Newsnational Montag, 21.11.2011 |  Drucken

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ALLE Terroristen sind gefährlich

Benjamin Idriz: Rassismus und Islamfeindlichkeit nicht mehr verharmlosen - Was macht Deutschland jetzt angesichts der fremdfeindlich motivierten Terrorserie?

Mit großer Sorge und Entsetzung verfolgen die Muslime in Deutschland die letzten Meldungen über Terrorserien der Rechtsradikalen. Es ist, wie auch die Bundeskanzlerin äußerte, eine Schande für unser Land aber auch ein Skandal für die Sicherheitsorgane.

Diese fremdfeindlich motivierte Terrorserie in Deutschland, die in den letzten zwanzig Jahren, laut der Amadeu Antonio Stiftung, 182 Leben gekostet hat, hat insgesamt vergleichbare Spuren hinterlassen wie die islamfeindlichen Terror-Anschläge am 22. Juli in Norwegen, denen 77 unschuldige Menschen zum Opfer fielen. Solcher Hass lässt jeden Menschen, der bei Sinnen ist, fassungslos zurück und in einer Weise entsetzt, die unsere Sprache und unser Verstehen übersteigt.

Die Sicherheitsbehörden in Europa und auch hier in Deutschland sind, insbesondere seit den Terroranschlägen vom 11. September, fast nur auf Muslime fokussiert. Hinter jedem Anschlag oder Mord wird zunächst an muslimische Täter gedacht. Ganz Europa ist Opfer von psychologischer Stimmungsmache geworden, an der sich auch die Sicherheitsbehörden beteiligen.

Die Behörden haben mit dem selbst erfundenen Begriff „islamistischer Terrorismus“ die breite Öffentlichkeit irregeführt, indem dies seit dem 11. September 2001 als Gefahr Nummer eins in Deutschland bezeichnet wurde, trotz der Tatsache, dass Muslime in Deutschland kein einziges Mal in ihrer Geschichte einen Terroranschlag verübt haben.

Während zuvor der Rechtsradikalismus die Verfassungsschutzberichte anführte, sind dies seit zehn Jahren die „Islamisten“. Indirekt haben die Behörden auf diese Weise die Rechtsradikalen und radikalen Islamfeinde geradezu ermutigt, andere Menschen erst zu beleidigen, dann gegen sie zu hetzen, schließlich sie zu töten.

"In Deutschland werden Menschen allein deshalb weil sie Muslime sind verachtet, beleidigt und ermordet. Aus demselben Grund werden Menschen tätlich angegriffen, aus demselben Grund wurden in unserem Land Menschen in ihren Häusern, Geschäften und Moscheen erschossen und verbrannt und bis in einen Gerichtssaal hinein ermordet"

Terroanschläge und Massenmorde in Norwegen als Vorbote für Deutschland

Es ist sehr merkwürdig, dass einige Politiker in Deutschland, im Fall des islamfeindlichen Terroristen in Norwegen von einem „Einzeltäter“ gesprochen haben, obwohl ihnen bekannt ist, dass Anders Breivik eingebunden war in islamfeindliche Netzwerke, an deren Blogs er sich intensiv beteiligt hat und deren menschenverachtende Ideologie er reflektiert. Solche Netzwerke sind in Deutschland noch heftiger aktiv und verbreitet als in Norwegen. Auf dem Internetblog „Politically Incorrect (PI)“ etwa, in dem sich engagierte Aktivisten aus dem Raum München regelmäßig zu Wort melden, findet sich eine Fülle von hasserfüllten Beiträgen, die ganz offen ein Klima der Konfrontation schüren.

Diese Internetblog verweigert die Bezeichnung als „Terror“ für die jüngsten rechtsradikalen Terrorserien in Deutschland und verharmlost somit bewusst den Mord gegen acht Türken, einen Griechen und einen Polizistin und vielleicht noch anderen Mordserien.

Den Sicherheitsbehörden sind diese Netzwerke nach eigenem Bekunden bekannt. An das bayerische Innenministerium zum Beispiel sind erst in jüngster Zeit wiederholt Anfragen gerichtet worden, weshalb einschlägig aktive Gruppierungen noch nicht unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen. In anderen Fällen sind, wie bekannt wurde, scheinbare Zusammenhänge in auffallend einseitiger Weise so interpretiert worden, dass sich scheinbare Verdachtsmomente gegen eine Verfassungstreue von Menschen konstruieren ließen, die sich in vorbildlicher Weise für unsere Rechts- und Gesellschaftsordnung einsetzen. Hier jedoch wird eine sich rasant ausbreitende Gefährdung, die sich ganz offen und unverschleiert gegen das friedliche Zusammenleben von Menschen in Deutschland aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit richtet, vom Innenministerium bisher verharmlost und beschwichtigt.

Es sollte dringend überprüft werden, in welcher Nähe sich der eine oder andere Mitarbeiter in der Behörde zu solchen oder ähnlichen Denkrichtungen bewegt!

Islamfeindlichkeit ist heute die am weitesten verbreitete Ausprägung von Rassismus und ist eine neue Art von antiislamischem Extremismus. Antisemitische und antiislamische Positionen arbeiten mit ähnlichen Mechanismen, führen zu Menschenrechtsverletzung und zu Terror. Es ist auffällig, dass offen islamfeindliche Gruppierungen mit ihrer volksverhetzenden Hasspropaganda vom Verfassungsschutz immer noch als Verfassungskonform bewertet. Artikel 3 Absatz 4 des Verfassungsschutzgesetzes verpflichtet aber die Verfassungsschutzbehörden in allen Bundesländer zur Beobachtung von Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind.

Dass einige Verantwortlichen ihre eigenen Gesetze nicht achten ist mehr als merkwürdig.

Alle islamischen Verbände sind weiterhin entschlossen und bereit, in jeder Hinsicht mit den Behörden, einschließlich des Innenministeriums, zu kooperieren, unsere Erfahrungen und unser Wissen zu teilen, wenn es gegen jedwedes Potential von Hass und Gewalt in unserem Lande geht, unabhängig davon, von wem es ausgeht. Wir erwarten aber auch von den Behörden ein glaubwürdiges, entschlossenes Vorgehen gegen brandgefährliche Strömungen aller Art, die sich gegen das friedliche Zusammenleben in Deutschland richten; islamfeindliche Stimmungsmache spielt dabei keine periphere Nebenrolle und darf keinen Tag länger verharmlost werden. Das freilich setzt als ersten Schritt voraus, dass innerhalb des Innenministeriums selbst endlich vorbehaltlos die nötigen Überprüfungen erfolgen.

Wo bleiben die Kampagnen des Innenministeriums, die sich mit Aufklärungsarbeit, mit Broschüren, mit engagierten Auftritten des Innenministers gegen anti-muslimischen Extremismus richten – so wie das gegen so genannten „Islamismus“ schon lange der Fall ist?

In Deutschland werden Menschen allein deshalb weil sie Muslime sind verachtet, beleidigt und ermordet. Aus demselben Grund werden Menschen tätlich angegriffen, aus demselben Grund wurden in unserem Land Menschen in ihren Häusern, Geschäften und Moscheen erschossen und verbrannt und bis in einen Gerichtssaal hinein ermordet. Wir wollen uns nicht vorstellen, dass sinnloses Blutvergießen jetzt noch weitergehen muss, bevor die zuständigen Behörden aufwachen. Fukushima war nötig, dass die Politik eine Kehrtwende in der Kernenergiefrage eingeleitet hat. Warum mussten schockierende Verbrechen wie in Oslo/Utøya und die sog. „Döner-Morde“ notwendig werden, bevor die Gefahren ausländerfeindlicher Hetze ernst genommen werden? Und – wird das überhaupt geschehen?

Die unbelehrbaren Vorkämpfer eines exklusiv „jüdisch-christlichen“ Europa versus einen damit grundsätzlich unvereinbaren Islam, an dem alles per se fremd und gefährlich zu sein hat, die ideologischen Handlanger und Gesinnungsgenossen der Fremdfeindlichkeit, können nicht gleichzeitig auf der Seite derer stehen, die miteinander für eine friedliche Welt, für ein freies Europa und für ein gedeihliches Miteinander in Europa einstehen und die christlich, muslimisch, jüdisch, anders religiös, agnostisch oder säkular geprägt sind.

Neben der dringend gebotenen Wiederherstellung einer glaubwürdigen Verfassungsschutzarbeit ist heute eine Allianz aller weltoffener Demokraten und insbesondere aller Religionsgemeinschaften nötig, die sich noch stärker und demonstrativer für das Gute und den Frieden verbünden, damit schon kleinste Anzeichen von Hass jeglicher Couleur im Keim erstickt werden. Nicht mit Rache und Hass sondern mit Toleranz und Offenheit entgegentreten.

Wir brauchen jetzt einen engagierte Kampgane des Innenministeriums gegen Islamfeindlichkeit in Deutschland

Ganz unabhängig von den Hintergründen dieses oder anderer Terroranschläge, welche kranken Motive sich die Massenmörder jedweder Couleur auch immer selbst zurechtlegen mögen, müssen wir zusammenstehen mit allen Menschen guten Willens in dem entschlossenen gemeinsamen Eintreten für eine friedliche und vielfältige, freie, demokratische und rechtsstaatliche Gesellschaft in Europa.

Ich rufe die Politik und Justiz auf, rechtsradikalen Rassismus entschieden zu bekämpfen, damit dem Terror keine weiteren Menschen aufgrund der ethnischen Herkunft oder religiöser Überzeugung zum Opfer fallen. Ich rufe die Gesellschaft und die Verantwortlichen dazu auf, die Islamfeindlichkeit nicht mehr zu verharmlosen und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, damit Hass und Fremdfeindlichkeit ein Ende haben.

Ich schließe mit dem Gebet des Gesandten Abrahams aus dem Koran: "Herr! Mache dieses Land zu einem sicheren Ort!" (Koran 2:126)



Lesen Sie dazu auch:
Terror gegen Norwegen: „homegrown Terrorist“ verübt „schlimmste Katastrophe“ seit dem 2. Weltkrieg
Europol: 2010 gab es 249 Terroranschläge in der EU – die meisten von Nationalisten
1.- 20.11.11 ZMD zum rechtsextremistichen Terror in Deutschland (Auszüge aus der Presse)

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