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Sonntag, 31.01.2010 | Drucken |
Sensationeller Fund: Lateinisches Koranfragment aus dem Mittelalter entdeckt
Die verschwundene Übersetzung hätte wahrscheinlich den muslimisch-christlichen Dialog positiv befruchtet
Ein Teil einer verschwundenen Koranübersetzung ins Lateinische ist wiederentdeckt worden - sie hätte die Chance für einen muslimisch-christlichen Dialog im Mittelalter geboten.
Ein dreisprachiger Koran aus dem 15. Jahrhundert hätte die Chance zu einem friedlichen muslimisch-christlichen Dialog bieten können. Doch die arabisch-spanisch-lateinische Übersetzungsarbeit von Juan de Segovia (Johannes von Segovia) und Isa Gidelli ist offenbar schon im Mittelalter verloren gegangen. Jetzt wurde ein kleiner Ausschnitt aus diesem Werk von einem deutschen Forscherteam wiederentdeckt und entschlüsselt. Wie die Forscher im "Neulateinischen Jahrbuch" zeigen, wird damit zumindest etwas von dieser Leistung für den Dialog der Religionen wieder sichtbar.
Juan de Segovia (ca. 1393 - 1458), Professor an der Universität von Salamanca und streitbarer Konzilstheologe, zog sich, nachdem seine Karriere aus kirchenpolitischen Gründen gescheitert war, in die Einsamkeit eines Klosters zurück und widmete sich fortan dem Studium des Islams, den er in seiner spanischen Heimat kennengelernt hatte. Bei der Abfassung seines großen Werkes "Über den geistigen Kreuzzug gegen den Islam" erkannte er, dass die erste, zu seiner Zeit schon über 300 Jahre alte lateinische Koranübersetzung sprachlich sehr unzuverlässig und ungenau war. Er beschloss, zusammen mit dem muslimischen Rechts- und Korangelehrten Isa Gidelli aus seiner Heimatstadt Segovia eine neue, möglichst wörtliche Koranübersetzung anzufertigen. So kam das wohl spektakulärste christlich-muslimische Gemeinschaftsunternehmen des Mittelalters zustande: Isa Gidelli übersetzte aus dem Arabischen ins Spanische, Juan de Segovia dann aus dem Spanischen ins Lateinische. Kurz nach der Beendigung der Übersetzungsarbeit starb allerdings Juan de Segovia. Seine Bücher, darunter auch den dreisprachigen Koran, vermachte er seiner alten Universität in Salamanca. Doch ob der Koran dort je ankam, ist unklar - die Spuren des Werkes verlieren sich im Dunkeln. "Vielleicht hat man das einzige existierende Exemplar auch bewusst verschwinden lassen, da nicht allen an einem friedlichen Dialog mit dem Islam gelegen war", mutmaßt Reinhold Glei von der Universität Bochum. "Dieser dreisprachige Koran hätte den Dialog des lateinischen Abendlandes mit dem Islam auf eine völlig neue Grundlage stellen können, da hierdurch erstmals eine genaue Kenntnis des Korans möglich geworden wäre."
Dass man noch heute von der Existenz des Werkes weiß, verdankt sich nur dem Umstand, dass Juan de Segovia das Vorwort und die Einleitung der Übersetzung an Papst Pius II. geschickt hatte, um ihn für das Projekt zu interessieren. In dieser Einleitung berichtete Juan de Segovia ausführlich über das Übersetzungsunternehmen und auch über seine Zusammenarbeit mit Isa Gidelli. "Aber Pius II. bereitete gerade einen Kreuzzug vor und hielt deshalb wohl nichts von den friedlichen Versuchen des Juan de Segovia", vermutet Glei.
Ein Glücksfall für die Forschung ist jedoch, dass Juan de Segovia ein langes Zitat aus seiner lateinischen Übersetzung an den Rand seiner Abhandlung über den geistigen Kreuzzug geschrieben hatte, das bisher nicht beachtet wurde. Reinhold Glei von der Universität Bochum und sein Kollege Ulli Roth von der Universität Freiburg entzifferten den Text und erkannten, dass es sich um ein umfangreiches Zitat aus dem dreisprachigen Koran handelt (Sure 5,110-115). Damit wurde es jetzt erstmals möglich, die Übersetzungstechnik von Isa Gidelli und Juan de Segovia zu studieren: Durch einen detaillierten Vergleich des arabischen Originals mit der lateinischen Übersetzung konnten wesentliche Aufschlüsse über die Eigenart des dreisprachigen Korans gewonnen werden.
Die spanische Übersetzung, die Isa Gidelli aus dem Arabischen angefertigt hatte, ist ebenfalls verschollen. Aus der von Juan geschriebenen Einleitung zu der Übersetzung geht jedoch hervor, dass Isa Gidelli sein ins Spanische übersetzte Manuskript mit nach Hause genommen habe. Von den Übersetzungen, die die beiden Gelehrten erstellt hatten, gab es jeweils nur ein Exemplar. Juan de Segovia und Isa Gidelli hatten ihre Arbeit am Vorabend der Erfindung des Buchdrucks geleistet. Hätten sie nur wenige Jahrzehnte später gelebt, hätte die neue Vervielfältigungstechnik das Verschwinden dieses einzigartigen Werks vermutlich verhindern können.
Quelle: Autor: Doris Marszk, Wissenschaft aktuell
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