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Montag, 10.08.2009 | Drucken |
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Revolutioniert neuartiges islamisches Darlehensgeschäft weltweit den Immobilienmarkt?
Über gottgefälliges Kapital, deutsche Tugenden, die was mit islamischen Finanzwesen zu tun haben und: wie man Wasser in Wein verwandelt
Jochen Stahnke veröffentlichte vor einigen Tagen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen bemerkenswerten Artikel, den wir mit freundlicher Genehmigung des Autors nicht vorenthalten wollen:
An Kredite zu gelangen, ob als Unternehmer oder privater Hausbauer, ist derzeit nicht einfach. Dies jedenfalls belegen jüngst veröffentlichte Zahlen der Europäischen Zentralbank, Studien von Beratungsunternehmen und nicht zuletzt die Kreditnehmer selbst.
Eine Möglichkeit, die Kreditvergabe zu erleichtern und gleichzeitig enthemmte Spekulation mit Schulden und Hypotheken zu verhindern, könnte „Islamic Banking“ sein: ein Finanzsystem unter Beachtung des islamischen Rechts, das in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde. Hier ist der Handel mit Schulden unter der Scharia nur mittels eines verbrieften Sachwerts möglich - und auch nur dann, wenn sowohl Schuldner, Gläubiger als auch zukünftiger Schuldner einem Übertrag zustimmen. Nach dieser Regel wäre der globale Hypothekenmarkt möglicherweise nie derart implodiert.
Ein entsprechender Vorschlag kommt jetzt von Willem Buiter, der an der London School of Economics politische Ökonomie lehrt. Seine Idee: Schulden mit Hilfe islamischer Finanzmethoden in Eigenkapital zu verwandeln, statt auf Insolvenzen und Überschuldung zu setzen. Dies könne auch dem darbenden Hypothekenmarkt helfen, um aus einem Hauskredit einen Kapitalanspruch zu machen. Das Instrument sei sogar auf Staatsschulden anzuwenden: „Es ist an der Zeit, Wasser in Wein zu verwandeln“, schreibt Buiter. Denn das wesentliche Problem in der Krise sei die fehlende Kapitalisierung von Banken, Haushalten und auch Staaten.
Islamische Finanzregeln jedenfalls gewähren Schulden nur als Sachmittelkredit - mit unmittelbarem Bezug zur realen Wirtschaft. So etwas wie eine herkömmliche Hypothek gibt es hier nicht: Wenn ein Kunde ein Haus kaufen möchte, nimmt er keinen Kredit auf, sondern schließt einen Vertrag mit seiner Bank. Die erwirbt das gewünschte Haus in eigenem Namen und verkauft es unmittelbar an den Kunden weiter - mit einem vorher ausgehandelten Aufschlag. Der Kaufpreis wird gestundet, der Kunde hat ihn hernach in Raten abzuzahlen. So ist das Objekt gleichsam durch einen liquiden Käufer vor dem Zugriff des ursprünglichen Verkäufers geschützt.
Dieses Darlehensgeschäft, mit dem Zinsen umgangen werden, heißt „Murabaha“ und macht nach Angaben des auf islamisches Finanzrecht spezialisierten Anwalts Nikolaus Freiherr von Verschuer nahezu 80 Prozent des Islamic Banking aus. Im Koran wird ökonomische Aktivität ausdrücklich erlaubt, „riba“, Zinsen, mancherorts auch mit Wucher übersetzt, hingegen nicht. Ein Murabaha-Häuserkauf wäre in jedem Falle gleichzusetzen mit dem Tausch einer Ware gegen Geld und ist deshalb auch nicht verboten.
Im Einklang mit der Scharia und dem Markt
Der beim Murabaha vertraglich festgelegte Aufschlag von meist wenigen Prozent auf den Ursprungspreis steht im Einklang mit der Scharia. Denn es handelt sich dabei offiziell nicht um Zinsen, sondern durch die Miete um einen Ertrag aus wirtschaftlicher Leistung. Dass damit juristische und auch (grund-)steuerrechtliche Probleme auftreten, erwähnt Buiter allerdings nicht. „Das deutsche Steuerrecht ist dem Islamic Banking noch nicht angepasst“, sagte der Rechtsanwalt und Islamwissenschaftler Kilian Bälz jüngst auf einer Tagung zur islamischen Finanzwelt in Frankfurt.
Nach Buiter würde der Schuldner seine Schuld als Miete abtragen, die seinen Besitzanteil am Objekt stetig steigert. So können Mieter oder Bewohner nicht aus dem Haus geworfen werden, wenn sie nur diese wiewohl kleinen Vertragszahlungen erfüllen. Auch die Bank geht nach Buiters Modell nicht leer aus: Anstatt von Anbeginn Zinsen zu generieren, erhält sie eine dem Marktpreis angepasste Miete.
So wäre die Bank gezwungen, stets in Einklang mit dem Markt zu handeln und auf einen steigenden Mietenspiegel zu hoffen, der mindestens der Inflationsrate entspricht. Das Risiko teilen sich Bank und Kunde, eine gewissenhaftere Risikobewertung der Banken wäre die Folge. Der Schuldner wiederum ist mittels Religion zur Zahlung verpflichtet. Denn Schulden müssen jederzeit durch Vermögen gedeckt sein. „Man bekommt kein Totengebet, bevor die Schulden nicht bezahlt sind“, sagt Michael Saleh Gassner, der die islamischen Märkte für eine Schweizer Privatbank beobachtet, lange am Golf gelebt hat und im Zentralrat der Muslime für die Zertifizierung islamischer Finanzprodukte zuständig ist.
Überhaupt untersagt das islamische Recht unkalkulierbare Risiken. Eine hohe Unsicherheit bei Vertragsabschluss ist verboten, wenn der Vertragsgegenstand nicht eindeutig identifiziert werden kann - oder ihn der Verkäufer noch nicht einmal besitzt: „Das ist so wie ein ungeborenes Kamel“, sagt Ökonom Gassner. Ein Scharia-Expertenrat bestimmt im Einzelfall, was erlaubt oder verboten ist.
Willem Buiter empfiehlt nun, dieses Prinzip auch auf Staatsschulden zu übertragen. Als verbriefte Sicherheit schlägt der Niederländer keine Immobilien, sondern einen variablen Aufschlag vor, angepasst an das Bruttoinlandsprodukt - allerdings unter der Bedingung, dass die entsprechende Statistikbehörde unabhängig vom Staat ist, der die Anleihe ausgibt.
Ähnliches läuft schon bei Unternehmerdarlehen. So ist die Bank am unternehmerischen Risiko des finanzierten Vorhabens mit einer Anleihe als verbrieftem Sachwert beteiligt. Der Gläubiger wird im Zweifelsfall Anteilseigner. Und so schlägt Buiter statt einer Insolvenz einen Massenbrief an die Gläubiger vor: „Glückwunsch, Sie sind jetzt Anteilseigner. Für eine Zeit wird es keine Dividenden oder Aktienrückkäufe geben.“ Ob sich eine hiesige Bank jemals darauf einlässt, bleibt allerdings abzuwarten.
Im Westen ist Fremdfinanzierung Trumpf
Islamische Finanzregeln bevorzugen jedenfalls Eigenkapital, während im Westen Fremdfinanzierung Trumpf ist. Michael Gassner sieht dahinter ein systemisches Problem: „Verzinsliche Finanzprodukte sind hoch reguliert, damit subventioniert und zusätzlich durch staatliche Garantien nochmals subventioniert - Eigenkapital hat keine vergleichbare Lobby.“
Wenn aber die laufenden Ratenzahlungen von Unternehmen oder Banken durch Eigenkapital gedeckt seien, wären sie auch nicht insolvenzgefährdet - und somit nicht von der Kreditklemme betroffen. Das sei in Deutschland leider Utopie: „Zehn Prozent Eigenkapitalquote bei Firmen ist doch ein Scherz“, sagt Gassner. Das islamische Finanzwesen stehe für Maß, Realitätssinn und Anstand. Deutsche Tugenden eigentlich.
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