Newsnational |
Dienstag, 22.04.2014 | Drucken |
Muslime bald gleichberechtigt ?
Der Islam sollte in Deutschland möglichst bald staatlich anerkannt werden, mit allen Rechten und Pflichten für die Gemeinden. Das zumindest meint der Staats -und Kirchenrechtler Hans Michael Heinig heute in einem Kommentar
In der Theorie ist die Sache einfach: Nach dem Grundgesetz sind Diskriminierungen aus religiösen Gründen verboten. Die besonderen Institute des Staatskirchenrechts sind mit einem Gleichheitsversprechen versehen: Alle Religionsgemeinschaften haben das Recht, dass in öffentlichen Schulen nach ihren Grundsätzen Religionsunterricht erteilt wird. Alle können freie Wohlfahrtsverbände ausbilden und Gefängnisseelsorge betreiben. Alle erhalten auf Antrag die Rechte einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft und damit die Möglichkeit, Mitgliedsbeiträge in Form einer Steuer einzuziehen.
Doch in der Praxis bereitet die gleichberechtigte Integration des organisierten Islams in das deutsche Religionsrecht Probleme. Praktische Fortschritte gab es in den vergangenen Jahren immer nur dort, wo politischer Wille einen kreativen Umgang mit dem geltenden Recht beförderte. In Hessen und Nordrhein-Westfalen wurde regulärer islamischer Religionsunterricht nach verschiedenen Bauplänen eingeführt, die beide Schwachpunkte in der Statik aufweisen. In Hamburg schlossen muslimische Dachverbände und Senat einen Vertrag in Anlehnung an Konkordate und Staatskirchenverträge, ohne deren besondere Bindungswirkung zu übernehmen. Bundesweit wurde islamische Theologie an mehreren staatlichen Hochschulen etabliert; plural besetzte Beiräte üben dort gegenüber dem religiös-weltanschaulich neutralen und damit inkompetenten Staat bestimmte Mitwirkungsrechte aus. Dabei bleibt bewusst unklar, ob diese Beiräte für die islamischen Religionsgemeinschaften tätig werden – oder statt ihrer. So kamen zahlreiche pragmatische Einzellösungen zustande, die in der Summe aber das Gegenteil dessen bewirkten, was beabsichtigt war: Es sind zahlreiche Sonderlösungen für den organisierten Islam entstanden, die umfängliche Gleichstellung der Muslime aber fehlt.
Was religionspolitisch gut gemeint war, könnte sich auf Dauer als kontraproduktiv erweisen. Jedenfalls verdichtet sich bei vielen Verbandsvertretern der Eindruck, sie würden gegenüber anderen Religionsgruppen strukturell benachteiligt. Diese Wahrnehmung korrespondiert mit vielen Erfahrungen. Der Islam ist hierzulande im Wesentlichen infolge von Arbeitsmigration präsent. Bis heute sind Muslime in den Eliten unseres Landes unterrepräsentiert. Viele junge Muslime kämpfen um ihren sozialen Aufstieg und erleben in ihrem Alltag Fremden- und Islamfeindlichkeit. Vor diesem Hintergrund wird die religionsrechtliche Gleichberechtigung für sie zum Lackmustest für gleiche Freiheit und gleiche Lebenschancen.
Auch die Politik erkennt, dass die bislang gefundenen pragmatischen Zwischenlösungen nicht ausreichen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière will der Deutschen Islamkonferenz neuen Schwung verleihen und in Fragen der islamischen Anstaltsseelsorge und Wohlfahrtspflege Fortschritte erzielen. Auch beim Religionsunterricht, für den die Länder zuständig sind, gibt es Bewegung. So hat die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen mit Vertretern verschiedener Verbände Gespräche über ihre Anerkennung als Religionsgemeinschaft begonnen. Im nordrhein-westfälischen Landtag wurde in öffentlicher Anhörung ein Gesetzentwurf beraten, der die Verleihung der Rechte einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft vereinfachen und mehr Rechtssicherheit schaffen würde.
Wenn die Zeichen nicht trügen, nehmen der Staat und die organisierten Muslime in Deutschland gerade in eine neue Etappe in Angriff. Religionspolitisch herrschte lange Zeit Sprachlosigkeit. Das änderte sich nach 2006 mit der Deutschen Islamkonferenz; dort dominierten auf staatlicher Seite Fragen zur inneren Sicherheit, die Muslime dagegen wollten schnelle Fortschritte in praktischen Fragen. Nun ist es Zeit für eine dritte Phase, die mehr religionspolitische Nachhaltigkeit sucht. Beide Seiten sollten dabei einige Grundeinsichten beherzigen.
Religion ist aus politischer Sicht immer ambivalent. Sie kann das Gemeinwohl befördern wie gefährden. Doch individuelle Sinnstiftung und religiöse Geselligkeit haben in einer freiheitlichen Gesellschaft auch ein Eigenrecht. Deshalb muss sich die deutsche Religionspolitik stärker aus den Verzweckungen durch die Integrations- und Sicherheitspolitik lösen. Eine praktische Konsequenz daraus ist: Gibt es Zweifel an der Rechtstreue einzelner muslimischer Akteure, muss die staatliche Seite diese Bedenken benennen – und darf nicht Formalien vorschieben. Sonst wird das Vertrauen in den Rechtsstaat zerstört.
Die Moscheegemeinden ihrerseits müssen an ihrer mitgliedschaftlichen Struktur weiterarbeiten, wenn sie und ihre Verbände Körperschaften des öffentlichen Rechts werden wollen. Hilfskonstrukte scheiden hier aus. Die Verfassung begründet einen Anspruch auf Verleihung der öffentlich-rechtlichen Rechtsform. Doch das Grundgesetz kennt auch Bedingungen. Die wichtigste und für die Muslime schwierigste Voraussetzung ist die Selbstorganisation der Gläubigen als Mitglieder einer juristischen Person. Das meint rechtstechnisch der Begriff „Religionsgemeinschaft“. Wer öffentliche Rechte haben will, muss auch staatliche Rechtspflichten respektieren.
Deshalb muss klar sein, wer zu einer Religionsgemeinschaft gehört und wer nicht – und wer für wen gegenüber dem Staat spricht, wer in seinen religiösen Interessen durch eine bestimmte Gemeinschaft nicht vertreten wird. Eine solche Mitgliederstruktur entspricht jedoch nicht der Tradition des Islams. Viele Muslime nutzen die Angebote der Moscheegemeinden, ohne deren Mitglied zu werden. Doch anders als zuweilen befürchtet, verlangt das Grundgesetz keine Verkirchlichung. Glaubenskongregationen, Bischofskonferenzen und Landeskirchenämter können sich die Muslime sparen. Trotzdem gibt es erkennbare Vorbehalte im organisierten Islam, sich den Anforderungen des Grundgesetzes anzupassen. Machtinteressen spielen dabei wohl ebenso eine Rolle wie Misstrauen der Gläubigen gegenüber den Verbänden. Man will sich nicht vereinnahmen lassen.
Schnelle Lösungen sind nicht in Sicht, nur ein langfristiger Mentalitätswechsel kann Abhilfe schaffen. Hierbei sind die Imame und die Funktionäre in den Verbänden gefordert. Doch auch der Staat kann seinen Beitrag leisten, indem er Bemühungen der Muslime zur adäquaten Selbstorganisation konstruktiv begleitet, wie nun in Nordrhein-Westfalen verabredet. Freilich sind verfassungsrechtliche Organisationsanforderungen kein tauglicher Gegenstand politischen Tauschhandels. Der Schutz der Freiheit aller Bürger, gleich welcher Religion oder Weltanschauung, steht nicht zur staatlichen Disposition.
Erstveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors Prof. Dr. Michael Heinig, Leiter des Kirchnrechtlichen Institutes der Evangelischen Kirche in Deutschland, in der Süddeutschen Zeitung von heute (22.04.14)
|
|
Hintergrund/Debatte
Mein Austritt aus der CDU -Eine Entscheidung des Gewissens- Aladdin Beiersdorf-El Schallah, Stv. Vorsitzender ZMD-NRW, Stadtverordneter Sankt Augustin und ehemalige dortige Stadtverbandsvorsitzender erklärt detailliert seine Beweggründe ...mehr
Extreme bis extremistische Einstellungen in Deutschland auf dem Vormarsch mit Spiegelung in der Politik und Medien ...mehr
Langes KNA-Interview: Der neue Vorsitzende des Zentralrats der Muslime über sein Amt ...mehr
Bochum ehrt Ahmed Aweimer zum 70. Geburtstag ...mehr
Aiman Mazyek kommentiert das Verbot der Imam Ali Moschee: "Blaue Moschee - Islamisches Zentrum in Hamburg ...mehr
Der Koran – 1400 Jahre, aktuell und mitten im Leben
Marwa El-Sherbini: 1977 bis 2009
|