Newsnational Montag, 18.06.2012 |  Drucken

Schlag ins Gesicht für die Demokratie in Ägypten

Militär versperrt den Zugang zum Parlament und putscht in Raten – Generäle sichern sich quasi die Alleinherrschaft am Nil – Bürgerrechtler sind empört – Folgenschwerger Fehler der Muslimbruderschaft

Das im Winter erstmals demokratisch gewählte ägyptische Parlament war am Samstag vom der Militärrat (SCAF) aufgelöst worden. Die Entscheidung richtet sich vor allem gegen Mitglieder der Muslimbruderschaft, die - auch dank der eigentlich für parteilose reservierten Sitze - das Parlament dominiert. Sie protestieren heftig, doch ihre politische Macht im Staat ist begrenzt und das Volk ist hungrig und gelähmt. Darauf setzen nun die Strategen beim Militär und wissen allzu genau, dass einige im Westen (nicht nur in Israel) sich insgeheim lieber ein diktatorisches Militärregime wünschen, als ein nach westlichen Maßstäben freies Parlament und Volk, welches seine Führer selber bestimmt.

Auch wenn Mursi Präsident würde, stehen die Zeichen auf Sturm: Er könnte umgehend auf Konfrontationskurs mit den Militärs gehen. Die Muslimbrüder haben bereits Widerstand gegen die Generäle angekündigt. Für Dienstag haben sie eine Vollversammlung des von den Militärs aufgelösten Parlaments einberufen. Zumindest am Eingang des von Soldaten umstellten Gebäudes dürfte es zu Auseinandersetzungen kommen.

Zudem wird der neue Präsident keinerlei Autorität über die Streitkräfte haben. Schon am Dienstag hatte sich die Armee mit einer Art Notstandsgesetz weitreichende juristische Befugnisse gegeben, nach dem jeder Ägypter vor ein Militärgericht gestellt werden kann. Legislative, Exekutive und Justiz sind damit - zumindest in Teilen - in der Hand des Militärs.

Aber damit nicht genug: Während Ägypten am Sonntag gebannt verfolgte, wer die Wahl zum ersten frei gewählten Präsidenten gewinnt, veröffentlichte der herrschende Militärrat acht Zusätze zur provisorischen Verfassung. Mit den Änderungen (s.w.unten) sicherten sich die Generäle quasi die Alleinherrschaft am Nil. Konkret bedeutet das, dass der Militärrat (SCAF) monatelang die Aufgaben des Parlaments als gesetzgebende Versammlung übernimmt, bis das am Samstag aufgelöste Parlament neu gewählt ist. Gleichzeitig haben die Generäle die Oberaufsicht über den Staatshaushalt und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung an sich gerissen

„Einmal mehr erweist es sich es als strategischer Fehler der Muslimbrüder, entgegen ihrer ursprünglichen Aussagen gar keinen nun doch einen eigenen Präsidentenkandidaten aufgestellt zu haben – Die Opposition tat so, als sei das System Mubarak beseitigt – Ein folgenreicher Irrtum“ Ägyptischer Bürgerrechtler

Sowohl der Muslimbruder Mohammed Mursi als auch der Mubarak-Mann Ahmed Schafik wollen mit jeweils etwa 52 Prozent die Wahl für sich entschieden haben. Das offizielle Endergebnis wird spätestens für Donnerstag erwartet. Der absehbare Streit über das Wahlresultat lenkte die Aufmerksamkeit also kurzfristig ab.

Doch dann machte sich doch Empörung breit: Der renommierte Kommentator Ayman Sajad warnte im Gespräch mit dem Fernsehsender a-Hajat, der künftige Präsident werde keine Möglichkeit haben, die Entscheidungen des Militärrats zu kontrollieren oder zu verhindern. "Der Präsident wird weder den Verteidigungsminister auswechseln oder Mitglieder des Rats auswechseln können", erklärte Sajad. Der Militärrat sei jetzt "unantastbar".

Hossam Bahgat von der Ägyptischen Initiative für Bürgerrechte twitterte, sein Heimatland sei nun endgültig zu einer "Militärdiktatur" geworden. Der ehemalige Chef der internationalen Atomaufsichtsbehörde, Mohammed ElBaradei, beschrieb das Dokument der Militärs als "schweren Schlag" für die Demokratie und die Revolution. "SCAF behält die Macht über Gesetzgebung, nimmt dem Präsidenten jede Autorität über die Armee und zementiert seine Macht", twitterte der Friedensnobelpreisträger. Während der Revolution im vergangenen Jahr war er zu einem der prominentesten Oppositionellen geworden.

Eine genaue Analyse der Verfassungszusätze wurde im Laufe des Montag erwartet. Die wichtigsten Änderungen sind: Es gibt keine Kontrolle über die Armee. Der Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist fortan nicht mehr der Präsident, sondern der Vorsitzende des Militärrats. Der SCAF wählt seinen eigenen Vorsitzenden, der Präsident kann zum Beispiel einen Krieg nur nach Genehmigung des Gremiums erklären. (Quellen, dpa, spiegel.de, eigene)



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