Newsnational Montag, 01.04.2013 |  Drucken

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Was deutsche Rechtsterroristen mit Al Qaida gemein haben

Mohammed Khallouk bespricht Navid Kermanis neustes Werk „Vergesst Deutschland! Eine patriotische Rede“

Die Hamburger Lessingtage werden immer wieder als Anlass verstanden, aus Werken oder Aussagen des bedeutenden deutschen Klassikers Erkenntnisse für die Gesellschaft der Gegenwart zu ziehen. Dieser Tradition folgte auch der aus einer iranischen Immigrantenfamilie stammende Schriftsteller Navid Kermani in der Eröffnungsrede von 2012, die anschließend unter dem Titel „Vergesst Deutschland!“ veröffentlicht wurde.

Die Aktualität ergab sich diesmal aus der im Herbst zuvor aufgeflogenen rechtsradikalen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), deren mutmaßliche Hauptaktivisten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 4. November 2011 sich in ihrer Zwickauer Wohnung im Bewusstsein der heranrückenden Polizei erschossen und die Wohnung anschließend von ihrer Komplizin Beate Zschäpe anzünden ließen. Einen Zeitraum von insgesamt elf Jahren konnte jene Terrorgruppe offensichtlich ungehindert agieren und nutzte dies mutmaßlich, um acht türkische und einen griechischen Einwanderer sowie eine Polizistin bei über das gesamte Bundesgebiet verteilten Anschlägen zu ermorden.

Kermani vergleicht das Verhalten jener Zwickauer Rechtsterroristen sowohl mit den Attentätern vom 11. September 2001 als auch mit Lessings Trauerspielfigur Philotas, die ebenfalls für ein abstraktes Ziel und den Kampf gegen einen kollektiven Gegner unzählige Menschen umzubringen und schließlich auch das eigene Leben auszulöschen bereit waren.

In allen drei Fällen hätten die Akteure ein konstruiertes Über-Ich - im Falle al-Qaidas den als „gegnerische Zivilisation zum Westen“ interpretierten „Islam“, im Falle Philotas wie der NSU die eigene Nation – durch einen konstruierten Feind bedroht gewähnt, den es in aktiver Tat zu bekämpfen und möglichst auszumerzen galt. Der Selbstmord, als „Märtyrertod“ überhöht, habe allen drei als probates Mittel gegolten, das imaginäre Ziel des langfristigen Sieges des eigenen konstruierten Kollektivs zu erreichen.  

Der Prinz Philotas befand sich in der Tragödie Lessings in der Kriegsgefangenschaft des feindlichen Königs Aridäus, dessen Sohn gleichzeitig von Truppen Philotas´ Vaters gefangen genommen worden war. Anstatt auf einen Austausch der beiden gefangenen Prinzen als Zeichen der Versöhnung zu drängen, wozu sowohl Philotas Vater als auch Aridäus offenbar bereit gewesen wären, zog Philotas den eigenen Tod vor, getragen von dem Bewusstsein, dass Aridäus für die Rückgabe von dessen lebenden Sohn mehr an die gegnerische Nation abzugeben bereit wäre als sein Vater für die Übergabe seiner eigenen Leiche.

Diese bei Philotas zum Ausdruck gelangende Überidentifikation mit der Nation, die sich spätestens mit der NSU im heutigen Deutschland wieder als präsent und verbreitet herauskristallisiert habe, entlarve Lessing, Kermani zufolge, als Kennzeichen von Inhumanität, weil der Mensch darin zum Werkzeug einer Sache stilisiert werde und weil diese Art von Patriotismus der Egalität des demokratischen aufklärerischen Gedankens entgegenstehe.

Statt der Suche nach Versöhnung und Ausgleich bleibe der konstruierte Andere beständig und genuin Feind. Ihn gelte es mit allen Mitteln auszurotten, auch um den Preis des eigenen Lebensverlustes.

Lessing steht für Kermani für eine ganze Generation bedeutender deutscher Dichter und Literaten, die sich einerseits bereits in einer Epoche pränationaler Kleinstaaterei offen und unbefangen zu ihrem Deutschtum bekannten, sich andererseits jedoch gegen den ausschließenden Patriotismus der Deutschnationalen wandten. Jener gestehe nur einem konstruierten Eigenen die Zugehörigkeit zu diesem „Deutschland“ zu, nehme jedoch den tatsächlichen oder vermeintlichen Anderen - sei er Jude, Muslim oder Angehöriger einer ethnischen Minorität -  nicht nur davon aus, sondern unterstelle ihm zugleich, dieses „Deutschland“ zerstören zu beabsichtigen.

Dieses Zugehörigkeitsbewusstsein zu einem konstruierten Kollektiv wie beispielsweise diesem „Deutschland“, aber auch einem „christlich-westlichen Kulturkreis“ impliziere zudem eine genetisch bedingte Überlegenheit gegenüber dem Anderen, eine exklusivistische Denkweise, die sich in jüngster Zeit im biologistischen Vokabular von Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ als nach wie vor verbreitete Tendenz geoffenbart habe.

Diesen ausgrenzenden, das Eigene überhöhenden Patriotismus begreift Kermani letztlich als entscheidend dafür verantwortlich, dass, trotz angeblich akribischer Spurensuche von Polizei und Verfassungsschutz, die Terrorzelle NSU erst nach einem von Blut durchtränkten Jahrzehnt aufgeflogen sei und die Majorität der deutschen Medien wie Sicherheitsbeamte bis zuletzt eine „deutsche Täterschaft“ für die einem bestimmten Muster folgenden Attentate auf majoritär muslimische Immigranten ausschlossen.

So sehr dieser zum Kulturalismus und Nationalismus übersteigerte deutsche Patriotismus unter den Eliten wie in der Civil Society dieses Landes aktuell verbreitet sei, das Fundament unserer deutschen Demokratie und mehr noch des gesellschaftlichen Fortschrittes, der diese ermöglicht hat, wurzeln, Kermani zufolge, auf einer anderen Säule. Es ist die Gleichwertigkeit aller Menschen mit gleichen Rechten und Ansprüchen an die Gemeinheit, die bereits in Lessings Ethik einen zentralen Stellenwert einnimmt.

Im Geiste Lessings fordert Kermani Deutsche wie Nichtdeutsche auf, das Individuum Mensch über unsere jeweiligen Nationen zu stellen und sich einen Verfassungspatriotismus anzueignen, in dem nicht mehr ein konstruiertes Abstraktum „Deutschland“ im Mittelpunkt steht, sondern der Gleichheitsgrundsatz des deutschen Grundgesetzes, der diesem auch jenseits von nach außen wie nach innen ohnehin künstlich gezogenen deutschen Grenzen Attraktivität verleiht.


Navid Kermani: Vergesst Deutschland! Eine patriotische Rede
Zur Eröffnung der Hamburger Lessingtage 2012
Ullsteinverlag, Berlin 2012



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