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Samstag, 26.09.2009 | Drucken |
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Internationale Konferenz in Potsdam: Muslime und Medien – Vom Imageschaden bis zu den Grenzen der Freiheit
Über das „European Muslim Professionals Network „CEDAR“, die einflussreichen Muslime Kristiane Backer und Tarik Ramadan und die Aversion der Muslime gegenüber den hiesigen Medien. Von dem aljazeera.net-Korrespondent Khaled Shamat und Katharina Mühlbeyer
Potsdam - Vom vergangenen Montag an bis zu gestrigen Dienstagabend versammelten sich hochrangige Medienvertreter, Entscheidungsträger von Medieninstitutionen, Journalisten und Redakteure auf einer internationalen Konferenz mit dem Thema: „Muslimische Medien und Muslime in den Medien“. Die Veranstaltung mit dem Namen „M100 Sanssouci Colloquium“ fand im gleichnamigen Schloss Sanssouci in der der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam im Rahmen der Medienwoche Berlin-Brandenburg statt und geht dieses Jahr unter anderem auf eine Kooperation der Stadt Potsdam mit verschiedenen Stiftungen, Medieneinrichtungen sowie dem „Institute for Strategic Dialogue“ in London und dem europäisch-muslimischen Netzwerk „CEDAR-European Muslim Professionals Network“ zurück.
Zu den Teilnehmern der Konferenz zählten führende Redakteure und Journalisten, Meinungs- und Medienmacher, Publizisten und Politiker vorwiegend aus Europa und den arabisch-islamischen Ländern. Beispielsweise waren alle großen arabischen Medien wie Al-Jazeera, Al-Quds Al-Arabi, Al- Arabiya und Al-Hayat vertreten. Von europäischer Seite waren unter anderem bekannte Medien wie Le Monde, BBC, The Guradian, BILD, oder Der Spiegel mit von der Partie. Zu den Gästen zählten aber auch Gründer und Vertreter kleinerer, „alternativer“ Medien- und Programmformate aus Europa und einigen islamischen Ländern, Medienaktivisten, Wissenschaftler, Künstler, sowie Mitglieder von Medien-Netzwerken und Interessensvertretungen für Medienschaffende- islam.de war auch eingeladen. Auch ein führender Redakteur der dänischen Zeitung Jyllands Posten, die den sogenannten Karikaturen-Streit ausgelöst hatte, war als ein Redner geladen.
Die etwa hundert Teilnehmer diskutierten in Workshops und Podiumsdiskussionen über die Berichterstattung von „westlichen“ Medien über Muslime und wie diese unter Muslimen in Europa aufgenommen wird. Außerdem thematisiert wurden die Medienangebote, die von muslimischen Minderheiten in Europa wahrgenommen und konsumiert werden und welchen Einfluss sie auf die Integration von Muslimen in Europa haben. Insgesamt stand die Frage nach der Rolle der Medien für das Zusammenleben in einem multikulturellen Europa im Mittelpunkt.
Studie: Muslime sehen Mitschuld für ihr schlechtes Image bei den Medien
Die Grundlage für die Diskussion bildete eine Pilotstudie des „Institute for Strategic Dialogue“ und der Vodafone Stiftung Deutschland mit dem Titel: „Muslime in der europäischen Medienlandschaft: Integration und die Dynamiken des gesellschaftlichen Zusammenhalts“. Die Studie kam hauptsächlich zu folgenden Ergebnissen: es gibt ein großes Misstrauen unter den Befragten (Muslime und Nicht-Muslime) gegenüber den Mainstream-Medien, deren Berichterstattung über Muslime weniger als ein Fünftel für ausgewogen halten. Obwohl dieses Misstrauen ein Grund ist, warum sich viele von den Mainstream-Medien ab- und kleineren, alternativen „Minderheiten-Medien“ zuwenden, sind auch hier nur 40% der Interviewten der Meinung, die „Minderheiten-Medien“ verfolgten eine ausgewogene Berichterstattung. Für fast 80% ist die Sprache und der Wunsch, Informationen über das Herkunftsland zur erhalten, ein wichtigerer Grund, sich Minderheiten-Medien zuzuwenden, als aus religiösen Gründen. Nur 21% wenden sich wegen der Religion alternativen Programmformaten zu. Entgegen der These bzw. der Befürchtung vieler Beobachter, in Europa entstünde eine Art parallele Informationsgesellschaft von Muslimen, die ausschließlich Medien aus der Herkunftsregion oder islamische Programmformate nutze, kam die Studie zu dem Ergebnis, dass es vielmehr einen Trend gibt, die Mainstream-Medien des Landes, in dem man lebt mit vielen anderen Medien aus dem Ausland sowie ausländischen oder Minderheiten-Programmformaten zu kombinieren (86% der Interviewten gaben an, vielfältige Medienangebote zu nutzen und sich nicht ausschließlich nur inländischer oder ausländischer, nur Mainstream oder nur Minderheits-Berichterstattung zuzuwenden). Mehr als 50 % der Antwortenden sind der Meinung, dass im Zusammenhang mit Muslimen meistens über Terrorismus berichtet wird, ein Drittel hält Fundamentalismus und ein Viertel das Kopftuch für das am häufigsten von den Mainstream-Medien aufgegriffene Thema. 55% der interviewten Muslime und 39% der Nicht-Muslime sind dementsprechend der Meinung, die Mainstream-Medien zeichneten ein negatives Bild von Muslimen. Die Studie kam außerdem zu dem Ergebnis, dass das Internet eine zunehmend wichtigere Rolle beim Medienkonsum von Muslimen spielt und den Zugang zu vielen ausländischen, speziell islamischen oder Minderheiten-Formaten erleichtert.
Im Hinblick auf die Beschäftigung und die Beteiligung von Muslimen an und in den Medien ist eine große Anzahl der Befragten der Meinung, dass mehr Muslime in den Medien vertreten sein sollten. 40% der befragten muslimischen und nicht-muslimischen Interviewten, die bereits in Medienberufen beschäftigt sind, glauben, dass Vorurteile ein Hauptgrund sind, dass Muslime Schwierigkeiten haben, in den Medien Fuß zu fassen.
Folgende Maßnahmen und Empfehlungen formulierten die Autoren der Studie im Hinblick auf die Ergebnisse: das Vertrauen von Muslimen und Nicht-Muslimen in die Medienberichterstattung über Muslime soll wieder hergestellt werden, wozu es vor allem notwendig sei, dass sich die Medienindustrie von innen heraus verändere und in dieser Hinsicht Engagement auf verschiedenen Ebenen zeige. Zm einen sollten Muslime und andere Minderheiten in Europa mehr in den Medien repräsentiert werden und zwar sichtbar, z.B. als Ansager, Nachrichtensprecher oder Moderatoren, aber auch in verantwortlichen Positionen, beispielsweise als Redakteure und als Mitglieder der Führungs- und Entscheidungsebenen. Zum anderen wäre es laut der Studie wünschenswert, dass Talente unter Minderheiten in Europa besser erkannt und gefördert werden und es mehr Dialog und Austausch zwischen Machern und Verantwortlichen von Mehrheiten- und Minderheiten-Medien gibt, um sich gegenseitig besser zu verstehen und voneinander zu lernen sowie um sich gemeinsam über Standards und eine verantwortungsvolle Medienpraxis zu verständigen.
Grenzenlose Freiheit - Grenzen der Rede-und Pressefreiheit
Die Präsentation der Workshop-Ergebnisse sowie die Abschlussdiskussion zeigte, dass die Themen Presse- und Redefreiheit, die Rolle und Verantwortung der Medien bei der Berichterstattung über Krisen und die zunehmende Macht des Internets, des web2.0. sowie der virtuellen sozialen Netzwerke zu den kontroversesten Diskussionen und Ansichten unter den Teilnehmern führten.
Im Hinblick auf die Presse- und Redefreiheit zeichnete sich ab, dass man sich zwar einig ist, dass die Freiheit nie absolut sei und nie jeder alles über jeden und zu jedem sagen dürfe, es jedoch unterschiedliche Vorstellungen davon gebe, wo die Grenzen der Freiheit liegen. Vorwiegend von muslimischer Seite wurde teilweise geäußert, die Presse hätte die „Verantwortung, nicht zu verletzen“ - eine Forderung, mit der sich ein guter Teil der Teilnehmer, so sagte es eine Sprecherin auf der abschließenden Pressekonferenz, „sichtlich schwer getan hätte“. In der Abschlussdiskussion betonte besonders der islamische Aktivist und Wissenschaftler Tariq Ramadan die Zweischneidigkeit der Redefreiheit: sie bringe viel Gutes hervor, wenn man verantwortlich mit ihr umginge. Aber, so sagte er weiter: „Redefreiheit kann auch als Waffe eingesetzt werden“.
Die Grenzen der Freiheit werden zusehends, da waren sich die Diskutierenden auf der abschließenden Podiumsdiskussion einig, nicht nur in den arabisch-islamischen Ländern sondern auch im Westen durch das Internet erweitert bzw. gänzlich überwunden. Besonders der jungen Generation sei es möglich, im Internet früher oder später an jede Information zu gelangen und damit Zensur sowie gesellschaftliche und politische Tabus zu umgehen, so der Vertreter der Internetpalttform Muxlim.com, Ashar Saeed. Als jüngstes Beispiel für die Macht des Internets im Gegensatz zu den traditionellen Medien wurde immer wieder die Bedeutung von twitter, Facebook und Blogs für die Informationsbeschaffung und Berichterstattung aus und über den Iran nach den Wahlen genannt. Die CNN-Vertreterin Octavia Nasr hob hervor, dass sich durch das Internet selbst in restriktiven Gesellschaften wie Saudi-Arabien Möglichkeiten eröffneten, über alle Themen zu sprechen, die ansonsten mit gesellschaftlichen und politischen Tabus belegt sind, z.B. Homosexualität oder Demokratie.
Aus dieser nahezu grenzenlosen Freiheit durch das Internet würden aber auch neue Probleme erwachsen, so Tariq Ramadan. Die Vielfalt der Medien könne auch zu Absonderung und Spaltung der Gesellschaft führen, wenn Menschen nicht in die Lage versetzt würden, verantwortungsvoll und kritisch mit Informationen und deren Quellen umzugehen. Für Ramadan ist daher Bildung und Wissen der Schlüssel zu einer immer komplexer werdenden Welt, und zwar nicht nur für die Journalisten sondern auch die Leser und Rezipienten der Medien.
Nasr pflichtete ihm bei und stellte in diesem Zusammenhang fest, dass ein Problem im Umgang mit den neuen Medien darin bestehe, dass es eine Kluft zwischen den Generationen gäbe: „Die Generation, die im Moment regiert und für die Bildung und Entwicklung der nächsten Generation verantwortlich ist, kennt sich mit den neuen Medien schlechter aus, als unsere Kinder, die diese Medien hauptsächlich nutzen.“
Am optimistischsten im Hinblick auf das Internet zeigte sich Seed, der im Internet, besonders im web2.0. ein Instrument sieht, besonders der jungen Generation mehr gesellschaftliche und politische Macht und Teilhabe zu verleihen und Veränderungen in ihren Gesellschaften in Gang zu setzen. Gleichzeitig verändere sich dadurch der gesamte traditionelle Journalismus, fuhr Seed fort: „Er ist nun abhängig vom Internet“. Der traditionelle Journalismus sei im Verschwinden, da war sich das Podium einig. Nasr und Stimmen aus dem Publikum erklärten ihn bereits für „tot“ . Ein weiterer Redner im Publikum zeichnete die Zukunft als „Journalismus ohne Journalisten“. Gleichzeitig eröffne das Internet einen neuen Raum für Dialog und Austausch über alle Grenzen hinweg, den aber vor allem Nasr immer dann gefährdet sieht, wenn „Menschen, die eigentlich in einer Blase leben, ohne die Welt zu kennen, in einer beschränkten und engstirnigen Art und Weise über Religion sprechen.“
Im Hinblick auf die Verantwortung der Medien bei der Krisen-Berichterstattung war man sich in den Diskussionen zwar grundsätzlich einig, dass die Medien die Aufgabe hätten, über Konflikte und Krisen zu berichten. Uneins war man sich jedoch darüber, in welcher Form dies geschehen soll, besonders im Zusammenhang mit Muslimen. Ein Teil der Konferenz war der Meinung, bei Muslimen würden in Konfliktfällen häufig andere Standards an die Berichterstattung angelegt, als wenn es um Krisen im Kontext von Nicht-Muslimen gehe. Eine Frage lautete daher: Verlangen Muslime, die sich über die Berichterstattung beschweren, eine besondere oder einfach nur eine faire Behandlung? Oder beschweren sich Muslime etwa zuviel? Viele Teilnehmer teilten die Ansicht miteinander, dass Muslime häufig Opfer von Stereotypen und falscher, unausgewogener Darstellung würden. Dies läge zumindest zum Teil daran, dass die Medien auf Grund von mangelnder Information, aber auch Zeit- und Geldnot fundamentalistische Muslime als Vertreter oder Repräsentant aller Muslime zeichnen, weil diese sich am schnellsten, lautesten und eindeutigsten als „islamisch“ anböten. Andere kritische Stimmen ergänzten jedoch, dass bestimmte Muslime den Medien auch Bilder und Botschaften lieferten, die sich negativ auf die Berichte auswirkten und dies dann nicht allein die Schuld der Medien sei. Der faire und ausgewogene Umgang miteinander, wie dieser aussehen soll und wie er gestaltet werden kann, war demnach ein prägendes Thema der Diskussionen, für das es keine eindeutigen Ergebnisse, aber den gemeinsamen Wunsch nach kritsichem Dialog und offenem Austausch gab.
Auch wenn die Lösung mancher Probleme von einigen Teilnehmern darin gesehen wurde, dass mehr Muslime in die Medienlandschaft Europas integriert werden sollten, ergaben sich daraus weitere kritische Fragen: können nur Muslime gut oder richtig über Muslime schreiben? Kann ein gut ausgebildeter, erfahrener nicht-muslimischer Journalist nicht genauso gut über Muslime schreiben? Wäre es nicht hilfreicher für die Integration und das Zusammenleben, wenn Muslime nicht ausschließlich mit Islam-Themen sondern mit allen gesellschaftlichen und politischen Themenfeldern in Verbindung gebracht würden? Die Moderatorin der Abschlussdiskussion, die Journalistin Yasmin Alibhai-Brown, spitzte die Problematik an dieser exklusiven Wahrnehmung von Muslimen zu mit der Frage: „Kann denn nur ein Christ gut über Weihnachten schreiben?“
Nach der Abschlussdiskussion präsentierte sich das muslimische Netzwerk CEDAR(Connecting European Dynamic Achievers & Role-Models), das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Muslime in Europa zu verbinden und eine Brücke zwischen den muslimischen Gemeinden und der nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft zu bauen. Ziel sei es, so der Repräsentant der Organisation, auf mehr auf Gemeinsamkeit und Kooperation zu setzen statt allein auf Integration. Zu diesem Zweck möchte CEDAR Vorbilder unter europäischen Muslimen hervorheben, die vor allem für Jugendliche und Frauen Wege und Möglichkeiten aufzeigen sollen, ihr Leben aktiv zu gestalten und beruflichen Erfolg zu haben. CEDAR sieht sich als Plattform für Austausch, als Unterstützung und als Interessensvertretung talentierter, karriereorientierter, selbstbewusster, engagierter Muslime in Europa und möchte diesen und allen Interessierten Zugang zu Experten und hilfreichen Kontakten in allen möglichen, nicht ausschließlich islamischen Feldern, bieten und so professionelles Networking ermöglichen. Eine Initiative von CEDAR ist die Liste der einflussreichen muslimischen Frauen in Europa. Kristiane Backer, die zum Islam konvertierte und früher Moderatorin bei MTV war, sagte: „Die Initiative feiert den Erfolg muslimischer Frauen in Europa und trägt so zu einem vielseitigen Bild der Muslimin in der Öffentlichkeit dar.“
Denn häufig, so Bakker weiter, würden muslimische Frauen nur als Opfer und Unterdrückte eine männlich dominierten Kultur wahrgenommen. Um dies zu ändern hat die Frauen-Initiative seit gestern eine Internetseite freigeschaltet, auf der jeder europäische Musliminnen nominieren kann, die bestimmte Kriterien erfüllen. Am Ende soll eine Siegerin gekürt werden und durch die Medien und CEDAR öffentlichkeitswirksam dargestellt werden.
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