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Donnerstag, 12.07.2018 | Drucken |
NSU: Die zwölften Kerze – Warum der Rechtsfrieden weiterhin in Gefahr ist - Von Aiman Mayzek
Der Rassismus und der rechte Terror des NSU sind nicht in einem luftleeren Raum entstanden.
Der Rassismus und der rechte Terror des NSU sind nicht in einem luftleeren Raum entstanden. Sie reihen sich ein in die Anschläge von Mölln und Solingen, Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, Nagelbombenattentat Keupstrasse, um einige zu nennen. Sie reihen sich ein in den islamfeindlichen Mord an der Pharmazeutin Marwa El-Sherbini in einem Dresdener Gerichtssaal. Sie betten sich ein in die Anschläge der vergangenen Jahre auf Flüchtlingsunterkünfte und Moscheen. Sie sind die Spitze eines braunen Eisbergs, unter der sich die über 1000 erfassten islamfeindlichen Straftaten im letzten Jahr verbergen. Ein nur trauriger, wahrscheinlich nur vorläufiger Höhepunkt rassistischer Gewalt und „homegrown“-Terror im Nachkriegsdeutschland.
Das deutlich verschlechterte gesellschaftliche Klima, die oft vorurteilsbehaftete und Ängste schürende Berichterstattung über Zuwanderung und die Verwendung unsachgemäßer Sprache und Aussagen zu Migranten und Muslimen in der Politik haben zudem den Anstieg von Rechtsextremismus und Rassismus bis in die Parlamente und Mitte der Gesellschaft hinein beförder.
Nach dem fünf Jahre währenden Strafprozess im Zusammenhang mit dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) konnte ausreichend aufklärt werden, inwieweit weitere Personen, Teile eines rechten Terrornetzwerkes mit seinen bis dato bekannten Dutzenden von Helfershelfern und Angehörigen von Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden in diese Mordserie verwickelt waren. Dies aber hätte in diesem seit einem halben Jahrzehnt laufenden Prozess zumindest ansatzweise geschehen müssen. Dieses Versäumnis ist eine große Belastung für die Familienangehörigen der Opfer und den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland. Das heißt: Keine ausreichende Aufklärung, keinen Rechtsfrieden, also im besten Sinne des Rechtsstaates kein Schlussstrich unter NSU.
Nicht nur die Hinterbliebenen und Familien der Terroropfer stellen sich jeden Tag die Frage: Wer trägt eine Mitverantwortung für diese Straftaten? Die Beantwortung dieser drängenden und gesamtgesellschaftlich essentiellen Frage ist ausgeblieben, ja bisweilen auch ausgeblendet worden. Erkenntnisse hierzu sind einfach weg geschreddert worden. Mit dem Richterspruch ist der Fall also beileibe nicht abgeschlossen. Deshalb fordert z.B. der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) auch weitere Aufklärungs- und Gerichtsverfahren, um Licht ins Dunkel zu bringen, und um die Rolle der zahlreichen Hinterleute wie auch das eklatante Versagen der verantwortlichen staatlichen Akteure restlos aufzuklären.
Der NSU ist nachweislich keine Zelle, sondern ein strukturiertes Netzwerk von Tätern und ihren Sympathisanten, welches bis heute noch nicht zerschlagen ist. Die Aufdeckung dieses Netzwerkes schulden wir nicht nur den Opfern und ihren Hinterbliebenen, sondern auch dem Erhalt unseres demokratisch verfassten Rechtsstaates.
In ihrer Rede in Berlin zum zentralen Gedenken der NSU-Mordserie sagte die Bundeskanzlerin vor fünf Jahren: „Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Daran arbeiten alle zuständigen Behörden in Bund und Ländern mit Hochdruck. Das ist wichtig genug, es würde aber noch nicht reichen. Denn es geht auch darum, alles in den Möglichkeiten unseres Rechtsstaates Stehende zu tun, damit sich so etwas nie wiederholen kann.“ Und weiter: „Wir sind ein Land, eine Gesellschaft. Auch die, die zu uns aus vielen Ländern dieser Welt kommen, sind nicht einfach die Zuwanderer. Auch sie sind vielfältig und unterschiedlich. Wir alle gemeinsam prägen das Gesicht Deutschlands, unsere Identität in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts - getragen von unserem Grundgesetz und seinen Werten, unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, formuliert in unserer Sprache. Gemeinsam verteidigen wir alle, die wir uns zu diesen Werten bekennen, die in unserer Verfassung zu Beginn festgeschriebene unantastbare Würde des Menschen. Das ist die Botschaft der zwölften Kerze auf dem Podest. Sie ist das Symbol unserer gemeinsamen Hoffnung und Zuversicht für eine gute Zukunkt.
Ist wirklich „alles“ getan worden, um dem Morden rechtsextremer Gewalttäter, die seit der deutschen Wiedervereinigung 193 Menschen töteten, ein Ende zu bereiten? Ist die 12. Kerze wirklich das Symbol für eine gute, gemeinsame Zukunft, oder doch nur eine weitere Kerze der Erinnerung, womöglich auch an zukünftig von Rechtsradikalen begehenden Mordtaten?
Wir haben der Kanzlerin geglaubt. Heute wissen wir, dass nicht alles getan worden ist, um aufzuklären. Doch glaube ich weiter an die Rechtsstaatlichkeit, an die Gerechtigkeit. Ich weiß und ich kann es verstehen, dass nicht wenige Angehörige der Opfer das inzwischen nicht mehr tun, zumal sie ja schon Jahre zuvor von Teilen des Staates nicht als Opfer, denn als Täter gehandelt worden waren.
Doch der Rechtsfrieden muss unbedingt wiederhergestellt werden. Und das bedeutet wiederum: Es gibt keinen Schlussstrich unter NSU. Solange das nicht passiert, klafft eine offene Wunde im Gerechtigkeitsgefüge unserer Gesellschaft und den Herzen der Hinterbliebenen der Opfer des Terrornetzwerkes NSU.
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