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Dienstag, 01.11.2011 | Drucken |
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Vielfalt ist die Realität der Gesellschaften unserer Zeit - Von Raschid Bockemühl
Zur Verleihung der Tschelebi-Friedenspreise 2011 an Rabbiner Walter Homolka und Herausgeber des interreligiösen Kalenders „Miteinander 2011 – Juden, Christen, Muslime“
„Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen“, hat Hans Küng gesagt, einer der Väter des interreligiösen Dialogs. Für den Frieden unter den Religionen arbeiten auch die Preisträger des diesjährigen Muhammad-Nafi-Tschelebi-Friedenspreises: der Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka, Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs in Potsdam, und Redaktion und Herausgeber des interreligiösen Kalenders „Miteinander 2011 – Juden, Christen, Muslime“. Beide erhielten dafür am 23. Oktober 2011 in einem Festakt im westfälischen Werl den Tschelebi-Friedenspreis, gestiftet vom Zentralinstitut Islam-Archiv Deutschland, Amina-Abdullah-Stiftung e.V.
Walter Homolka hat sich entschlossen, auf die Spurensuche der gemeinsamen Wurzeln seiner Religion mit der des Islam zu gehen. Dies heute in Deutschland zu tun, setze „enormen Konfliktwillen und vor allem Mut“ voraus – so Laudator Aiman A. Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland.
An diesem Mut hat es dem Rabbiner noch nie gefehlt. Er ist überzeugt, „dass wir Juden doch mindestens genauso mit den Muslimen verwandt sind wie mit den Christen“. Deshalb plädiert er unermüdlich für die Gleichbehandlung und nicht für eine Art „Sonderstatus für die Muslime – unterhalb dessen, was unser Religionsverfassungsrecht vorsieht“. Das sagt er als Jude, denn er hat nicht vergessen, „dass Juden und Muslime viel mehr miteinander verbindet als trennt“.
In dieser Auffassung fühlt sich Homolka bestätigt durch einen Blick in die Geschichte: Es waren Muslime, die den Juden immer wieder zu Hilfe geeilt sind – von den Jahrhunderten des Osmanischen Reiches bis zur Gegenwart. „Für die Juden ist der Halbmond kein schlechtes Zeichen“, hat Homolka einmal gesagt.
Deshalb wendet er sich gegen die neueste deutsche Wortschöpfung vom „Abendland mit seinen jüdisch-christlichen Wurzeln“, weil sie – zum Zweck der Abgrenzung gegenüber dem Islam – eine jahrhundertealte Zusammengehörigkeit von Juden und Christen vortäuscht, die es so nie gegeben hat. Homolka lässt sich, wie Mazyek betont, nicht „gegenüber den Muslimen in Stellung bringen“ – schon gar nicht „vor dem Hintergrund schrecklicher Gräuel an den Juden in Deutschland und Europa“.
„Für die Juden ist der Halbmond kein schlechtes Zeichen“ Walter Homolka
Nicht die eigene Perspektive als Maßstab setzen!
Es gibt schon sehr zu denken, dass nicht nur Homolka und sein Laudator, sondern auch die Laudatorin für den interreligiösen Kalender, Hamideh Mohagheghi, die Vorsitzende der Muslimischen Akademie in Deutschland und Lehrbeauftragte der Universität Paderborn, sich veranlasst sah, die jüngsten Bemühungen zu kritisieren, Europa den Mythos einer „jüdisch-christlichen Identität“ zu verleihen, um den Islam auszugrenzen: „Die Geschichte der Juden in Europa und der achthundertjährige Einfluss des Islam auf Wissenschaft und Philosophie belehren uns, wie verzerrt und bizarr die europäische Selbstwahrnehmung ist.“ Es gelte nicht, die eigene Perspektive als Maßstab zu setzen, sondern den anderen in seinem Selbstverständnis wahrzunehmen.
Deshalb lobt Mohagheghi das Kalender-Projekt, weil es sich erfolgreich bemühe, das Selbstverständnis der jeweiligen Religion, das heißt: die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede, anzuerkennen und respektvoll zu akzeptieren. Dass dieses Prinzip in der Praxis beherzigt wird, schilderte der Sprecher des Redaktionskollegiums, Ralf Lange-Sonntag: Es komme in der Redaktion durchaus zu Kontroversen, aber man suche und finde am Ende einen Konsens, den alle mittragen können.
In der Verleihungsurkunde für den Friedenspreis heißt es, der Kalender schaffe die „gemeinsame Gegenwart des Verschiedenen“ und damit die Voraussetzung, „dass Juden, Christen und Muslime gemeinsam die Zukunft ergreifen können“. So sei er „eine sehr konkrete Maßnahme zur Überwindung der Islamophobie und des Antisemitismus“.
Der interreligiöse Kalender ist – so Mohagheghi – „nicht nur ein Kalender, mit dem wir unsere Tage und Monate planen. Er ist ein Kalender, der uns jeden Tag vor Augen führt, wie vielfältig unsere Gesellschaft ist und welche Bedeutung diese Vielfalt in unserem täglichen Leben haben sollte“. Hier kann der Kalender „ein wertvolles Muster für andere sein“, denn: „Vielfalt ist die Realität der Gesellschaften unserer Zeit.“
Der Namensgeber des Preises, Muhammad Nafi Tschelebi, wirkte als eine muslimische Persönlichkeit syrischer Herkunft in der Weimarer Republik und gründete 1927 das „Islam-Institut“ zu Berlin, den Vorgänger des heutigen Zentralinstituts Islam-Archiv Deutschland, als ein „geistiges Zentrum für den Kulturaustausch zwischen Deutschland und der islamischen Welt“.
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