Ägypten: Religiöse Parteien siegten
Hohe Wahlbeteiligung - Parlament ohne große Macht - Zieht mächtiger Militärrat hinter den Kulissen die Strippen?
An den Parlamentswahlen, die vom 28. November bis zum 18. Januar in drei Etappen stattfanden, drängten so viele Ägypter zur Urne wie nie zuvor. Eine überwältigenden Mehrheit der Ägypter wählte dabei konservativ-religiös: Laut amtlichem Endergebnis 70,4 Prozent der 498 Mandate. Das Bündnis rund um die "Freiheit und Gerechtigkeit"-Partei der Muslimbrüder kam auf 45,7 Prozent der Stimmen, aus dem Lager der Salafisten kamen 24,6 Prozent der Sitze zusammen. Ein Jahr nach dem Beginn der ägyptischen Revolution haben die Ägypterinnen und Ägypter nun in freien Wahlen ihr künftiges Parlament bestimmt. Die hohe Wahlbeteiligung von über 55 Prozent zeigt, dass die Menschen in Ägypten auf eigene Mitbestimmung, ein starkes Parlament sowie demokratisch legitimierte Strukturen für die Zukunft ihres Landes setzen.
Doch trotz der vornehmlich friedlich verlaufenen Wahlen haben die Ereignisse dieses Winters die Demokratiebegeisterung vieler Ägypter gedämpft und sie davon überzeugt, dass ihre Revolution noch nicht vollendet ist.
Das jetzt gewählte Parlament hat nur eingeschränkte Befugnisse, der Ministerpräsident sowie die Minister werden weiter von dem seit der Abdankung Mubaraks herrschenden Militärrat SCAF bestimmt. Er behalte sich die Zuständigkeit für die Ernennung von vier Fünfteln der Delegierten für die konstituierende Versammlung und ein Vetorecht für jeden Abschnitt der neuen Verfassung vor. Er hat die gesamten unter Mubarak aufgebauten Repressions- und Foltereinrichtungen beibehalten, Streiks und Proteste verboten und während der letzten neun Monate über 12.000 Menschen verhaftet und vor Militärtribunale gestellt.
Zwar sollen die Abgeordneten bis zum Sommer eine Zweite Kammer, den Schura-Rat, wählen, der dann unter Mitwirkung des Parlaments eine neue Verfassung formulieren und dem Volk zum Referendum vorgelegen soll. Auch soll im Juli ein neuer Präsident gewählt werden. Doch Kritiker des Militärrats bezweifeln, dass der Zeitplan eingehalten werden wird.
Neue Proteste erwartet und Menschenrechtssituation weiterhin sehr schlecht
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch ist besorgt über den postrevolutionären Stand der Dinge in Ägypten. In einem am Sonntag veröffentlichen 676-Seiten Report kommt HRW zu dem Schluss, die Lage habe sich seit dem Fall Mubaraks "nicht verbessert". Das seit 44 Jahren geltende Notstandsgesetz sei - obwohl seine Abschaffung eine der Hauptforderungen der Revolutionäre war - nach wie vor in Kraft und eines der Instrumente, mit denen der SCAF sich an der Macht halte. "Das ägyptische Militär scheint entschlossen, sich für seine Einflussbereiche eine Sonderrolle außerhalb der demokratischen Prinzipien zu sichern", sagte HRW-Direktor Kenneth Roth am Sonntag in Kairo.
Für das Jubiläum des Volksaufstands werden massive Demonstrationen in der Hauptstadt erwartet. Der Militärrat hat bereits gedroht, notfalls mit Gewalt gegen die Proteste vorzugehen. Feldmarschall Hussein Tantawi drohte, das Militär werde nicht erlauben, dass Ägypten "in Brand gesetzt" werde.
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