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Sonntag, 12.07.2015 | Drucken |
Vollständige Rede (München, Karlsplatz) des ZMD-Vorsitzenden Aiman Mazyek auf der Hauptkundgebung zur Erinnerung an den Völkermord in Srebrenica zum 20. Jahrestag ( vor etwa 8000 Menschen) am 11.Juli 2015
Bismillahirahmahnarrahim– Im Namen Gottes, des Allerbarmers, des Barmherzigen!
Liebe Schwestern und Brüder, sehr verehrte Damen und Herren, wir stehen heute hier, wie die Mütter, Weisen und Witwen von Srebrenica, weil wir der ermordeten Söhne, Ehemänner und Brüder von Srebrenica gedenken und erinnern. Möge Gott, der Allmächtige, sie alle zu den Bewohnern des Paradieses machen und sie in Seine Barmherzigkeit aufnehmen – Amin.
Wir stehen hier in München, einige hundert Kilometer entfernt vom Austragungsort des Grauens und der Schande für Europa und die Welt ohne Rachegedanken, aber mit festem Bewusstsein, niemals zu vergessen, stets im Dienste der Wahrheit die Geschehnisse von Srebrenica vor 20 Jahren wachzuhalten. Wir sagen: Versöhnung, wenn der Täter seine Schuld anerkennt ist möglich, niemals aber vergessen. Unser Bundespräsident Joachim Gauck hat heute gesagt: "Srebrenica ist das schlimmste Kriegsverbrechen seit dem 2. Weltkrieg. Es ist ein Symbol des Versagens der Völkergemeinschaft." Recht hat er. Nur, was können solche Aussagen bewirken, ausrichten, wenn den Worten keine Taten folgen? Was nutzt ein „Nie wieder“, wenn gleich im Anschluss an den Völkermord ein niemals im Leben autark funktionierender Flickenteppich à la Dayton mit einem schwarzen Punkt namens Republik Srepska im Herzen von Bosnien-Herzegowina entsteht? Wo Täter und Opfer zusammengepfercht, ohne Aufarbeitung und Schuldanerkenntnis, leben sollen? Werden nicht gerade dadurch Opfer abermals bestraft und Täter belohnt?
Liebe Schwestern und Brüder, am 11. Juli 2015 1995 ermordeten serbische Truppen über 8000 Bosnier. Ein Völkermord an Männern und Jungen geschah, weil sie Muslime waren, vor den Augen der UN und Europa. Christlich-orthodoxe Bischöfe segneten diese Terroristen zuvor, die Tausende Muslime vernichteten. Wer meint eine Signifikanz, Singularität oder Einzigartigkeit in der grausamen und menschenverachtenden IS (Islamischer Staat) erkennen zu wollen, der sei an diese Tage inmitten Europas einmal mehr erinnert. Wo Massenvergewaltigung als Kriegsmittel eingesetzt worden ist und wo serbische Tschetniks durch die verlassenen Dörfer wüteten, weil die Jungen entweder schon in Massengräber verscharrt worden sind oder fliehen konnten, und die alten Leute, weil sie nicht mehr gehen konnten, enthaupteten oder wie Schafe abgeschlachtet am Fuße ihre Häuser hingeschmissen wurden. Damals geschah dies weitestgehend ohne die heutigen Handykameras und es geschah inmitten Europa. „Nie wieder“ rufen wir alle uns heute zu. Hoffend, dass wir das auch sagen, wenn wir das Konzentrationslager von Ausschwitz besuchen. Aber erfassen wir wirklich die Dimension des „Nie wieder“, wenn wir dann den aktuellen Rassismus, den Hass, die Geißel der Menschheit, unterschätzen oder gar bagatellisieren? Warum haben sich unsere Politiker nicht erhoben und Nein gesagt, als der mordende Mob der buddhistischer Mönche sich an den Muslimen in Burma verging oder die Fassbomben des syrischen Diktators Assad auf die Stadt Aleppo platzten? Ist das nicht auch genozidal?
Liebe Freunde, geehrte Geschwister, wir brauchen heute Politiker und Staatslenker - mehr denn je – die ihren Worten Taten folgen lassen. Wir sagen von hier aus nach Serbien: Lernt von Deutschland, was es heißt, Versöhnung zu gestalten. Willi Brandt hat es mit seinem Kniefall zu Warschau gezeigt. Versöhnung wird nur gelingen, wenn Serbien Srebrenica als Völkermord anerkennt, endlich seiner Täterrolle nicht mehr von sich weist und Kriegsverbrecher nicht als mehr als Nationalhelden feiert. Nur so kann Versöhnung gelingen, nicht aber alleine durch Worte des serbischen Präsidenten, der es bei der martialischen Beschreibung des Massakers von Srebrenica belässt. EU und allen voran die Bundeskanzlerin muss dem serbischen Präsidenten klar machen, dass ein Eintritt in die Wertegemeinschaft und Wirtschaftsgemeinschaft der EU nur über die eigene Akzeptanz der Täterrolle funktioniert. Ansonsten vergeht Europa sich erneut an seinen eigenen Werten.
Liebe Schwestern und Brüder, wir brauchen eine Erinnerungskultur in Europa über den Vernichtungsfeldzug inmitten dieses Kontinents gegen das muslimische Volk. Das Wissen darüber muss besser als bisher in die europäischen Schulbücher, Universitäten und in die Geschichtsschreibung Einzug finden. Es muss klar sein, dass das unregierbare System à la Dayton die zusätzliche Gefahr birgt, dass alte Konflikte wieder aufbrechen. Es muss ersetzt werden zugunsten eines demokratischen, föderalen und rechtsstaatlichen Systems.
Liebe Geschwister, liebe Freunde, Bosnien sinnt nicht nach Rache, wohl aber nach Gerechtigkeit und Aufklärung über die Gräuel. Deshalb müssen endlich alle Kriegsverbrecher verhaftet und verurteilt werden. Was warten wir noch, warum dauert es fast 20 Jahre bis man erst heute Kriegsverbrecher festnimmt?
Ich habe vor vielen Jahren, als ich dort das erste Mal die Mütter von Srebrenica besuchte, ihnen gegenüber geschworen und ich tue dies heute erneut: Versöhnung ja, wenn die Täter dazu durch Schuldanerkenntnis bereit sind. Vergessen des Völkermordes in Srebrenica, niemals!
Ich danke Euch und Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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