Newsnational Mittwoch, 12.09.2018 |  Drucken

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Historiker sehen Parallelen zwischen der heutigen Ausgrenzung von Muslimen und früherer Diskriminierung von Katholiken im 19. Jahrhundert

Katholiken damals, Muslime heute: Auf dem 52. Deutschen Historikertag Ende September in Münster stellen Historiker das Konzept der religiösen „Parallelgesellschaft“ auf den Prüfstand. „Der Vorwurf der Abschottung in eine ‚Parallelgesellschaft‘, den Musliminnen und Muslime seit Jahrzehnten in Deutschland hören, traf im 19. Jahrhundert eine andere religiöse Gruppe – die der Katholiken, die die protestantische Mehrheit als ähnlich fremd empfand“, erläutern die Historiker Prof. Dr. Thomas Großbölting und Dr. Daniel Gerster vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ und dem Centrum für Religion und Moderne (CRM) der Universität Münster. „Damals wie heute dient ‚Parallelgesellschaft‘ eher als politischer Kampfbegriff denn als Analysekategorie: Die Geschichtsforschung konnte nachweisen, dass das katholische Milieu längst nicht so abgeschottet lebte, wie es die protestantische Mehrheit damals unterstellte.“ Umso wichtiger sei es, aus der historischen Forschung zu lernen und auch die heutige Verwendung des Konzepts unter die Lupe zu nehmen, so die Forscher, die beim Historikertag das Streitgespräch „Katholiken damals – Muslime heute: Religiöse ‚Parallelgesellschaften‘ im Vergleich“ am 27. September organisieren.

„Mit dem Begriff ‚Parallelgesellschaft‘ drückt die deutsche Mehrheitsgesellschaft seit Jahrzehnten die Fremdheit aus, die sie gegenüber Migranten empfindet, und auch ihre Vorstellungen von der ‚richtigen‘ Gesellschaft“, so Zeithistoriker Thomas Großbölting. „Unbekannte religiöse Rituale und ein enormes Bildungsdefizit, rückständig und antimodern, überdies noch einer fremden Macht verpflichtet: Was heute häufig Musliminnen und Muslimen vorgeworfen wird, hielt man im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert dem katholischen Bevölkerungsteil vor“, führen die Wissenschaftler aus. „In beiden Fällen laufen die Vorurteile darauf hinaus, dass die jeweilige religiöse Gemeinschaft eine nicht integrierbare, vielleicht sogar integrationsunwillige ‚Parallelgesellschaft‘ bildet.“ Die Kritik der Mehrheitsgesellschaft an Muslimen ähnele in ihrer Struktur damaligen Vorbehalten gegenüber Katholiken. Indes bestünden auch Unterschiede, die im historischen Vergleich der Milieus stets zu beachten seien: „Katholiken waren mit etwa 30 Prozent eine deutlich größere Minderheit als die etwa fünf Prozent Muslime heute in Deutschland“, so Daniel Gerster. „Muslime bringen zudem ihre Einwanderungsgeschichte mit und sprechen Deutsch häufig nicht als Muttersprache.“

Info: „Gespaltene Gesellschaften“ – 52. Deutscher Historikertag in Münster

Mit dem Thema „Gespaltene Gesellschaften“ in allen Epochen und Kontinenten befasst sich der 52. Deutsche Historikertag vom 25. bis 28. September 2018 an der Universität Münster. Rund 3.500 Wissenschaftler aus dem In- und Ausland tauschen sich auf dem größten geisteswissenschaftlichen Kongress in Europa in mehr als 90 Sektionen über aktuelle Forschungsthemen aus. Als Gastredner werden erwartet Wolfgang Schäuble, Christopher Clark, Herfried Münkler, Ulrich Raulff, Aladin El-Mafaalani und Birgit Schäbler. Das Gastland Niederlande vertreten etwa die Parlamentsvorsitzende Khadija Arib und der Autor Geert Mak.



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