Newsnational Dienstag, 08.11.2011 |  Drucken

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Visionen Willy Brandts für den Nahen Osten

Berlin: Erstmals Willy-Brandt-Preis an Dirigent Daniel Barenboim vergeben - Sonderpreis an Kairoer Regisseurin Laila Soliman - Gabriel:"Die Welt würde jubeln, wenn es endlich Frieden im Nahen Osten geben würde"

Erstmals vergab die SPD den von Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder sowie seiner Gattin und von Michael Frenzel, Vorstandsvorsitzender der TUI AG, gestifteten „Willy-Brandt-Preis.“ Die ersten Preisträger waren der 1942 geborene argentinisch-israelische Pianist und Dirigent Daniel Barenboim und die ägyptische Regisseurin Laila Soliman. Sie erhielt den Sonderpreis „für besonderen politischen Mut.“ Bundesminister a.D. und Berliner Ehrenbürger Egon Bahr ist Vorsitzender der Jury. Bei der Preisverleihung im Berliner Willy-Brandt-Haus sagte er, mit dieser Ehrung „werden Persönlichkeiten ausgezeichnet, die sich im Geiste des ehemaligen Bundeskanzlers und Friedensnobelpreisträgers Willy Brandt für Völkerverständigung und Frieden einsetzen.“

Der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel sprach die Umbrüche in Tunesien und Ägypten an. „Diese Demonstranten- vor allem junge Menschen - darunter viele Frauen- haben unter Inkaufnahme eines hohen persönlichen Risikos ihre Rechte erkämpft.“ Zu Israel und Palästina gewandt betonte der SPD-Politiker: „Die Welt würde jubeln, wenn es endlich Frieden im Nahen Osten geben würde.“ Er beklagte: „Zu lange leiden beide Völker unter diesem Kriegskonflikt. Zu viele Kriege hat es gegeben. Zu viele Raketen. Zu viele Anschläge. Zu viele Mauern. Zu viele Siedlungen. Zu viel Unrecht auf beiden Seiten.“

Preisträger Barenboim erinnerte an den Kniefall von Bundeskanzler Brandt in Warschau. Der Visionär Brandt sah ein „dass das jüdische Volk zwar deutsche Hilfe braucht, unbedingt, aber keine blinde Ergebenheit.“ Dieser Staatsmann war auch bereit, „der israelischen Regierung kritische Fragen zu stellen. Ein guter Freund lässt den Freund nicht nur gewähren, er weist ihn auch auf Fehler hin.“

Der Hauptpreisträger Daniel Barenboim arbeitet nunmehr seit Jahrzehnten an der Verständigung zwischen jungen Palästinensern und Israelis. Besonders sein "West-östlicher Divan", eine regelmäßige Konzertreise junger Musiker aus beiden Ländern, ermöglicht den Beteiligten den friedlichen Austausch über die Probleme der Region und weckt durch die öffentlichen Auftritte in aller Welt die Hoffnung auf eine friedliches Miteinander in Nahost. Der Internationale Willy-Brandt-Preis 2011 ist bestens dazu geeignet, beide Preisträger in ihrer Haltung bestärken.

„9 Monate nach Ausbruch der französischen Revolution gab es auch keine Demokratie in Paris. Auch nach dem europäischen Frühling von 1848 kamen erst die Rückschläge und die Konflikte.“ Laudator Hamed Abdel-Samad

„Ist die Anhäufung von Preisen vielleicht ein Anzeichen dafür, dass die europäischen Politiker versuchen, ihr schlechtes Gewissen zu reinigen?“

Die Laudatio auf Frau Soliman hielt der Journalist und Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad: „Dieses Jahr wird als das Jahr des arabischen Frühlings in die Geschichte eingehen. Aber schon bevor dieses Jahr zu Ende ist, redet kaum jemand mehr vom arabischen Frühling. Man redet von Unruhen in Ägypten, vom Aufstieg der Islamisten in Tunesien, vom Bürgerkrieg in Syrien und von der Einführung der Scharia in Libyen.“ Dabei mache doch die Gründung von demokratischen Parteien und Bewegungen sowie die persönliche Beteiligung der gesamten Bevölkerung Hoffnung. Diese Tatsachen „sind aber nicht medienwirksam und finden deshalb kaum Beachtung in Europa.“ Über die Preisträgerin sagte er: „Laila Soliman und die Tahrir- Generation sind der Beweis dafür, dass ein Paradigmenwechsel in Ägypten stattgefunden hat.“ Junge Leute geben sich nicht ihrem Schicksal hin. Die Welt erkennt plötzlich „der viel beschworene Kampf der Kulturen, der zwischen Orient und Okzident ablaufen sollte, findet nun innerhalb der arabischen Welt statt.“ Er erinnerte auch an frühere Revolutionen. „9 Monate nach Ausbruch der französischen Revolution gab es auch keine Demokratie in Paris. Auch nach dem europäischen Frühling von 1848 kamen erst die Rückschläge und die Konflikte.“

Preisträgerin Laila Soliman wies in ihrer Ansprache daraufhin: „Ich komme aus einer Welt, wo politische Parteien keine relevante Rolle spielen. Die SPD kenne ich nur aus der Ferne, aus dem Geschichtsbuch der Deutschen Schule in Kairo.“ Deutliche Worte kamen von ihr zu der aktuellen Situation in ihrem Heimatland. „Die seit dem 25. Januar 1.000 Gefallenen, die 9.000 Verletzten und die eingeschätzt 13.000 vom Militär Verurteilten zeigen ganz klar, dass dieses Regime andere Ambitionen hat und nicht gewillt ist, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, damit wir in einer sozial gerechten und weniger korrupten Gesellschaft leben.“ Die Preisträgerin fragte auch: „Ist die Anhäufung von Preisen vielleicht ein Anzeichen dafür, dass die europäischen Politiker versuchen, ihr schlechtes Gewissen zu reinigen?“

So thematisiert die 30-jährige Soliman, die in Kairo lebt und arbeitet, in ihren Stücken die Umbrüche des arabischen Frühlings und die sich daraus ergebenden Herausforderungen für eine Gesellschaft im Umbruch. Die Jury erkannte ihr aufgrund ihres anhaltenden Engagements unter widrigen Umständen einen Sonderpreis für besonderen politischen Mut zu. Dies ist als Signal an die Menschen in der arabischen Welt zu werten, die nach den erreichten politischen Umwälzungen in ihren Ländern nun demokratische, gerechte und freiheitliche Gesellschaften errichten wollen.

Sebastian Edaty: Beitrag zur Selbstbestimmung

Im Deutschen Bundestag sprachen wir mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edaty über die Preisträger des Willy-Brandt-Preises: „Mit der Theaterregisseurin Laila Soliman und dem Dirigenten Daniel Barenboim als den ersten beiden Preisträgern hat sich die Jury des neu ins Leben gerufenen Internationalen Willy-Brandt-Preises der SPD für zwei Persönlichkeiten entschieden, die in besonderer Weise dem politischen Wirken des Namensgebers gerecht werden. Beide verstehen ihre künstlerische Arbeit als Beitrag zu Frieden und Verständigung, zu Freiheit und Selbstbestimmung. (Volker-Taher Neef, Berlin; Foto: G. Meißner)



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