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Dienstag, 06.07.2010 | Drucken |
Seit dem Mord an Marwa in Dresden ist leider nicht viel passiert bei der Bekämpfung der Islamphobie - Kommentar in der SZ von Aiman Mazyek
Durch den islamfeindlich motivierten Mord an Marwa El-Sherbini im Dresdner Landgericht vor einem Jahr hatte der Mörder Alex Wiens die größtmögliche Aufmerksamkeit erzeugt. Dies war auch seine Absicht: einen geplanten Mord inmitten einer Gerichtsverhandlung.
Sein vorausgehender und im Strafprozess öffentlich bekannt gewordener Brief sowie seine abfälligen Äußerungen zum Islam im Allgemeinen und zur Frau El-Sherbini und ihrem Sohn im Speziellen –„ Muslime sind alle Terroristen“ - legen für diese Behauptung diesen eindeutigen Schluss nahe.
Das Motiv Hass und Verachtung gegen Muslime wurde aber seitens des damaligen Richters und der Gerichtsverwaltung unterschätzt und daher kam es als Tatmotiv nur marginal in Betracht. Denn sonst hätte der Sicherheitsdienst eingeschaltet und ein Zusammenhang zwischen dem Streit am Spielplatz und Wiens rassistische Gesinnung hergestellt werden müssen. All dies geschah aber leider nicht.
Jetzt ist es ein Jahr her, dass Marwa tot ist. Die Worte „hätte“ und „würde“ gelten nicht. Was passiert ist, ist passiert und wir blicken heute wiederum fassungslos an ihrem ersten Todestag nach Dresden und fragen uns, ob es nach dieser schrecklichen Tat in Deutschland einen Ruck in unserem Land gegeben hat und ob wir aus dem Fall gelernt haben? Hat z.B. die Politik verstanden, dass Islamfeindlichkeit eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung darstellt und dass wir mit allen uns zu Verfügung stehenden demokratischen Mitteln diesen am schnellsten wachsenden Rassismus in Deutschland bekämpfen müssen? Ich will nicht um den heißen Brei reden: Die Antwort lautet leider: Nein. Was dabei besonders schwer wiegt ist die Tatsache, dass diese unterschätzende Haltung gegenüber dem Phänomen Islamphobie salonfähig zu sein scheint.
Besonders frappierend, dass wir diese Haltung heute selbst in höchsten Regierungskreisen antreffen und sehen wie sie sich davor drücken öffentlich Position zum Thema Islamfeindlichkeit zu beziehen. Die Muslime warten bis heute auf eine klare politische Verurteilung dieser Tat und auf ein Zeichen der symbolischen Solidarität mit ihnen. Dazu bedarf es nicht mal der Empathie zu ihnen, um zu erkennen, dass die dahinter stehende islamfeindlichen Haltung des Mörders zwar kein allgemeines deutsches Phänomen darstellt, aber durchaus nicht alleine Rechtsextremismus verortet ist und längst die Mitte unserer Gesellschaft erfasst hat.
Denn wissenschaftliche Studien, seriöse Umfragen und Untersuchungen von renommierten Menschenrechtsinstitutionen (wie zuletzt der UN-Bericht) warnen seit längerer Zeit vor einer Zunahme des Alltagsrassismus gegen Muslime und belegen eine Zunahme von Diskriminierung. Doch scheinbar meint man in Berlin mit der Vogel-Strauß-Politik weiter fahren zu können. Aber dies ist eine Illusion, eine Geisterfahrt mit gefährlichem Ausgang.
Wie gut hätte uns Deutschen gestanden, wenn die z.B. die Bundeskanzlerin Angela Merkel, nachdem ihr sogar innerhalb einer Woche direkt nach dem Mord über 10.000 Unterschriften überreicht wurden, welche sie aufforderten den Schulterschluss zu den über 4 Mio Muslimen in Deutschland zu wagen, diese Geste der Solidarität gezeigt hätte. Bis heute warten die Muslime darauf. Es wäre zwar „nur“ eine symbolische Geste, doch diese sind mindestens genauso wichtig, wie Programme und politische Bildungsarbeit gegen Rassismus. Beides geht einher.
Dennoch tut es gut und ich begrüße es ausdrücklich, dass die sächsische Landesregierung in Person des Justizministers sich heute anschickt im Landgericht eine Gedenktafel mit den Worten auf Deutsch und Arabisch: „Wir ehren unserer Mitbürgerin Marwa ElSherbiny. Sie wurde Opfer von Islamfeindlichkeit und Fremdenhass. Sie ist dem mit Würde und vorbildlicher Zivilcourage entgegengetreten (…)“ offiziell enthüllt.
Und doch ist seit dem Mord an Marwa in Dresden leider nicht viel passiert. Außer ein paar vage Projekt-Versprechungen seitens der Oberbürgermeisterin, deren Realisierung bis heute auf sich warten lässt scheint alles eher in Richtung Vergessen zuzusteuern. Und das, obgleich dies nicht der erste rassistische Mord in Dresden war, wie der Fall Jorge Joao Gomondai im Jahre 1991 uns schrecklich vor Augen hält.
Eine Gesellschaft zeigt darin Größe und ihre wehrhafte, demokratische und offenen Seite, inwieweit sie tatsächlich für ihre Minderheiten im Konkreten einsteht. So wird die Bekämpfung von Islamfeindlichkeit in Deutschland und auch in Dresden auch zum Lackmustest, wie ernst wir es denn meinen mit unserer viel beschworenen Toleranz und Weltoffenheit.
Viele Dresdener Bürger haben damals zur offiziellen Trauerfeier diese eindeutige Solidarität, den Schulterschluss mit den Muslimen nicht missen lassen und echte Mitmenschlichkeit unter Beweis gezeigt. Jeder einzelne, der da gekommen ist, setzte eindrucksvoll ein Zeichen und machte deutlich, dass Rassismus jeglicher Art in unserem Lande keine Chance haben darf und dass Extremismus jeglicher Couleur bei uns in Deutschland keinen Platz hat. Nun ist wichtig dieses Thema nun endlich auf die politische Agenda zu setzen und die entsprechenden gesellschaftlichen Konsequenzen und Handlungsstränge daraus abzuleiten.
Erstveröffentlichung in der Sächsischen Zeitung am 2. Juli mit freundlichger Genehmigung der Redaktion
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