Artikel Donnerstag, 14.02.2013 |  Drucken

Rede Dr. Klaus Lefringhausen auf dem ersten Annemarie Schimmel Forum in Bonn

Weltpoesie ist Weltversöhnung
Gedenkfeier für Annemarie Schimmel

Sie alle haben Dank verdient, weil Sie ein Geschenk mitgebracht haben: kostbare Zeit, unersetzbare Lebenszeit, die Sie einsetzen, damit wir uns gemeinsam des Vermächtnisses von Annemarie Schimmel erinnern können.

Sie hat sich wie kaum jemand zuvor in Kulturen eingefühlt und eingelebt und versucht, sie von innen her zu verstehen, statt sie aus kalter Distanz von außen zu analysieren.
Ihr Beispiel hat die These von Exupery bestätigt, dass man nur mit dem Herzen gut sieht.
Kulturelle Grenzen waren für sie nicht Trennlinien, sondern Orte der Begegnung, des Überschreitens und der schöpferischen Vielfalt.
Dem Selbstgespräch des Islam lauschend, hat sie kulturelles Wissen in Weisheit verwandelt.
Sie wurde Teil dieses islamischen Selbstgespräches, oft mit der Würde zuhörenden Schweigens.

Sie lebte ein Konflikte aushaltendes Lernen vor,
entgiftete die Sprache von kulturellen Distanzvokabeln, hielt kulturelle Mehrsprachigkeit für ein würdiges Lebensziel,
lebte und liebte die Weite des Horizontes einer offenen Identität und entwickelte die große Zukunftstugend des solidarischen Anders-Seins.

An Widerspruch hat es ihr nicht gefehlt.
Doch gegen die Kritiker aus dem Wissenschaftsbetrieb hielt sie daran fest, dass Begegnungen tiefere Einblicke geben als eine verschriftlichte Kommunikation, weil man, so die afrikanische Weisheit: „einem Papier nicht in die Augen sehen kann.“

Politiker lernten an ihrem Beispiel, dass politische Absichtslosigkeit Vertrauensbrücken schafft und letztlich mehr bewegt, als es noch so kluge Taktiken vermögen.

Denen, die auf religiöse Abgrenzung setzen, zeigte sie, dass interkulturelle Begegnung keine kulturelle Selbstaufgabe ist, sondern dass man Eigenes im Licht des Anderen neu und bewusster sehen lernt. Das gefährdet Identitäten nicht, sondern bereichert sie, denn kulturelle Vielfalt ist besser als Einfalt.

Denen, die um den Frieden bangen, sagte sie, dass Weltversöhnung nicht ohne schöpferischen Umgang mit Andersartigkeit zu haben ist, denn nur so ebnet sich der Weg vom multikulturellen Nebeneinander zum interkulturellen Miteinander.  

Uns würde sie heute zurufen, dass die These „Weltpoesie ist Weltversöhnung“ nicht zu einer inneren Emigration aus der Welt aufruft, die das Leben dem Schönen, Guten und Wahren widmet, während die Realität im Griff derer bleibt, die sich und andere auf dem Altar der Nützlichkeiten opfern.

Gleichwohl wirkt die These von der Poesie als Weltversöhnung zunächst utopisch, denn Poesie kann keine Panzer abwehren und nicht das Kampfgetöse von Wahlkämpfen übertönen und keine Trends zur Politik der harten Hand umkehren.

Gleichwohl hat Annemarie Schimmel sich nicht entmutigen lassen, weil sie wusste, dass weiches Wasser harte Steine besiegen wird, wenn man gegenseitige Verneinungen überwindet und für Gemeinsamkeiten neuen Lebensraum schafft und mit der Sprachkultur der Poesie das Wachsen fördert, das Hegen, Lernen, Öffnen, Aufbauen, Aufnehmen, Entdecken und Staunen. Diese Sprache immunisiert gegen Zwänge der Verfeindung, Kollektivurteile und die Hassbereitschaft gestörter Identitäten.

Doch Poesie gegen Panzermentalitäten, ist das nicht etwas elitär gedacht? Die religiöse Vision, dass Zeiten kommen, in denen Löwen friedlich neben Lämmern grasen, ist zwar anrührend, doch wehe dem, der glaubt, es wäre schon so weit.

Dagegen würde Annemarie Schimmel ihre Erfahrung setzen, dass Poesie Menschen verbindet, sie für den Reichtum des Gegenübers öffnet und die Sicht verändert, denn aus dem abschätzenden und einordnenden Blick wird ein bejahender, teilnehmender und Würde aufspürender Blick, weil Poesie eine humane Grundmelodie anstimmt, der gegenseitige Verneinungen fremd sind.

Wenn Meinungsführer damit beginnen, wie es kürzlich die 138 muslimischen Gelehrten mit ihrem Schreiben an die Kirchen der Welt taten, dann entsteht ein neues Meinungsklima durch die therapeutische Funktion gemeinsamer Arbeit an der Zukunft.
 
Annemarie Schimmels Vermächtnis sagt, dass Poesie nicht nur ein Wort ist, sondern ein Lebensstil, der zwischenmenschliche Anziehungskräfte frei legt, Hoffnung wieder aufforstet und den Menschen in seinem Eigentlichen aufsucht.

So gehört Poesie zu den Klopfzeichen des Humanum in spirituell verödeten und kulturell versteppten Industriegesellschaften, aber auch im Umfeld des religiösen Faschismus, der Welterklärungsmonopole und der Dominanzansprüche.

So wird Poesie zu einem Impuls für Weltversöhnung, denn poetische Sensibilität
geht achtsam mit kultureller Verwundbarkeit um, demütigt nicht, respektiert authentische Kulturen und macht sich nicht mit einem elitären, exotischen, hierarchisierenden, imperativen und besitzenden Kulturbegriff unerreichbar.

Ihr Leben war eine lebendige Brücke zwischen Ost und West, denn sie brachte nicht nur östliches Denken dem Westen nahe, sondern auch den Westen dem Osten - etwa durch Goethe und Hildegard von Bingen.

Sie hat mit Gandhi sagen können: „Ich will nicht, dass mein Haus von allen Seiten zugemauert ist und meine Fenster alle verstopft sind. Ich will, dass die Kulturen aller Länder durch mein Haus so unbehindert wie möglich wehen. Doch ich weigere mich, von irgendeiner weggeweht zu werden.“

Wer mit Annemarie Schimmel aus der, mit der und für die Poesie der Kulturen lebt, der kann Kultur nicht zum Feindbildproduzenten entarten lassen, sondern wird, wie sie, das Leben als Dschihad gegen alle Verfeindungen leben.

Annemarie Schimmel hielt Poesie und Mystik nicht für eine weltenthobene, künstliche Leichtigkeit des Seins, denn, so schrieb sie noch im Jahr 2002,
„in Wirklichkeit ist Mystik, wenn man sie ernst nimmt, eine harte Arbeit an sich selbst, eine Erziehung der Seele, eine Erziehung des Herzens, Läuterung des Herzens, ein Polieren des Spiegels“.

Mit ihrem spirituellen Vermächtnis kann, darf und will das Annemarie-Schimmel-Forum nicht museal umgehen, sondern es in den Prozess gesellschaftlicher Meinungsbildung stets neu einbringen. So bleibt Annemarie Schimmel ein Weckruf, Stimme des Eigentlichen und Ruf zur Weltversöhnung.

So sind wir dankbar für diese Stunde der Erinnerung, der Besinnung und auch der Mahnung, denn heute ist ihr Lebensimpuls ebenso wenig selbstverständlich, wie zu ihrer Zeit.

K. Lefringhausen



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