Newsnational Donnerstag, 21.02.2008 |  Drucken

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Toleranz predigen und Ordnung schaffen - Von Peter Philipp

Ahmed Marcouch ist seit zwei Jahren der erste muslimische Bürgermeister in den Niederlanden

Szenen aus dem niederländischen Alltag waren das Thema des - bereits 1927 verstorbenen - Amsterdamer Malers August Allebe. Der nach ihm benannte Platz im Amsterdamer Stadtteil Slotervaart hat allerdings nichts von dem, was man auf Allebes Bildern findet.

Dort stehen heute zwei große Supermärkte, ein türkischer Dönerladen, ein marokkanischer Änderungsschneider, ein ebenfalls marokkanisches Gemüsegeschäft und ein Händler von gebrauchten Elektroartikeln, der im Fenster darauf hinweist, dass Jugendliche ohne Begleitung nicht willkommen seien. Diese Jugendlichen sitzen und stehen auf dem Platz herum mit einem Döner oder einem Softdrink in der Hand.

Etwa 45.000 Muslime leben im Amsterdamer Stadtteil SlotervaartBildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Etwa 45.000 Muslime leben im Amsterdamer Stadtteil Slotervaart

Die "Allebe-Bar" ist den meisten von ihnen wohl zu teuer. Sie scheinen sich auch nicht dafür zu interessieren, was sich am Ende des Platzes abspielt: Auf rasch in der Wintersonne ausgebreiteten Teppichen verneigen sich rund hundert Männer zum Gebet. Marokkaner meist, die in der kleinen Moschee nicht genug Platz haben und deswegen im Freien beten.

Etwa ein Viertel der Bewohner Slotervaarts sind Muslime

Die meisten von ihnen stammen aus Marokko, wo man vor Jahren gezielt Gastarbeiter angeworben hatte. Auch der Bürgermeister von Slotervaart stammt aus Marokko. Der 38-jährige Ahmed Marcouch ist seit zwei Jahren im Amt und der bisher einzige muslimische Bürgermeister in Westeuropa. Der Sozialdemokrat, der als kleiner Junge nach Holland kam und Karriere bei der Polizei machte, bevor er in die Kommunalpolitik ging, hält seinen Werdegang für gar nicht so ungewöhnlich: "Das System diskriminiert nicht. Was für eine Religion oder welche ethnische Abstammung Sie auch in den Niederlanden haben mögen: Sie können am Bildungssystem teilhaben." Man könne jede Stelle bekommen. Dafür brauche man sich nur einzusetzen.

Der Islam lässt sich mit der Demokratie kombinieren

Wenn es Widersprüche zur Demokratie gebe, dann sei nicht die Religion daran schuld, sondern die Ideologie der Menschen, glaubt Ahmed Marcouch. Zum Beispiel gebe es ja auch eine streng christliche Partei in den Niederlanden, die den Frauen das Wahlrecht abspreche. Das sei aber natürlich nicht die Norm. Im Gegenteil: Die Gesellschaft gebe allen gleiche Chancen.
Als Einwandererkind kennt Marcouch die speziellen Probleme der muslimischen Minderheit und er bemüht sich darum, diese zu lösen. So unterstützt er ein Hilfsprogramm, bei dem Einwandererkinder Nachhilfeunterricht von Studenten bekommen. Er hat auch ein "Tutoren-Programm“ eingeführt, in dem Jugendliche ein Jahr lang begleitet und beschäftigt werden, um sie auf das Arbeitsleben vorzubereiten. Aber auch, um erst einmal ihre grundsätzliche Einstellung zu verändern. Denn: "Die Jungs haben oft die Idee, dass andere die Arbeit für sie organisieren müssen, dass andere ihnen die Probleme lösen müssen und dass andere die Ursache für ihre Probleme sind." Diese Haltung sei Unsinn, sagt Marcouch. Es gebe nur einen Weg: Man lebe in einem Land voller Chancen und Möglichkeiten und wenn man aus seinem Leben etwas Positives machen wolle, dann müsse man hart dafür arbeiten.

Marcouch als "Verräter"

"Verräter" - so wird der Bürgermeister von denjenigen in Slotervaart schon mal genannt, denen die Einstellung Marcouchs nicht passt. Das prallt an ihm ab. Hart aber, wie ihm einige nachsagen, sei er nur gegenüber denen, die das Gesetz missachten. Kriminelle werde man nicht tolerieren, allen anderen sei er bereit zu helfen.

Arbeit ist für jeden da

Ahmed Marcouch ist fest davon überzeugt. Dass es keine Arbeit gebe, lässt er nicht gelten. Arbeiter kämen aus Polen und fänden Jobs, da könnten hier geborene Einwandererkinder natürlich Arbeit finden. Wer sich im Straßenbild umschaut in Amsterdam, findet überall Bestätigung hierfür: Frauen mit Kopftuch als Straßenbahnfahrerinnen, an Supermarkt-Kassen, in Büros. Sie sprechen Niederländisch, sind längst integrierte Holländerinnen geworden. Die Muslime fallen weniger auf. Außer vielleicht, wenn sie in Galabia, ihrem traditionellen Gewand, und mit Rauschebart auf dem Fahrrad durch die Straßen kurven.

Ahmed Marcouch weiß, dass es trotzdem noch einige Arbeit gibt, um echte Integration zu schaffen. In der Vergangenheit habe man das manchmal etwas vernachlässigt. Das Image der Niederlande als weltoffenes und tolerantes Land mit friedlichem Zusammenleben der verschiedensten Bevölkerungsgruppen aber verteidigt der Bürgermeister - trotz aller gegenteiligen Beispiele, die immer wieder einmal Schlagzeilen machen. Und er bestreitet, dass er inzwischen so etwas wie ein "Vorzeige-Moslem“ geworden sei. Seine Botschaft ist einfach: "Die Niederlande sind ein Land mit vielen Chancen. Man kann lernen und arbeiten." Diskriminierung gebe es überall, auch in der Türkei oder Marokko. Dagegen müsse man in jeder Gesellschaft kämpfen. Der Kampf um die eigene gesellschaftliche Position müsse jedoch jeder einzelner selbt austragen.

Zum Autor: Der Nahost-Experte Peter Philipp ist Chefkorrespondent der Deutschen Welle. Erstveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors in dw-world.de am 19.02.08






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