rechten Auge nicht blind. Die Fehler in Bayern waren auch bei Weitem nicht so groß wie in Thüringen und Sachsen, wo die Terroristen untertauchen konnten. Aber die Neonazis aus Thüringen waren auch in Bayern bekannt. Und die Tatsache, dass sein Verfassungsschutz die Polizei monatelang hinhielt und man sich am Ende nur auf einen halbherzigen Datenaustausch einigte, hätte Beckstein dazu bringen können, etwas kleinlauter aufzutreten. Quelle: Süddeutsche Zeitungvon heute)
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