Artikel Freitag, 13.01.2012 |  Drucken

Beim Neujahrsempfang der Deutsch-Arabischen Gesellschaft(DAG): Ein Jahr arabischer Frühling - Zwischen Passivität, Freiheitsliebe und Taktik

Von Manuela Pfohl/STERN.DE - Vor einem Jahr begann in Tunesien der arabische Frühling. Menschen stellten plötzlich in ganz Nordafrika die Machtverhältnisse in Frage und gingen für Demokratie auf die Straßen. Deutschland staunte, und vergaß darüber zu helfen.

Unsicherheit, die - so scheint es zumindest dem einen oder anderen Beobachter aus der arabischen Welt - lange Zeit auch die deutsche Politik bestimmte. Man habe wohl so sehr über die plötzlichen Aufstände in Nordafrika gestaunt, dass man glatt vergaß zu helfen, lästerten gestern einige Gäste auf dem Neujahrsempfang der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG) in Berlin. Die DAG, bekannt für klare Positionen jenseits diplomatischer Gefälligkeiten, hatte zur "Feier des arabischen Frühlings" eingeladen. Eine hochpolitische Angelegenheit, wie sich zeigte. Denn in den Französischen Dom waren nicht nur so illustre Gäste gekommen wie Peter Scholl-Latour und Ulrich Kienzle. Auch die Botschafter und andere politische Vertreter arabischer Staaten gaben sich die Ehre, über den Beitrag des Westens beim demokratischen Umbruch in Nordafrika zu reden. Keine Erfolgsgeschichte, wie schnell deutlich wurde. Die Zurückhaltung der deutschen Politik während des libyschen Aufstandes spielte dabei ebenso eine Rolle, wie die aus Sicht der arabischen Demokratiebewegungen mangelnde Unterstützung für die syrische Opposition.

Da nutzte es Cornelia Pieper, FDP-Staatsministerin im Auswärtigen Amt, wenig, dass sie ein ums andere Mal versicherte, die Bundesrepublik wolle "die Transformationspartnerschaft mit den Staaten des arabischen Frühlings intensivieren" und sei bereit einen "konstruktiven Beitrag zum Umbruch" zu leisten. Das Angebot komme viel zu spät, meinten einige Vertreter arabischer Staaten und waren Aiman Mazyek, dem Chef des Zentralrats der Muslime in Deutschland, ganz offensichtlich dankbar, dass er unumwunden aussprach, was sie dachten: "Der Westen muss endlich ohne Taktiererei an der Seite der arabischen Völker stehen. Wenn das nicht geschieht, verspielt er den letzten Rest von Vertrauen."

Dass man nun nach vorne schauen und die Fundamente für die Zukunft bauen müsse, fand bei den meisten arabischen Politikern, die auf dem Empfang bei Coca-Cola und Halal-Saft über die Revolution diskutierten, Konsens. Nur: Ein Haupthindernis für wirkliche Fortschritte in den deutsch-arabischen Beziehungen sei die nach wie vor im Westen verbreitete Angst vor dem Islam, glaubt Mazyak.

Angst vor dem Islam und nicht vernunft bestimmt das Bild von Arabien

Ein vom Terrorverdacht geprägtes Unbehagen, das ein Jahr nach Beginn des Arabischen Frühlings nicht kleiner geworden ist, und viel damit zu tun hat, dass nicht nur in Tunesien eine islamische Partei die Wahlen gewann. Auch in Libyen deutet wenig darauf hin, dass die traditionellen islamischen Stammeshierarchien aufgelöst werden. Und in Ägypten, wo die umstrittenen Muslimbrüder siegreich aus den Wahlen hervorgingen, arrangierten sie sich prompt mit der salafistischen Hizb al Nour-Partei. Deren prominentester Vertreter, der Prediger Abdelmoonem Al-Shahat, sorgte im Westen unter anderem mit der Forderung für Entsetzen, dass die Statuen der altägyptischen Pharaonen und Gottheiten als heidnische Götzen anzusehen seien und deshalb mit Wachs bedeckt werden müssten.

"Nicht so tun, als hätten wir moralische Bedenken"

Trotzdem: Deutschland müsse endlich zur Kenntnis nehmen, dass die arabische Welt nicht ohne den Islam zu haben sei und dass dazu auch islamische Parteien gehörten, meinen Diplomaten und erhalten Unterstützung von Ulrich Kienzle. "Es käme ja auch keiner auf die Idee sich zu wundern, dass es in Europa christliche Parteien gibt", sagt der frühere Chef des ZDF Hauptredaktion Außenpolitik und fordert stattdessen eine sachliche Differenzierung. Dass in Deutschland allzu rasch von Islamismus gesprochen werde, baue weitere Vorurteile auf statt Mauern einzureißen, und diene lediglich "den Kräften, die nach dem Ende des Kommunismus einen neues Feindbild suchen".

Fathi Ayadi, Vertreter der islamischen En Nahda-Bewegung, die - für den Westen überraschend - Ende vergangenen Jahres die Wahlen in Tunesien gewonnen hat, versicherte, dass die Besinnung auf islamische Werte die Wahrung demokratischer Rechte nicht ausschließe. Im Gegenteil. Sie fördere sie. Und Peter Scholl-Latour erklärte in der ihm eigenen nuschelnden Resolutheit: "Wir Deutschen haben schließlich auch früher schon mit islamischen Parteien zusammengearbeitet und mit Militärdiktaturen. Wir müssen doch jetzt nicht so tun, als hätten wir moralische Bedenken."

Libyens Botschafter Ali Masednah Al-Kothany drückt es diplomatischer aus. Nach langen Jahren der Diktatur und verordneter Sprachlosigkeit müssten Libyen und die anderen arabischen Staaten erst demokratische Strukturen aufbauen. Das sei eine große Aufgabe und jedem Europäer, der kritisiere, dass der gesellschaftliche und politische Wandel nicht schnell genug gehe, sei geraten, sich daran zu erinnern, wie lange es in Europa gedauert hat, ehe sich demokratische Strukturen gefestigt hatten.

Allerdings könne der Westen einiges tun, um den Prozess in der arabischen Welt zu beschleunigen. "Demokratie allein reicht den Menschen nicht. Sie wollen auch Wohlstand", erklärt Al Kothany und schaffte es damit zum Ende des Empfangs, die von Cornelia Pieper so beschworene Transformationspartnerschaft auf eine ganz praktische wirtschaftliche Ebene zu heben. Mehr als "15 internationale Flughäfen, der Bau von Städten und Dörfern mit sämtlichen modernen Einrichtungen, die für mehr als eine halbe Million Familien geeignet sind", und die "Gründung einer großen Flugflotte für die lybischen Fluglinien" sind nur ein kleiner Teil des Demokratie-Unterstützungsplans, den Abdul Majed Zantoti, "Präsident des Höchsten Rates für den Schutz der Revolution", kürzlich an das Bundeskanzleramt sandte - und an dem sich deutsche Unternehmen gern beteiligen können. (Von Manuela Pfohl)



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