Newsnational Dienstag, 19.03.2002 |  Drucken

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Maryam Brigitte Weiß wird neue Frauenbeauftragte des Zentralrates - islam.de sprach mit ihr über das jüngste "Kopftuch-Urteil, das Skandal-Urteil in Nigeria und die Aussichten der muslimischen Frau in Deutschland

"Mir geht es darum, das Selbstbewusstsein dieser Mädchen zu fördern durch Vermittlung ihrer muslimischen Frauenrechte und sie darin zu bestärken, trotz der Problematik des Kopftuchs am Arbeitsplatz weiter zu lernen und einen Ausbildungsplatz zu suchen"

Ihre Vorgängerin, Frau Ulrike Thoenes, scheidet als erste Frauenbeauftragte des Zentralrats der Muslime in Deutschland aus. Frau Weiß wird in Kürze als Nachfolgerin benannt. In der letzten Vollversammlung des ZMD sprach man ihr das Vertrauen aus.
Wir stellen Frau Weiß kurz vor: Die 1955 geborene Maryam Brigitte Weiß ist Lehrerin an einer Hauptschule und trat 1992 zum Islam über. Sie ist Mitglied im Pädagogischen Fachausschuss für den Islamischen Religionsunterricht des ZMD, Vorstandsmitglied der Deutschen Muslim-Liga Hamburg und Vorstandsmitglied des Begegnungs- und Fortbildungszentrums muslimischer Frauen in Köln.

islam.de: Wo liegen heute die Schwerpunkte der Frauenbeauftragten des ZMD; was wollen Sie von Ihrer Vorgängerin übernehmen und wo wollen Sie neue Akzente setzen?

Maryam Brigitte Weiß: Als bisherige Stellvertreterin von Frau Thoenes möchte ich die begonnene Arbeit weiter führen. Dazu gehört der weitere Ausbau eines Frauennetzwerkes, damit überall und immer kompetente muslimische Frauen angesprochen werden können, wenn der Bedarf nach Information zu dem Thema "Frau im Islam" oder ähnlichen Themen besteht. Mein ganz besonderes Anliegen jedoch soll den muslimischen Mädchen, die ich täglich als Hauptschullehrerin unterrichte, gehören. Dabei geht es mir darum, das Selbstbewusstsein dieser Mädchen zu fördern durch Vermittlung ihrer muslimischen Frauenrechte und sie darin zu bestärken, trotz der Problematik des Kopftuchs am Arbeitsplatz weiter zu lernen und einen Ausbildungsplatz zu suchen.

islam.de: Hat sich etwas an der gerade von Musliminnen empfundenen öffentlichen Diskriminierung etwas verbessert? Z.B. Kopftuchdebatte - sei es als Lehrerin oder in anderen Berufen. Was wird hier seitens der Frauenbeauftragten des ZMD zu tun sein?

Maryam Brigitte Weiß: Ich glaube nicht, dass sich etwas verbessert hat. Ein Beweis dafür ist das erst kürzlich ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Lüneburg, das der Lehrerin Iyman Alzayed das Tragen des Kopftuchs im Unterricht verboten hat. Auch meinen Schülerinnen wird schon während des Betriebspraktikums mitgeteilt, dass sie zwar erfolgreich eingesetzt wurden und man ihnen auch gerne einen Ausbildungsplatz geben würde, wenn sie dafür auf das Kopftuch verzichten. Dies geschieht mit dem Hinweis auf Kunden, denen man nicht zumuten könne, von einer jungen, zwar kompetenten, aber eben kopftuchtragenden Frau bedient oder beraten zu werden. Frauen müssen sowieso schon in jeder beruflichen Hinsicht besser sein als ihre männlichen Kollegen, als muslimische, kopftuchtragende Frau kommt noch dieses Erschwernis dazu. Meine Aufgabe wird also auch sein, den Mädchen und Frauen klar zu machen, dass sie sehr gut sein müssen. Wir müssen von dem "Putzfrauenimage" weg kommen. Daneben muss der deutschen Gesellschaft die Erkenntnis vermittelt werden, dass es volkswirtschaftlich gesehen unmöglich ist, auf dieses große Potential von fähigen weiblichen Arbeitskräften zu verzichten.

islam.de: Warum beteiligen sich Muslime und hier speziell muslimische Frauen kaum an den Protestaktionen zu dem skandalösen Gerichtsurteil eines Scharia-Gerichtes in Nigeria, das die 30-jährige Safiya Hussaini zum Tode verurteilt hat und was sagen Sie dazu?

Maryam Brigitte Weiß: Die islamische Frauenzeitschrift HUDA aus Bonn hat zusammen mit der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen in Wien an Amnesty International geschrieben. Viele engagierte muslimische Frauen haben die derzeit laufenden Petitionen unterstützt. AI (http://www.amnesty.de ) hat darauf geantwortet, dass am 18.März eine Neuverhandlung des Falles vor dem Obersten Gerichtshof in Nigeria, der kein Scharia-Gericht ist, stattfindet. Dieses Gericht wird aufgrund der Sachlage Safiya Hussaini nicht zum Tode verurteilen. Da AI eng mit allen dortigen Organisationen zusammen arbeitet, bitten sie darum, vorab die Arbeit nicht zu stören und keine Petitionen an den nigerianischen Botschafter zu schicken.

islam.de: Die Veröffentlichung der "Islamischen Charta" des ZMD wurde von vielen öffentlichen Stellen sehr begrüßt als ein konstruktiver Beitrag für die Integration der Muslime in Deutschland. Was will diese Charta speziell im Hinblick auf die islamische Frau hier in Deutschland bewirken und finden Sie sich als muslimische Frau dort wieder?

Maryam Brigitte Weiß: Die islamische Frau und der islamische Mann werden wie im Qur´an immer gleichzeitig angesprochen in ihren Rechten und Pflichten. Für die deutsche Öffentlichkeit soll aufgezeigt werden, dass Mann und Frau im Islam gleichwertig sind und die islamischen Rechte auch für beide Geschlechter existieren.
Ich finde mich durchaus als muslimische Frau darin wieder. Beispiele: In §6 werden der Muslim und die Muslima damit angesprochen, dass sie es als ihre Lebensaufgabe sehen, Gott zu erkennen, Ihm zu dienen und seinen Geboten zu folgen. In §8 werden wieder der Muslim und die Muslima angesprochen, weil beide dem täglichen Gemeinwohl dienen und mit allen
Glaubensbrüdern und -schwestern in aller Welt solidarisch sein sollen. In §18 wird u.a. dem Sexismus der Kampf angesagt.

islam.de: Warum muss in der Charta unter 11. die Bejahung des aktiven und passiven Wahlrechts für Muslime extra erwähnt werden?

Maryam Brigitte Weiß: Muslimische Frauen haben sich auch in den Frühzeiten des Islams um gesellschaftspolitische Belange gekümmert und galten als hervorragende Beraterinnen. Was liegt da näher, als gerade in der Islamischen Charta für die nichtislamische Umwelt darauf hinzuweisen, dass muslimische Frauen (sofern sie einen deutschen Pass besitzen) natürlich auch wählen gehen und / oder sich selber der Wahl stellen. Wenn die Muslime die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland anerkennen, warum sollen sie dann nicht daran beteiligt sein (egal, ob Mann oder Frau) ?

islam.de: Wie gehen die Muslime mit der im Grundgesetz verankerten Gleichberechtigung um, wird diese von den hier lebenden Muslimen akzeptiert und wenn nicht was wollen Sie dagegen tun?

Maryam Brigitte Weiß: Wie ich schon bei Punkt 4 sagte, sind Mann und Frau im Islam gleichwertig. Sie sind aber nicht gleichartig, also nicht von gleicher Art. Dadurch ergeben sich biologische Unterschiede, zwischen Muslimen genauso wie zwischen Christen oder Hindus z.B. Natürlich wollen wir für gleiche Arbeit bei Mann und Frau den gleichen Lohn ausgezahlt sehen. Natürlich sollen Mann und Frau gleiche Bildungs- und Berufsmöglichkeiten haben. Ich glaube nicht, dass Muslime hierin andere Meinungen vertreten als Nichtmuslime. Sollte ein Muslim seine Frau in ihren islamischen Rechten einengen oder begrenzen, so sind zunächst einmal im privaten Bereich Gespräche und Aufklärung nötig, wenn von mindestens einer Seite darum gebeten wird.




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