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Freitag, 21.06.2013 | Drucken |
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Umdenken beim Verfassungsschutz?
Islamfeindlichkeit wird erstmalig registriert - Wie Sicherheitsbehörden den Schutz für Muslime und ihre Einrichtungen wieder herstellen und sie auch im Kampf gegen religiösen Fanatismus unterstützen können
In Berlin lud kürzlich das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zu einer Präsentation „Die missbrauchte Religion – Islamisten in Deutschland “ ein. Klaus-Dieter Fritsche, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, betonte zur Eröffnung: „Diese Ausstellung ist notwendig. Wir wollen über das Thema Islamismus sachlich aufklären.“ Muslime lehnen übrigens den Begriff „Islamismus“ gänzlich ab, weil undefinierbar und es zwischenzeitlich viel präzisere, nachhaltigere und politisch eindeutigere Begriffe gibt, den religiösen Fanatismus und Extremismus zu beschreiben. Bereits 2006 tourte die Vorgänger-Ausstellung durch 34 deutsche Städte. Dabei bedauerte der Staatssekretär: „ Leider werden Islam und Islamismus zu oft von zu Vielen gleichgesetzt.“
Seit einiger Zeit versuchen deshalb Sicherheitsbehörden verstärkt das Problem des „Neo-Salafismus“ in den Griff zu bekommen. Dabei gehen sie auch auf die Muslime zu, um Kooperationen auszuloten. Grundsätzlich kein abwegiger Gedanke, angesichts der nicht zu unterschätzenden Gefahren durch muslimische Fanatiker, auch und gerade für Muslime selber. Angesichts aber der bekannten Vertrauenskrise in die Sicherheitsbehörden, der sträflichen Vernachlässigung des Rechtsextremismus und der objektiv steigenden Zahlen islamfeindlicher Straftaten erwarten die Muslime einen ganzheitlichen Ansatz für die Sicherheit. Also auch eine Antwort der Behörden, wie die Sicherheit ihrer Einrichtungen etc. verbessert werden kann. Dies musste kürzlich auch NRW-Innenminister Jäger feststellen, als er das Projekt „Wegweiser“ vorstellte, welches nur dann Erfolg hat, wenn die Konzepte mit den Muslimen und nicht über ihre Köpfe hinweg gestaltet werden.
Das BfV hat auch feststellen müssen, dass Parteien des rechten Randes gezielt Islam und Islamismus als Einheit darstellen. „Angst unter den Bürgern soll so geschürt werden. Genauso wie gewaltbereite Islamisten eine Splittergruppe innerhalb der friedfertigen Muslime darstellen, so sind Parteien wie beispielsweise die „PRO“-Gruppen eine ganz kleine Minderheit in der überwiegend demokratischen Parteienlandschaft“, kommentierte Fritsche besorgt. Erstmalig nahm man sich beim Bundesamt für Verfassungsschutz im letzten Bericht vor, ausführlich über das Phänomen Islamfeindlichkeit in einer eigens angefertigten ganzen Abhandlung zu berichten – das ist neu.
Auch sind Straf- und Gewalttaten in Deutschland im rechten Spektrum weiter angestiegen. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) betrachte diese Tendenz «mit Sorge». Stark zugenommen haben auch fremdenfeindliche Straf- und Gewalttaten, um 16,5 und 10,8 Prozent, darunter fallen vor allem islamfeindliche Delikte und Übergriffe. Antisemitische Straftaten hätten 2012 wieder zugenommen, und zwar um 10,6 Prozent. Im vergangenen Jahr habe es sechs versuchte rechte Tötungsdelikte gegeben, eines mehr als im Jahr zuvor.
Nach Angaben Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, erreichte die Zahl der politisch motivierten Straftaten im Jahr 2011 mit 30.200 ihren bisherigen Höchststand. Hinzu kamen 3.100 Gewaltdelikte. Zwar rechne er für 2012 mit einem Rückgang. Aber der Trend weise nach oben. Ziercke: „Wir werden Provokationen erleben“, etwa mit ausländer- und islamfeindlichen Aufrufen.
Einige Tage zuvor zu Beginn des NSU-Prozesses prescht Bayern erstmalig hervor mit dem Thema und erklärt: Es gibt mehr rechte Gewalttaten - und die Neonazis agieren frecher und dreister. Als Konsequenz: Bayern lässt künftig die Partei "Die Freiheit" und den Blog "Politically Incorrect" vom Verfassungsschutz beobachten. Ein längst überfälliger Schritt und lange schon von den Betroffenen und Opferverbänden eingefordert. Doch bleibt Bayern das bislang das erste und einzige Bundesland, welches diese Entscheidung getroffen hat.
Zudem warnte der bayrische Innenminister Joachim Herrmann (CSU ebenso deutlich vor einer Islamfeindlichkeit, die sich auch außerhalb des Rechtsextremismus entwickle. Und im Zuge des NSU-Prozess, warnte er vor Aktionen von gewaltbereite Rechtsradikalen, die sich leider dann auch später als wahr einstellten, wie dies Schmähungen gegen eine Moschee in Düren oder ein islamfeindliche Vorfall in Bayern zeigten.
Bundesregierung spricht von einem neuen Phänomen der Fremdenfeindlichkeit
Vor einigen Tagen gab die Bundesregierung im Rahmen einer Bundestagsanfrage unumwunden zu, dass Islamfeindlichkeit eine neue Form der Fremdenfeindlichkeit darstellt. „Das Aktionsfeld der Islamfeindlichkeit als eine neuartige Form der Fremdenfeindlichkeit hat im Rechtsextremismus in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen“, heißt es.
Leider zieht aber die Bundesregierung daraus wenig Konsequenz und erkennt kaum gesteigerten Handlungsbedarf, z.B. dieses Phänomen eigens in die Kriminalstatistik aufzunehmen, wie das seit Jahren der ZMD fordert.
Diese Ambivalenz lässt sich in Teilen auch beim Bundesverfassungsschutz nicht leugnen. So löblich es ist, ein eigens neues Kapitel Islamfeindlichkeit aufgenommen zu haben, so wenig Handlungsstränge werden – zumindest bis jetzt - daraus entwickelt. Aber die Sicherheitsbehörden scheinen aufgewacht zu sein, hat man doch in der Vergangenheit – heute klar erkennbar –Rassismus und Rechtsextremismus sträflich unterschätzt.
Dennoch ist die Reaktion der Bundesregierung nicht befriedigend. Angesichts der beinah im Wochentakt auftretenden Anschläge auf muslimische Gotteshäuser, den täglich mindestens zwei fremdenfeindlichen Übergriffen auf muslimische Bürger in Deutschland und den ebenso steigenden wie unzähligen Hassdelikten gegen sie, eine unverständliche, für die Betroffenen höchst unerfreuliche und geradezu gefährliche Ausgangslage. Denn immerhin haben die Spitzen der Republik kurz nach Aufdeckung des NSU-Terrors und insbesondere bei der Staatstrauerfeier zu Protokoll gegeben, einschließlich das Versprechen von Bundeskanzlerin Merkel, alles, wirklich alles zu tun, um zur Aufklärung beizutragen. Doch bisher sind es noch nicht die demokratie-wehrhaften Reaktionen, die sich viele in diesem Land versprochen haben. Es liegt also noch viel Arbeit vor uns, insbesondere für die Betroffenen, islamischen Religionsgemeinschaften und Opferverbände, hier noch deutlicher als bisher den neuen Rassismus anzuprangern und Konzepte dagegen zu entwickeln.
Anti-Rassismusbeauftragte und eine Bundesstiftung gegen Rassismus
Immerhin hat die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) jüngst erst die staatlichen Programme gegen Rechtsextremismus als verworren und unübersichtlich kritisiert und einen Extremismus-Beauftragten gefordert. Eine Beauftrage im Kampf gegen Extremismus und Rassismus forderte bereits der Zentralrat der Muslime vor einem Jahr. „Diese Arbeit gegen Rassismus muss als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen werden, verstetigt und nachhaltig vom Bund gefördert werden“, kommentierte dies die ZMD-Generalsekretärin Nurhan Soykan.
Dies könnte beispielsweise mit Gründung einer Bundesstiftung gelingen. Ein Konzept und eine in entsprechend in Auftrag gegebene Studie dazu bereiteten vor einigen Wochen Kirchen und Religionsgemeinschaften (EKD, ZMD und ZdJ) und die Gewerkschaften (DGB) und Opferhilfeorganisationen vor. Dieses Gutachten von Verbänden und Initiativen zeigt: dauerhafte Förderung ist verfassungsrechtlich möglich und notwendig. Fehlende Kontinuität in staatlicher Unterstützung gegen Rechts stärkt Neonazis und Demokratieverdrossenheit. Es hängt eben in erster Linie von der Bereitschaft des zivilgesellschaftlichen Engagements ab und inwieweit der Staat hierbei fördert, damit Rassismus wieder aus der Mitte der Gesellschaft zurückgedrängt wird.
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