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Samstag, 22.03.2008 | Drucken |
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Phantom Zwangsehe und Islambashing als Eintrittskarte für Rechtsextreme. Von Hany Jung
Wie die eigentlichen Opfer in Vergessenheit geraten, konstruktive Lösungsansätze kaum umgesetzt werden und eine erneute Bundestagsanfrage über Zwangsehe wieder keine verlässliche Daten lieferte
Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer konstatiert in einer Studie eine „steigende Islamophobie“ in der Bundesrepublik Deutschland auch unter Gebildeten. Ferner werde der Rassismus oft hinter populistischen Parolen wie Verteidigung der „deutschen Leitkultur“ und des „christlichen Abendlandes“ gegen „Islamisierung“ und „Moscheebau“ versteckt (siehe auch heute/22.03.08 Anschlag durch rechtsextremistischen Tatverdächtigen, unterer link).
Angesichts der Tatsache, dass 18,4 Millionen Einwohner Deutschlands einen Migrationshintergrund haben – davon kein geringer Teil Muslime sind - müsste man meinen, dass es jetzt endlich Zeit ist, die heißen Eisen anzupacken.
„Wir müssen die Potentiale dieser Menschen nutzbar machen“, sagt die migrationspolitische Sprecherin der FDP Sibylle Lurischk kürzlich dazu. Sätze, die seit Jahren ausgesprochen werden und kaum einer mehr Glauben schenkt, weil es an einer konkreten Umsetzungspolitik fehlt.
Die Bundesregierung begnügt sich mit der „Zuckerbrot und Peitsche“-Politik, wie der Fraktionsvize der Partei DIE LINKE im Bundestag, Bodo Ramelow, kritisch im einem islam.de-Interview, welches kommende Woche erscheint, weiß.
Seine Fraktion schickte sich vor einigen Tagen an, (siehe untere links) mit ganz konkreten Fragen die Bundesregierung zu konfrontieren. Durch die sogenannte "Kleine Anfrage" im Bundestag weißt die Linksfraktion in ihrer Anfrage neben parteipolitischen Projekten mit explizit antiislamischer Ausrichtung und Bürgerinitiativen gegen Moscheeneubauten auch auf islamkritische Internetseiten, auf denen häufig in rassistischer, beleidigender, hasserfüllter und oft gewaltverherrlichender Weise gegen Muslime und den Islam gehetzt wird. In populistischen und rassistischen Kampagnen gegen „den Islam“ sehe die extreme Rechte aktuell ein Erfolgsrezept für ihre Propaganda, so „Die Linke“. Islambashing sozusagen als Eintrittskarte für Rechtsextremisten.
Die Fraktion wollte von der Bundesregierung auch wissen, ob die Einschätzungen des Soziologen Heitmeyer teilt, und wenn ja welche Maßnahmen sie gegen eine anwachsende Islamophobie zu ergreifen gedenkt.
Wo bleibt die Zwangsehe?
Die Bundesregierung gab auch Antworten zum Thema Zwangsehen. Denn, so die Fragesteller, lagen doch bei früheren Antworten auf Anfragen zum Thema Zwangsverheiratung keine statistischen Daten oder repräsentativ erhobenen wissenschaftlichen Erkenntnisse vor. Doch leider hieß es auch diesmal wieder in Berlin: Deutschlandweit gibt es keine gesicherten Daten von Zwangsverheiratungen!
Diese Antwort ist umso verwunderlicher, da einschlägige Foren (auch im Internet) und Berichten selbst in seriösen Tageszeitungen meist mit Zuhilfenahme von „Kronzeugen aus dem Migrationshintergrund“ das gegeteilige Bild zeichnen und so tun, als wären die meisten Muslime und Türken zwangsverheiratet.
Dessen ungeachtet wurde das Zuwanderungsgesetz erheblich erschwert und dies wurde maßgeblich damit begründet Zwangsheiraten verhindern zu wollen. Und jetzt gibt es schon wieder dazu keine verlässlichen Daten?! Selbst nach dem man es in der Vergangenheit versäumt hatte Daten zu erheben, wurde hierbei nicht nachgebessert.
Völlig unverständlich ist weiter, dass die von nahezu allen Sachverständigen und Fachkundigen - und selbst vom Bundesrat - geforderten maßgeblichen Änderungen des Aufenthaltsgesetzes zur rechtlichen Stärkung der Opfer von Zwangsverheiratungen hingegen unterlassen wurden. Denn nicht selten ist wirtschaftliche Armut oder Abhängigkeit zu Familienmitgliedern ein Grund, die zu einer Ehe zwangsweise führt.
Immerhin weiß aber das Bundesfamilienministerium zu sagen, dass religiöse Motive in den Lebensgeschichten praktisch keine Rolle spielten. Dies ist ein staatlicher Hinweis darauf, dass die Religion bei der Legitimation von Zwangsverheiratungen kaum Bedeutung hat. Bei der öffentlichen Auseinandersetzung über dieses Thema hat man dank oben beschriebenen Kampagnen aber meist den genauen gegenteiligen Eindruck, obwohl Muslime immer wieder die Aussage des Familienministerium bestätigen.
Die Bundesregierung täte also gut daran, sich bei der Bekämpfung von Zwangsehen – die es ja als solche gibt, niemand will das bestreiten - zur Abwechslung mal an die Muslime selber zu wenden. Sie haben von je her immer wieder betont, dass sie sich als Partner im Kampf gegen die Zwangsehe (und sogenanten Ehrenmorde) verstehen, nicht zuletzt weil ihre Religion die freie Partnerwahl vorschreibt und der Prophet ausdrücklich dies einfordert.
Diesem Menschenrecht (der freien Partnerwahl) zum Ausdruck zu verleihen, jenes Verbrechen an Opfer ernsthaft zu helfen ist das Gebot der Stunde. Das ist jedenfalls allemal besser und wirksamer, als dem Geschütz von Ex-Bräuten und Buchverkäuferinnen a la Frau Kelek, die bei jeder Gelegenheit zum hasserfüllten und beleidigenden Schlag gegen die Muslime ausholen, ständig hinter her zu jagen.
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