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Freitag, 08.04.2011 | Drucken |
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Keine Achtung für die Flüchtlinge - Von Heribert Prantl
Lampedusa ist der Name für eine europäische Schande: Früher Boat People, heute werden sie Feinde des Wohlstandes genannt - Plädoyer für eine neue EU-Flüchtlingspolitik
Manchmal werden lebende, manchmal tote Flüchtlinge an die Küsten Europas geschwemmt. Die meisten Flüchtlinge gehen einfach unter, werden vom Meer verschluckt. Wenn das absaufende Schiff besonders groß ist, gibt es neue Fotos aus Lampedusa. Die italienische Insel ist für afrikanische Flüchtlinge ein Rettungsreifen - den man ihnen aber, wenn sie ihn erreichen, wieder wegnimmt. EU-Politiker spielen den Pontius Pilatus. Was soll man machen? Sollen die Leute halt nicht in die klapprigen Boote steigen! Sollen sie bleiben wo sie sind! Sollen sie sich eben nicht in Gefahr begeben! Wer sich aufs Meer begibt, der kommt drin um!
Was soll man machen? Die EU-Politik macht Sicherheitspolitik und betrachtet das Meer als Verbündeten. Das Meer ist das 'Ex' der Grenzschutzagentur Frontex. Die EU sichert die Grenzen mit einem Netz von Radaranlagen und Satelliten, mit Hubschraubern und Schiffen, die die Flüchtlingsboote abdrängen. Diese Politik gilt als erfolgreich, wenn keine oder möglichst wenige Flüchtlinge Europa erreichen. Mit welchen Mitteln das funktioniert, fragt kaum einer, allenfalls ein Verein wie Pro Asyl, der seinen Flüchtlings-Gottesdienst unter das Motto von Psalm 69 stellt: 'Lass die Tiefe mich nicht verschlingen.' Die EU schützt sich vor Flüchtlingen wie vor Terroristen und behandelt sie so. Wer Lampedusa erreicht, wird nicht aufgenommen nach dem Prinzip 'Leistung muss sich lohnen', sondern rücktransportiert nach dem Motto 'Wir können uns euch nicht leisten'. Flüchtlinge gelten als Feinde des Wohlstands. Man fürchtet sie wegen ihrer Zahl. Europa ist zwar nach seiner Selbstbeschreibung ein 'Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts' - aber nur für die, die schon in Europa leben.
Keine Flüchtlings-Auffanglager an den Küsten
Früher nannte man die Leute, die auf Booten ein neues Leben suchten, Boat People. Aber dieser halbwegs wohlmeinende Begriff ist den Vietnamesen vorbehalten, die vor Jahrzehnten vom Hilfsschiff Cap Anamur aus dem chinesischen Meer gefischt und als 'Kontingentflüchtlinge' nach Europa gebracht wurden. Die Zahl war überschaubar. Bei den Flüchtlingen aus Nordafrika ist sie unüberschaubar. Deswegen gibt es keine Hilfsaktionen. Deshalb gibt es keine Pläne, auch nur eine kleine Zahl dieser Flüchtlinge aufzunehmen. Solche Humanität wäre ein falsches Signal, heißt es. Inhumanität ist demzufolge das Richtige.
Aber: Eine Politik gegen 'illegale Einwanderung' kann nur dann erfolgreich sein, wenn man auch ein gewisses Maß an legaler Einwanderung akzeptiert. Wenn überhaupt keine Einwanderung zugelassen, wenn gar niemand aufgenommen wird, wenn es auch keine nachhaltigen Versuche gibt, die Verhältnisse in den Fluchtländern zu verbessern - dann wird die Politik allein von den Menschenschmugglern gemacht. Über deren Menschenverachtung kann man dann lamentieren; sie kann gedeihen, weil es in der EU-Politik keine Achtung für die Flüchtlinge gibt. Es gäbe schon ein Mittel, um die Verhältnisse in den Herkunftsländern zu verbessern: Fair play. Solange europäische Butter in Marokko billiger ist als die einheimische, solange französisches Geflügel in Niger weniger kostet als das dortige, solange schwimmende Fischfabriken alles wegfangen, was zappelt - so lange muss man sich über den Exodus aus Afrika nicht wundern. Die EU-Subventionspolitik ist auch eine Politik, die Fluchtursachen schafft. Die politischen Wirren in den Herkunftsländern kommen dazu.
Gegen eine falsche Politik helfen keine neuen Mauern und keine Flüchtlings-Auffanglager an den Küsten. Solche Versuche fördern nur die Illusion, europäische Export-Lebensmittel weiter subventionieren zu können und den europäischen Reichtum nicht teilen zu müssen. Der Kaiser, der in Max Frischs gleichnamigem Stück 'Die chinesische Mauer' bauen lässt, tut dies, 'um die Zukunft zu verhindern'. Der Kaiser hat in Europa seine Kommissare.
Quelle: Süddeutsche Zeitung, Erstveröffentlichung 08. April 2011, mit freundlicher Genehmigung des Autors
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