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Montag, 11.02.2013 | Drucken |
Weil der NSU-Terror Deutschlands 11. September ist, brauchen wir endlich einen jährlichen Anti-Rassismusbericht – Gegen Verdrängung und Bagatellisierung von Menschenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft - Aiman A. Mazyek
Im Schatten des 11. Septembers konnte neuer rechter homegrowm-Terror hierzulande entstehen, wo selbst eigens geschaffenen Antiterrorgesetze nicht griffen, weil man den Rechtsradikalismus unterschätzt und bisweilen auch strukturell verdrängt hat. Nach dem brutalen rechtsextremistischen Terror in Norwegen wurde dann auch in Deutschland gewahr: Rechst-Terroristen haben hierzulande die schlimmsten Anschläge nach dem 2. Weltkrieg verübt. Dies hat den Generalbundesanwalt zur nachdenklichen Aussage verleitet, wonach der NSU-Terror "der 11.September Deutschlands" markiert.
Frühzeichen für eine solche Entwicklung gab es genug. Nur man hat sie nicht richtig gedeutet und bisweilen verdrängt. Erst jetzt beginnen wir langsam zu begreifen, dass das gesellschaftliche Klima in Deutschland durch manch Gleichgültigkeit und politische Inkonsequenz nach Rostock und Hoyerswerda, Solingen und Mölln, nach dem Brandanschlag in Ludwigshafen und Terroranschlag in der Keupstrasse (in Köln) bis hin zu den vielen rassistischen Morden, wie z.B. an Marwa El-Sherbini und die Anschläge auf Ausländer und muslimischen Einrichtungen, den NSU-Terror erst begünstigt und gestärkt hat. Ähnlich in Europa: Rechts-Terror in Norwegen, der 77 Menschen an einem einzigen Tag das Leben kostete.
Mindestens über 148 Menschen sind in den letzten Jahren in Deutschland durch rassistische und rechtsextreme Gewalt ums Leben gekommen. Es wird Zeit, dass Politik und Gesellschaft sich endlich der chronischen Unterschätzung und Verharmlosung des Rechtsextremismus eingesteht und diese umfassend und nachhaltig bekämpft.
Keine Demokratie hält chronischen Rassismus und Rechtsextremismus im Gewand eines mutmaßlichen legitimen Protestes - "man muss ja mal sagen dürfen" - auf Dauer au
Neonazis haben in den letzten Jahren verstärkt von der islamfeindliche Grundstimmung in der Gesellschaft profitiert- Bsp.: Wilders - Partei Freiheit, NPD, NSU und rechtsextreme Website PI, um nur einige zu nennen - und die Islamangst (das Gespenst Islamisierung Europas geht um ) als Eintrittskarte genutzt, Anhänger zu rekrutieren und Stimmung gegen Juden, Muslime und Andersdenkende zu machen. Oft wurden sie sich dabei durch manche Generalverdachtsdebatten noch bestärkt (Beschneidung, Schmähvideos etc).
Der verurteile Terrorist Breivik hat sich – ähnlich wie der Mörder von Marwa El-Sherbini - weitestgehend durch islamfeindliches Material und Propaganda im Internet verleiten und verführen lassen, darunter auch durch einschlägig bekannte rechtsradikale Seiten und Pamphlete von bekannten Islamhasser-Persönlichkeiten aus Deutschland. Bisher werden diese Erkenntnisse nur vage vom Verfassungsschutz erfasst.
Ein NPD-Verbot, so deutlich wir das auch unterstützen, darf keine Entlastungsdebatte einleiten. Nach dem Motto: wenn erst einmal NPD verboten wird, ist der Rassismus beseitigt. Die ist eine gefährliche Verharmlosung und führt nur dazu, die Augen vor dem Alltagsrassismus und strukturellen Rassismus in der Mitte unserer Gesellschaft zu verschließen. Denn der Rassismus hierzulande ist keine Frage des Umgangs mit Rechtsradikalismus alleine, sondern immer mehr auch eine Auseinandersetzung eines Phänomens, welches bis in die Mitte der Gesellschaft reicht.
Breivik und der Mörder von Marwa haben sich auch durch islamfeindliche Internetpropaganda zum Terror verleiten lassen
Deswegen brauchen wir brauchen jährlichen einen Anti- Rassismusbericht, wo ähnlich wie der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesrepublik fortschrittliche Entwicklungen aber auch Gefahren gegenüber dem Bundestags und der Öffentlichkeit skizziert werden, um daraus gesellschaftspolitische Schlüsse zu ziehen.
Vor allem müssen endlich den politischen Weitsicht aufbringen und Islamfeindlichkeit – oder besser islamfeindlicher Rassismus- bei den Wurzeln packen und als offizieller Tatbestand von Rassismus werten. Dies sind wir nicht zuletzt den Opfern schuldig. Denn Straf- und Gewalttaten gegen Muslime und gegen ihre Moscheen haben in den letzten Jahren in Deutschland drastisch zu genommen. Doch weiterhin weigern sich Bundesregierung und Sicherheitsbehörden, solche Straftaten gesondert zu erfassen. Dadurch werde die Dimension der Islamfeindlichkeit verschleiert.
Bereits im Rahmen eines Treffens vor einem Jahr genau mit Spitzenverbänden gegen Rechts mit den Ministern des Innenministeriums und Familienministeriums forderten wir (ZMD), dass Islamfeindlichkeit als eigenständiger Tatbestand erfasst wird und nicht mehr unter Fremdenfeindlichkeit einfach subsumiert wird. Dies muss nun endlich Gehör finden, weil es neben den faktischen Vorteil, dasss solche Straftaten zukünftig besser zu bekämpfen sind, durchaus auch eine dringend benötigte Wende im Bewusstsein und Sensibilität diesem Phänomen gegenüber einleiten würde.
Keine Demokratie hält chronischen Rassismus und Rechtsextremismus im Gewand eines mutmaßlichen legitimen Protestes - "man muss ja mal sagen dürfen" - auf Dauer aus. Wenn wir dies nicht bald erkennen und dagegen etwas tun, dann passiert genau das, vor dem die Kanzlerin Angela Merkel vor knapp einem Jahr anlässlich der Gedenkveranstaltung für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt gewarnt hat, als sie sagte: „Wir verdrängen, was mitten unter uns geschieht (…) Gleichgültigkeit – sie hat eine schleichende, aber verheerende Wirkung. Sie treibt Risse mitten durch unsere Gesellschaft“.
Weil aber erste Anzeichen dieser Risse nicht mehr zu übersehen sind, machen wir uns nicht zuletzt als deutsche Muslime große Sorgen um unser Land. Denn diese Gleichgültigkeit hinterlässt nicht nur Opfer ohne Namen und Gesichter; was beinah genauso schwer wiegt: Gleichgültigkeit erstickt die Stimmen jener, die weit in der Mehrheit sind. Die Mehrheit der Anständigen in unserem Land, in Zivilgesellschaft, Politik und Medien, Behörden und in der Polizei. Geben wir also all denen wieder eine Stimme und markieren wir das Jahr 2013 als eines, wo unserer Gesellschaft wieder zusammenwächst und die Risse bereit ist zu kitten. Eine Gesellschaft wo es nicht in erster Linie darauf ankommt, welcher Herkunft, Religion (oder keine) und Hautfarbe jeder Einzelne besitzt, sondern inwieweit er bereit ist, die freiheitlich-demokratischen Grundordnung unseres Landes, ausgedrückt durch die Präambel unseres Grundgesetztes „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ jetzt und zukünftig bereit ist zu verteidigen, zu bewahren und zur Entfaltung zu bringen.
(Der Artikel erschien veränderter und gekürzter Form als Kolumne in der "Neuen Deutschland" und auf Qantara.de)
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