Artikel Montag, 15.06.2015 |  Drucken

"Islam is beautiful" - Die Zeit für den schöpferischen Protest ist gekommen - Von Muhammad Sameer Murtaza

Gegenwärtig leben wir in einem Land, in dem eine 22-jährige muslimische Maschinenbaustudentin in Kaiserslautern hinterrücks überfallen, brutal niedergeschlagen, ihr das Kopftuch heruntergerissen, und um sie zu demütigen, sie mit Alkohol übergossen wird – und niemand interessiert sich dafür. Jede kopftuchtragende Frau sollte sich vergegenwärtigen, dass sie ebenso das Opfer hätte sein können. Jeder Vater sollte wissen, dass seine Tochter das Opfer hätte sein können. Jeder Ehemann sollte sich bewusst sein, dass seine Ehefrau das Opfer hätte sein können. Und jeder Bruder und jede Schwester sollte sich im Klaren darüber sein, dass seine oder ihre Schwester das Opfer hätte sein können. In Kaiserslautern wurde nicht nur eine Muslima angegriffen – schlimm genug! –, sondern dies war auch ein Angriff auf alle muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. In einer dermaßen divergierenden Gesellschaft machen wir alle als Mitglieder einer religiösen Minderheit, je nachdem, in welchem Umfeld wir aufgewachsen sind und welcher sozialen Schicht wir zugehören, unterschiedliche Erfahrungen. Aber die meisten von uns, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, sind schon einmal mit Vorurteilen, Verachtung, Verhöhnung, Benachteiligung oder sogar Hass konfrontiert gewesen. Unsere Einzelerfahrungen dürfen wir nicht absolut setzen, aber wir können in ihrer Summe eine gesellschaftliche Entwicklung feststellen.

Laut einer Studie des "Religionsmonitors" der Bertelsmann-Stiftung von Anfang Januar sehen 57 Prozent der Deutschen den Islam als eine Bedrohung, 40 Prozent fühlen sich aufgrund des Islam fremd im eigenen Land.[i] Übersetzt bedeutet dies, dass 57 Prozent der autochthonen Deutschen die Muslime als eine Bedrohung und als Fremde ansehen. Ein muslimischer Adressat kann dies kaum anders interpretieren als die Aufforderung, Deutschland zu verlassen. Muslime werden trotzdem sie teilweise schon in der dritten Generation in diesem Land leben oder Konvertiten sind, nicht als Bürgerinnen und Bürger wahrgenommen. Würde man uns als das ansehen, was wir alle in einer säkularen Demokratie sind, nämlich Bürger, dann wären Muslime nicht das Restfeindbild so vieler ihrer Mitbürger.[ii] So sehr mit der Etablierung der Lehrstühle für islamische Theologie und der – wenn auch schleppenden – Einführung des islamischen Religionsunterrichts die Verhältnisse besser geworden sind, so sehr müssen muslimische Mitbürger zugleich darauf pochen: Besser ist nicht genug! Ressentiments, also Groll, Neid und Hass gegenüber den neuen Deutschen, die die Muslime sind, ist ein Integrationsproblem eines Teils der alteingesessenen Bevölkerung, die sich einer demokratischen Realität verschließt. Deutscher zu sein hat nichts mit einer völkischen Zugehörigkeit zu tun, sondern nach Artikel 116 Absatz 1 des Grundgesetzes ist jeder ein Deutscher, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

Insofern haben muslimische Mitbürger in unserer Demokratie Pflichten, aber sie haben auch das Recht, ihre Lebensweise und Religion zu leben, um so das Land zu bereichern. Es kann keine Zumutung sein, wenn Muslime als Bürger dieses Landes Respekt einfordern. Respekt bedeutet, Muslime in die weitere Geschichte und Entwicklung Deutschlands mit einzubeziehen. Stattdessen errichten wir aber die grundgesetzwidrigen Stacheldrahtzäune einer christlich-jüdischen Leitkultur. Wir errichten im 21. Jahrhundert Mauern entlang von Religionszugehörigkeit, die unser Land abermals teilen.     

Neid und Groll werden in Verschwörungstheorien gegossen. Nach dem Autor Udo Ulfkotte verfolgt ein muslimischer Geheimbund eine langfristige Strategie, die 2020 abgeschlossen sein soll. Zu diesem Zeitpunkt werde Europa eine islamische Kolonie sein. Die muslimische Minderheit wird hier eingebettet in ein international überstaatlich agierendes machtvolles muslimisches Kollektiv. Das ist ein Muster, das auch antisemitisch eingesetzt worden ist.     

Verschwörungstheorien bringen ressentimentgeladene Menschen auf Internetplattformen wie Politically Incorrect zusammen, die sich der angeblichen Feindschaft einer Minderheit gegen die Mehrheit sicher sind. Solche Plattformen dienen dazu, Verschwörungstheorien, Verallgemeinerungen und Hörensagen über das Feindbild Muslim als exaktes Wissen auszugeben und zu verbreiten – heute gilt Politically Incorrect, als der größte Blog Deutschlands. Verschwörungstheoretiker bemerken natürlich, dass ihre Wahrnehmung sich nicht mit jener von Politik und Medien deckt. Diese Dissonanz führt aber nicht zu einer selbstkritischen Betrachtung der eigenen Anschauungen, sondern sie wird in die Verschwörungstheorie integriert, wonach Politik und Medien entweder naiv und ahnungslos sind oder bereits eingespannt sind in den genialen muslimischen Plan zur Kolonisierung Europas.[iii] Den Begriff Lügenpresse verwendeten bereits die Nationalsozialisten als Kampfbegriff gegen ihre Kritiker und um der Presse zu unterstellen, durch das Weltjudentum gesteuert zu werden. Wir haben es hier mit einer immer größer werdenden Kluft zwischen den Werten unseres Grundgesetzes und einem Teil der alteingesessenen Bevölkerung zu tun, die in Form von Parteienverachtung, unsere Demokratie von innen zersetzen wird.     

Verschwörungstheorien werden in Bewegungen und Parteien gegossen, wie Die Freiheit, die Alternative für Deutschland oder Identitäre Bewegung, die die Ressentiments im Lande offenlegen. Insbesondere Die Freiheit und Identitäre Bewegung argumentieren beide grundgesetzwidrig völkisch, inszenieren sich aber als Verteidiger der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Dabei legt man sich das Grundgesetz in fundamentalistischer Manier so zurecht, dass es der eigenen Weltanschauung entspricht. Grundgesetzkommentare und Urteile des Bundesverfassungsgerichtes werden dreist ignoriert und der Volksbegriff in der Verfassung ethnisch gedeutet, obwohl jeder Grundgesetzkundige weiß, dass Volk die Gesamtheit der Bürgerinnen und Bürger meint, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und keine ethnische Konnotation hat. In einem hanebüchenen Schritt verweisen Mitglieder der Identitären Bewegung auf Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes, der das Widerstandsrecht gegen jene beinhaltet, die die verfassungsmäßige Ordnung aufheben wollen. Nun wird weiter argumentiert, dass sowohl Juden und Muslime daraufhin arbeiteten, ihr religiöses Recht, die Halacha und die Schari’a, in Deutschland einzuführen, um das Grundgesetz auszuhebeln. Folglich müsse Artikel 20 Absatz 4 gegen Juden und Muslime ausgerufen werden. Plakate der Identitären Bewegung, die zur Reconquista aufrufen verdeutlichen: es geht hier gar nicht um das Grundgesetz, sondern diese Gruppe will lediglich die Lieblingsbeschäftigung ihrer geistigen Vorfahren wiederbeleben: das Töten.     

Bereits diese Stimmungsmache ist ein Akt der Gewalt. Diese geistige Brandstiftung führt bei ressentimentgeladenen Menschen zu einer zunehmenden Akzeptanz aus der geistigen, eine tatsächliche Brandstiftung zu machen. Seit 2001 haben diese mutigen Kreuzritter Deutschlands im Schutze der Nacht weit über 200 Anschläge auf Moscheen verübt. Moscheen, die mit Hakenkreuze, Schweineblut und Fäkalien beschmiert, vor denen Schweineköpfe aufgespießt oder auf die Brandanschläge verübt wurden. Von all diesen Anschlägen ist mir jener auf die Islamische Gemeinde Düren ganz besonders in Erinnerung geblieben, denn er enthielt die Warnung: „NSU lebt weiter und ihr werdet die nächsten Opfer sein!!!“ Wenn in Kaiserslautern eine Muslima angegriffen wird, dann ermutigt dies andere in anderen Städten. Und wir müssen jetzt einmal diese Anderen auch treffend benennen. Ganz bewusst spreche ich nicht mehr von Islamophoben. Dieses Wort ist verharmlosend. Phobie bedeutet Abneigung. Es geht aber nicht mehr um ein Unwohlsein gegenüber dem Islam als Religion, sondern es geht um den Muslimhass in den Köpfen und Herzen einiger Mitbürgerinnen und Mitbürger, der immer enthemmter wird. Diese angeblichen Verfechter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sind so mutig, dass sie sich nur trauen eine Muslima von hinten anzugreifen. Ich glaube, dass spricht für die Schlagfertigkeit der Frauen in unserer Community. Aber wir Muslime müssen uns in dieser Auseinandersetzung auch selber benennen. Wollen wir sie als Muslime führen, dann wird es schwer werden, Verbündete zu finden. Zumal Muslime damit indirekt ein Vorurteil der Muslimfeinde bestätigen würden, dass sie stets eine separate Gruppe für sich bleiben werden. Aber wir könnten diesen Streit auch als deutsche Bürgerinnen und Bürger ausfechten. Wir können eine Bürgerrechtsbewegung gründen, die sich für alle einsetzt – nicht nur für Muslime –, die in ihren Rechten verletzt wurden. Dann könnten wir uns problemlos mit anderen Minderheiten, die ebenso um ihre Anerkennung in der Gesellschaft kämpfen, verbünden. Dann würden wir über unseren eigenen Tellerrand hinausschauen und den Blick auf die gesamte Gesellschaft richten. Dies setzt natürlich voraus, dass wir Rassismus, verstanden als jede Form von Höherwertigkeitsgefühlen anderen Menschengruppen gegenüber, auch in unserer eigenen Community entgegentreten. Namentlich Antisemitismus und Homophobie, wenn wir in unserem Engagement glaubwürdig sein wollen. Wir sind als Bürgerinnen und Bürger muslimischen Glaubens in einem Netz wechselseitiger Beziehungen verstrickt. Wenn wir wegsehen, weghören und schweigen, wenn irgendwo Unrecht geschieht, wenn es Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle oder Asylanten trifft, dann sind überall die Gerechtigkeit und das friedvolle Zusammenleben in Gefahr. Dann trifft es nicht nur Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle und Asylanten, sondern der Hass wird am Ende auch uns einholen. Was in unserer Gesellschaft den einen unmittelbar berührt, trifft mittelbar auch alle anderen. Deshalb stellt sich nicht die Frage ob, sondern wann und wie wir uns in unserer Gesellschaft gegen jede Form von Rassismus engagieren. Malcolm X (gest. 1965) schrieb in seinem Tagebuch: „Für mich ist das explosivste Böse auf Erden der Rassismus, die Unfähigkeit von Gottes Kreaturen als Eins zu leben (...).“[iv] Dabei darf der Rassismusvorwurf von Muslimen nicht als Kampfbegriff missbraucht werden. Eine Kritik an bestimmten Aspekten des Islam ist nicht mit Islamfeindlichkeit gleichzusetzen, wie auch Kirchenkritik keine Christentumsfeindlichkeit ist. Aber eine Islamkritik ist abzuweisen, denn es gibt weder eine Judentumskritik noch eine Christentumskritik. Islamkritik ist stets verallgemeinernd: der Islam und die Muslime. Islamkritik ist also immer Aufhetzung. Wir brauchen also klare Kriterien, um Aussagen über Islam und Muslime zu werten. Der israelische Autor Natan Sharansky hat zur Unterscheidung zwischen Kritik und israelbezogenem Antisemitismus den 3D-Test entwickelt, den wir zur Unterscheidung von legitimer Kritik an Aspekten des Islam und der Muslimfeindlichkeit heranziehen können. Das erste D ist der Test auf Dämonisierung, wenn etwa Muslime als international handelndes Kollektiv dargestellt werden, deren Ziel es sei, Europa zu islamisieren, oder wenn Moscheen als Landnahme des Islam betrachtet werden. Gleiches gilt, wenn Probleme einzig auf den Islam unter Ausblendung aller anderen Faktoren zurückgeführt werden, wodurch der Islam geradewegs ideologisiert und problematisiert wird. Der Islam erhält hierdurch eine ein- und überdimensionale Rolle. Ein solches Feindbilddenken prangert jedes Vergehen eines Menschen mit muslimischem Hintergrund als Vergehen des Islam an. Ob diese Person überhaupt gläubig war oder ob ihr Handeln mit dem Ethos des Islam übereinstimmte, wird nicht hinterfragt, denn dies würde ja bedeuten zu differenzieren. Das zweite D ist der Test auf Doppelstandards. Es muss genau hingesehen werden, ob Kritik an den Muslimen selektiv angewendet wird. Immer wieder bekommen deutsche Muslime zu hören, es dürfe hier keine Moschee gebaut werden, bis nicht Kirchen in diesem oder jenem sogenannten islamischen Land errichtet werden dürfen. Andere Muslimfeinde fordern eine Art Religionsfreiheit 2. Klasse für Muslime in Deutschland, solange in irgendwelchen sogenannten islamischen Ländern Christen verfolgt werden. Gerne fordert man die deutschen Muslime auch auf, regelmäßig gegen dieses oder jenes zu demonstrieren, um damit zu beweisen, dass sie "friedliche" und "loyale" Muslime sind. Doch warum sind deutsche Muslime für die Innenpolitik undemokratischer, autoritärer Staaten in der sogenannten muslimischen Welt verantwortlich? Sie sind doch Staatsbürger Deutschlands und nicht von Saudi-Arabien oder Afghanistan? Werden denn ähnliche Forderungen an die deutschen Hindus wegen der Christenverfolgung in Indien gestellt? Werden denn ähnliche Forderungen an die deutschen Buddhisten wegen der Verfolgung von Muslimen in Myanmar gestellt? Oder an die deutschen Juden wegen des Nahost-Konfliktes? Das dritte D ist der Test auf Delegitimierung des muslimischen Lebens in Europa. Der Islam wird hierbei als totalitäre Ideologie denunziert, der die westlichen Werte bedrohe. Seine Anhänger würden schrittweise darauf hinarbeiten, die Schariʾa einzuführen. Der Muslim könne folglich nicht Muslim und zugleich Staatsbürger eines europäischen Landes sein. Der Muslim bleibt somit stets der Fremdling, gleichgültig, wie sehr er sich in die Gesellschaft einbringt. Es gilt dann, dieses gesammelte Tatsachenmaterial publik zu machen, um einen gesellschaftlichen Diskurs anzustoßen. Hätte Ekrem Şenol von Migazin die Pressemitteilung der RAMSA über die überfallene Studentin in Kaiserslautern nicht aufgegriffen und öffentlich gemacht, dass die Polizei sich weigerte, das Opfer ernst zu nehmen, hätte nie jemand von diesem Vorfall erfahren. In der Anprangerung der Muslimfeindlichkeit zeigt sich ein weiterer Vorteil dies als Bürger und nicht als Muslim zu tun. In der politischen Sphäre werden Muslime stets gefragt, warum sie dieses oder jenes tun und wo dieses und jenes im Qurʾān begründet sei. In ihrer Gutgläubigkeit versuchen Muslime dann stets die entsprechenden Belegstellen aus der Offenbarung aufzuzeigen. Doch seit wann zählt der Qurʾān in der politischen Auseinandersetzung in Deutschland als eine ernstzunehmende Quelle? Im politischen Diskurs braucht eine Kopftuchträgerin ihr Kopftuch nicht zu rechtfertigen und niemand hat das Recht, ihr vorschreiben zu wollen, wie sie ihre Religion gefälligst zu verstehen hat. Sondern das Kopftuch ist Ausdruck ihres persönlichen Verständnisses vom Islam, und dieses ist geschützt durch Artikel 4 des Grundgesetzes. Statt also auf die islamische Offenbarung zu verweisen, haben muslimische Mitbürger in der politischen Diskussion mit dem Grundgesetz einen "gewichtigeren" Text, der ihre Freiheiten verteidigt.[v] Wir Muslime müssen in Zukunft mit weiteren Provokationen und Übergriffen auf muslimische Mitbürger und muslimische Einrichtungen in unserem Land rechnen. Es wird nicht reichen, lediglich Daten hierüber zu sammeln und zu versuchen, Diskurse anzustoßen. Es wird notwendig sein, friedvolle, gewaltlose und kreative Protestaktionen einzuleiten, um dadurch das Gewissen unserer Mitbürger wachzurütteln und eine Verwandlung in unserer Gesellschaft auszulösen. Aber alle Aktivisten eines solchen Protestes müssen vor jeder Aktion in sich gehen, und sich selbst prüfen, ob sie den Ansprüchen des kreativen Protestes genügen. Kreativer gewaltloser Protest bedeutet: 1) Sich selber nicht emotionalisieren zu lassen. Der gewaltlose Aktivist darf keinen Hass gegenüber Muslimfeinden verspüren, denn der Protest richtet sich niemals gegen die Personen, die das Böse tun, sondern nur gegen deren Handlungen. Wäre es anders, so würde dies im gewaltlosen Aktivisten ein Gefühl der Feindschaft hervorrufen. Das Ziel des gewaltlosen Protestes ist es jedoch, Muslimfeinde von ihren Ressentiments zu befreien, ihre Empathie, ihr Verständnis, ihre Sympathie und schließlich ihre Freundschaft zu gewinnen, so dass Aussöhnung in unserer Gesellschaft möglich wird. 2) In seinem Handeln darf der gewaltlose Aktivist nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, sondern er wird den Hass, der ihm begegnet, durch entgegengesetztes Tun in Liebe verwandeln. Wer Böses mit Bösem und Hass mit Hass vergilt, der vergrößert nur das Böse und den Hass in dieser Welt. Ein gewaltloser Aktivist wird Beschimpfungen ertragen ohne selber zu beschimpfen. Er wird Verleumdungen erdulden ohne selber zu Verleumden. Er wird Schläge hinnehmen, ohne selber zurückzuschlagen. Stattdessen wird er die Regeln der Höflichkeit achten und den Friedensgruß entbieten, umso hoffentlich ein Irritiertsein und ein Nachdenken im Anderen auszulösen. Malcolm X riet in seinem Tagebuch, stets die konstruktive Herangehensweise zu wählen, da diese am effektivsten sei.[vi] Nur so können wir den Muslimfeinden helfen, sich in Deutschland zu integrieren und sie zum reichen Brunnen der Demokratie zurückführen, der im Grundgesetz gegraben wurde. Natürlich wird es diejenigen geben, die sagen, es sei unklug oder es sei der falsche Zeitpunkt, um für die Bürgerrechte der muslimischen Mitbürger zu demonstrieren, denn dies würde die Spannungen in unserem Land zwischen Muslimen und Nichtmuslimen nur erhöhen. Aber dies entgegnete man damals in einem anderen Kontext auch Martin Luther King (gest. 1968), der hierauf schrieb: „Sie [die gewaltlose Protestmethode] will eine Krise herbeiführen, eine schöpferische Spannung erzeugen, um damit eine Stadt, die sich bisher hartnäckig gegen Verhandlungen gesträubt hat, zu zwingen, sich mit den Problemen auseinanderzusetzen. Sie will diese Probleme so dramatisieren, dass man nicht mehr an ihnen vorbei kann. Es gehört, wie gesagt, zur Aufgabe dessen, der gewaltlosen Widerstand leistet, eine Spannung zu erzeugen.“[vii] Diese Spannung ist jedoch konstruktiv und schöpferisch, da sie Aussöhnung und damit gesellschaftliches Wachstum anstrebt.[viii] Gesellschaftlicher Fortschritt braucht Schrittmacher. Und in unserer überalterten Gesellschaft kommt diese Rolle und Verantwortung den jungen Muslimen zu. Zudem hat man bisher noch keine starke Stimme in unserem Land vernommen, die fordert, dass die geistigen Brandstifter von Politically Incorrect, Die Freiheit, Identitäre Bewegung, Pegidaund andere Muslimfeinde sich für ihre Volksverhetzung und Aufhetzung gegen Gruppen, verantworten sollen. Im Falle von Pegida heißt es ständig, man müsse die Ängste und Sorgen von Bürgern ernstnehmen, aber wer nimmt die Sorgen und Ängste der muslimischen Mitbürger ernst, wenn alteingesessene deutsche Bürger unbekümmert, Seite an Seite mit Rechtsradikalen, gegen Muslime und Asylanten demonstrieren – gerade einmal 71 Jahre nach der Herrschaft der Nazis. Und selbst wenn Pegida nun geschrumpft ist, die Ressentiments bleiben und werden weitergereicht.


Ich kann jetzt schon die Stimmen hören, die sich wegen des Bezugs zur Nazizeit aufregen. Aber die Gerechtigkeit liegt in der Erinnerung. Das dunkle Kapitel der Naziherrschaft zu unterdrücken oder vergessen zu wollen, ist die größte Gefahr, der wir als Nation ausgesetzt sind. Wenn wir die Fehler der Vergangenheit in diesem Land nicht wiederholen wollen, dann müssen wir uns erinnern wollen. Nur so können wir lernen und demgemäß handeln. Der Politikwissenschaftler Farid Hafez äußerte in diesem Geiste: „Beim Judentum hat man aus gegebenem Anlass, wegen des Holocaust, begonnen, eine Selbstreflexion zu pflegen. Aber die hat sich nie auf den Islam bezogen. Was wiederum bedeutet, dass in allen möglichen systemischen Zusammenhängen das alte Negativbild noch existiert. Von der schulischen Bildung bis hin zu den Universitäten finden wir Spuren dieses Weltbildes, das den Islam herabwürdigt und eindeutig negativ behandelt.“[1] Ich spreche also nicht von Zensur. Ich meine auch nicht das Grundrecht auf Meinungsfreiheit einzuschränken. Niemand soll einen Maulkorb verpasst bekommen. Aber Meinungsfreiheit legitimiert nicht die geistige Brandstiftung. Die Meinungsfreiheit ist eingebunden in Artikel 1 des Grundgesetzes, der die Würde des Menschen schützt. Wir können nicht mehr warten, während Tag für Tag immer mehr Mitbürger muslimischen Glaubens mit Vorurteilen konfrontiert werden. Nicht jeder ist stark genug, dem täglich die Stirn zu bieten. In manchen zementiert sich ein Gefühl tiefer Bitterkeit gegenüber dieser Gesellschaft. Andere wiederum ziehen sich zurück und versuchen ihren Glauben zu verbergen, weil sie den Druck Muslimzusein und sich dafür ständig rechtfertigen zu müssen, nicht mehr tragen können. Und andere werden infiziert mit der Vorstellung, dass an ihrer Religion vielleicht tatsächlich etwas nicht stimmt. Wolken eines Minderwertigkeitsgefühls tauchen an ihrem geistigen Horizont auf, weil in unserem Land Integrationsprobleme und soziale Missstände islamisiert werden. Der Islam wird zum Problem erklärt, ergo, Muslime sind ein Problem. Nein, warten können wir nicht mehr. King schrieb einmal, dass es ein tragisches Missverständnis des Begriffes Zeit gäbe. „Es ist die merkwürdige unrealistische Vorstellung, dass die Zeit die Fähigkeit besäße, unweigerlich alle Übel zu heilen. Die Zeit ist aber durchaus neutral. Sie kann sowohl destruktiv als auch konstruktiv verwendet werden. Ich glaube allmählich, dass die Menschen bösen Willens ihre Zeit wesentlich nützlicher verwendet haben als die Menschen guten Willens. (…) Wir müssen die Zeit schöpferisch verwenden und uns stets vor Augen halten, dass es immer rechte Zeit ist, das Rechte zu tun.“[2] Diejenigen von uns Muslimen, die stark genug sind, der Muslimfeindlichkeit die Stirn zu bieten, stehen in der großen Verantwortung das Selbstbewusstsein von all jenen Geschwistern, die dies nicht können, zu stärken. Sie darin zu bestärken, dass alles okay mit ihnen ist, so wie sie sind. Das sie an sich glauben sollen und das sie jemand in diesem Land sind. Wir werden nicht anfangen, uns selber zu meiden. Wir werden nicht zulassen, dass man uns aus unserer Religion eine Kette macht. Voller Stolz entgegnen wir den Muslimfeinden: „Ich bin ein Muslim. Meine Religion ist der Islam. Ich glaube an Gott. Ich glaube an Muhammad als dem Gesandten Gottes. Ich glaube an die Brüderlichkeit aller Menschen, aber ich glaube nicht an eine Brüderlichkeit mit jemanden, der nicht bereit ist Brüderlichkeit mit unseren Leuten zu praktizieren.“[3] Im Prophetenwort heißt es:   Von Abu Amr – er wird auch Abu Amra geheißen – Sufyan ibn Abd Allah (Gottes Wohlgefallen auf ihm), der gesagt hat: Ich sprach: „O Gesandter Gottes, sage mir ein Wort über den Islam, das ich von keinem anderen als dir erfragen kann.“ Er sagte: „Sprich: Ich glaube an Gott – dann stehe (dazu).“ (Muslim)[4]   Niemand anderes als wir Muslime selber können dies für unsere Glaubensgeschwister tun. Lasst uns unseren Geschwistern von Nord bis Süd, von West bis Ost die Botschaft überbringen, dass sie stolz auf ihr Muslimsein und ihr geistiges und kulturelles Erbe sein sollen, das bis zum Propheten Muhammad und seinen Gefährten zurückreicht. Und versteht mich bitte nicht falsch, mit Stolz meine ich nicht die althochdeutsche Bedeutung dieses Wortes im Sinne von überheblich, sondern ich meine seine mittelniederdeutsche Bedeutung von ritterlich, selbstbewusst und selbstsicher. Es gibt nichts wofür wir uns schämen müssen in unserer Religion. Und man sehe mir den folgenden Anglizismus nach, aber es klingt auf Englisch einfach schöner: Islam is beautiful, and to be a Muslim is beautiful.    

Muhammad Sameer Murtaza M.A. ist Islamwissenschaftler bei der Stiftung Weltethos (http://www.weltethos.org/), wo er aktuell zum Thema Gewaltlosigkeit aus den Quellen des Islam forscht. Zuletzt erschien sein Buch Islam. Eine philosophische Einführung und mehr…
Literatur


Al-Nawawi (o. J.): Vierzig Ḥadīṯe. Kuwait.Benz, Wolfgang (2012): Die Feinde aus dem Morgenland. Wie die Angst vor den     Muslimen unsere Demokratie gefährdet. München.Bertelsmann Stiftung (2015): Religionsmonitor Sonderauswertung Islam 2015.Internet: http://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/51_Religionsmonitor/Zusammenfassung_der_Sonderauswertung.pdf (14.06.2015).Christ&Welt (2015): "Unser Restfeindbild". Internet:http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-01/islamfeindlichkeit-bertelsmann-studie-interview-kai-hafez-sabrina-schmidt (14.06.2015).Dietrich, Tobias (2008): Martin Luther King. Paderborn.Heimbach-Steins, Marianne (2012): Religionsfreiheit. Ein Menschenrecht unter     Druck. Paderborn.King, Martin Luther (2008): Ich habe einen Traum. Düsseldorf.Ulusoy, Betül (2015): Wo steht im Koran bitte etwas von Kopftuch? Internet:https://betuelulusoy.wordpress.com/2015/03/08/wo-steht-im-koran-bitte-was-von-kopftuch/ (14.06.2015).X, Malcolm (2011): Malcolm X talks to young people. New York.X, Malcolm (2013): The Diary of Malcolm X El-Hajj Malik El-Shabazz 1964. Chicago. 



[1]  Christ&Welt (2015).

[2]  King, Martin Luther (2008: 75-76).

[3]  Vgl. X, Malcolm (2011: 37).

[4]  Al-Nawawi (o. J.: 62).






[i]  Vgl. Bertelsmann Stiftung (2015).



[ii]  Vgl. Christ&Welt (2015).



[iii]  Vgl. Benz, Wolfgang (2012: 77).



[iv]  X, Malcolm (2013: 23).



[v]  Vgl. Ulusoy, Betül (2015).



[vi]  Vgl. X, Malcolm (2013: 104).



[vii]  King, Martin Luther (2008: 66-67).



[viii]  Vgl. ebda. (67).





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