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Mittwoch, 12.10.2011 | Drucken |
Die Tunesier wählen zum ersten Mal einen Kandidaten aus Deutschland
Wer sind diese Kandidaten? – Ein Bericht über die bevorstehenden ersten freien Wahlen in Tunesien vom Deutsch-Tunesier Hassen Trabelsi
München - In Tunesien läuft der Wahlkampf zur Besetzung einer verfassungsgebenden Versammlung auf Hochtouren. Diese Versammlung, die 219 Plätze haben soll, hat die Aufgabe eine neue Verfassung auszuarbeiten, die die Hoffnungen und Prinzipien der Revolution wiedergeben und die Demokratie im Land gründen soll. Außerdem soll die Verfassungsgebende Versammlung die nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vorbereiten und organisieren. Eine unabhängige Wahlkommission, die nach langen Diskussionen gegründet worden war, um die Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung zu vorzubereiten, hat den ursprünglichen Termin vom 24. Juli auf den 23. Oktober verschoben.
Bei diesen Wahlen können auch alle die Tunesier teilnehmen, die im Ausland leben wenn in ihrem Aufenthaltsland mindestens 60 000 Tunesier leben. Da sich in Deutschland ca. 80 Tausend Tunesier aufhalten, können diese über einen Platz in der verfassungsgebenden Versammlung bestimmen. Somit können die nach Deutschland emigrierten Tunesier einen von 15 Kandidaten wählen und damit einen aktiven Beitrag beim Aufbau des neuen Tunesien übernehmen.
Um über den anstehenden Wahlprozeß in Deutschland noch ausführlichere Informationen geben zu können, haben wir uns in einem Telefongespräch mit dem Auswärtigen Amt über die Qualität dieses Wahlaktes informiert. Unsere Gesprächspartner gaben uns die Auskunft, daß diese Wahlen einen „Hoheitsakt“ darstellen würden. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung in der tunesischen Botschaft und in den Konsulaten die Einrichtung von Wahllokalen ermöglicht und genehmigt. Schon am 12 Februar 2011 hat der Bundesaußenminister, Herr Guido Westerwelle Tunesien besucht und seine Unterstützung für einen demokratischen Wandel in Tunesien in Form einer „Transformationspartnerschaft“ angeboten. Kurz darauf richtete das Auswärtige Amt einen Arbeitsstab ein, mit dem Ziel die „Unterstützungsbemühungen der Bundesregierung für Nordafrika zu koordinieren und geeignete Maßnahmen zu ermitteln.“
Trotz der großen Zahl der Kandidaten, sind viele den Lesern unbekannt. Ich versuche deshalb in diesem Artikel die Kandidaten hinsichtlich ihrer politischen Herkunft und Erfahrungen vorzustellen. Wer sind sie? Was vertreten Sie? Was versprechen Sie den Tunesiern in Deutschland und wie schlägt sich dies in ihren Programmen nieder?
80 Tausend Tunesier in Deutschland können wählen
Die Unabhängigen stellen 9 Kandidaten, darunter die einzige weibliche Kandidatin. Frau Amal Nasr ist 24 jung, sie studiert in Bonn und wird vom sozialdemokratischen Spektrum unterstützt. In ihrem Programm kündigt Frau Nasr an, sie wolle sich „für ihre Landsleute im Ausland für die volle Anerkennung ihrer Staatsbürgerschaft und der Unverletzlichkeit ihrer Rechte einsetzen möchte, weiter will sie die Aufmerksamkeit auf die spezifischen Probleme der Auslandtunesier lenken, sie unterstützen und ihnen den erforderlichen Beistand und die Hilfe zu geben, um ihre Bindung an Tunesien zu stärken.“
Neben Frau Nasr gibt es noch vier weitere „unabhängige“ Kandidaten nämlich, Herrn Manii Frih, Herrn Mohammed Hedi Amri und Herrn Hedi Ifaa. Doch die Überprüfung dieser Kandidaten hat ergeben, dass sie in enger Verbindung mit dem Ex-Diktator, seinen Vertretern oder mit der Ben Ali RCD-Partei in Deutschland standen.
Die unabhängigen Kandidaten, Herr Nabil Gharbi und Herr Raouf Waslati sind unbekannt, wir wissen daher nicht wer hinter Ihnen stehtund wer sie unterstützt.
Der Kandidat Herr Chokri Hamdi ist ein moderater Muslim. Er absolvierte sein Studium im Fach Philosophie an der Universität Düsseldorf und schreibt zur Zeit eine Promotion in Soziologie. Herr Hamdi will die „Leistung der Behörden verbessert und fordert bessere und unbürokratische Beziehungen. Auch die Studenten in Tunesien sollen bessere Stipendien bekommen.“ Er kann aber keine politische Karriere vorweisen und ist unter den Tunesiern unbekannt. Auch bei ihm wissen wir nicht, wer ihn in seinem Wahlkampf unterstützt.
Ein weiterer Kandidat dieser Gruppe ist Herr Mounir Balghouthi, der in Frankfurt wohnt. Herr Balghouthi ist promovierter Mathematiker an der Universität Frankfurt und arbeitet als Manager bei der Kedas Group. Er wird von einem Kultur Verein mit dem Namen „jisr“, d.h. Brücke unterstützt, die eine Gruppe von tunesischen Intellektuellen vereint. Das Ziel dieses Vereins ist es – wie sich bereits im Namen zeigt - in verschiedenen Bereichen Brücken zwischen Tunesien und Deutschland zu bauen. Doch fehlt auch bei diesem Kandidaten die Erfahrung und die notwendige politische Erfahrung für diese Stelle.
b- die Kandidaten die von Parteien aufgestellt werden: Herr Mahammed Charni gehört einer jungen panarabischen Gruppe an. Die Partei (Attakatol) hat Herrn Mohammed Naceur Gaaloul aufgestellt. Die kommunistische Arbeitspartei hat den IT-Systemelektroniker, Herrn Raouf Ghali (33) als Kandidaten gewählt. Die Kommunistische Arbeitspartei ist eine der Parteien, die in der Ära Ben Ali stark drangsaliert wurde. In Deutschland will Herr Ghali "mit anderen linken Kräften für Internationalismus und soziale Gerechtigkeit" kämpfen.
Herr Zied Ghodbani (46), Selbständiger Physiotherapeut und Freiberufler, ist der Spitzenkandidat der „Kongresspartei für die Republik Tunesiens“ (CPR), deren Vorstand ist Herr Moncef Marzougui, der ehemalige Chef der Tunesischen Liga für Menschenrechte. Herr „Ghodbani will durch seine Kandidatur den in Deutschland lebenden Tunesiern ein eigenes Selbstbewusstsein geben und ihnen eine politische Stimme verleihen, die bis nach Tunesien reicht.“
Spitzenkandidat der Volksunion der Republik, eine neue kleine Partei die viele Geschäftsleute vereint, ist Herr Chamseddine Ben Guiza (23). Er studiert Informationstechnik an der Uni Wuppertal.
Die Annahda Partei wird von Herrn Fathi Ayadi als Spitzenkandidaten vertreten. Herr Ayadi wohnt in Karlsruhe. Er studierte zuerst Mathematik an der Universität Sfax. Wegen seiner politischen Aktivitäten wurde er Anfang der 90er Jahren des letzten Jahrhunderts verhaftet und gefoltert. Kurz nach seiner Freilassung wurde er wieder von den Sicherheitskräften gesucht, daher musste er das Land verlassen und fand nach einer langen Flucht in Deutschland ein Zuhause.
Dort setzte er sein Studium an der Universität Regensburg fort und schloß das Studium mit einer Diplomarbeit im Fach Mathematik ab. Danach bildete er sich zum Softwareentwickler weiter. Herr Ayadi war 1986 Mitbegründer der Ennahda nahen Studenten Organisation Union général der tunesischer Studenten (UGTE) und ist als einer der Führungskräfte der Ennahda Partei, zuständig für die politischen Beziehungen zu Deutschland. Der deutsch-tunesischer Verein für Kultur und Integration DTV e. V., für den er selbst lange Zeit als Vorstand fungierte, unterstützt ihn.
Herr Ayadi setzt sich "für gute deutsch-tunesische Beziehungen ein, für ein würdiges Leben der Tunesier in Deutschland und für die Durchsetzung der Ziele der Revolution." Eckpunkte seines Wahlprogramm sind: „die Errichtung eines Ministeriums für Auswanderer und Auslandstätige, Investitionen mit dem Ziel ein langfristiges Wirtschaftswachstum in Tunesien zu fördern, den Dialog zwischen Tunesien und dem Gastland Deutschland zu pflegen, Institutionen zur Unterstützung von Familien und zur Betreuung von Kindern zu gründen und den Deutsch-Tunesiern echte Möglichkeiten und Freiräume zur Partizipation, Mitwirkung und Teilnahme an den nationalen Angelegenheiten zu bieten." Den Studenten verspricht Herr Ayadi sich dafür einzusetzen, daß die Stipendien mehr nach deren Bedürfnissen ausgerichtet und auch gute Leistungen mehr unterstützt werden.“
Nach seinem Programm will er "Ein Reformprogramm für die konsularische Arbeit entwerfen „zwecks Erleichterung der Formalitäten im Rahmen der Investitionen in der Heimat und einer besseren Betreuung von Bürgern des Heimatlandes.“
Ein Blick auf die Programme der Kandidaten die sich mit den emigrierten Tunesiern auseinandersetzen, zeigt uns erstens, daß sich zwar viele Kandidaten für eine gelungene Integration einsetzen, aber nur bei Herrn Ayadi finden wir einen genau Plan, der als ein „Road card“ gesehen werden kann.
Zweitens zeigt ein Blick auf die Listen der Kandidaten, dass es Kandidaten gibt, die das alte Regime wiederbeleben möchten. Andere Kandidaten haben zwar fachliche Kenntnisse, doch fehlen bei ihnen die notwendigen Beziehungen und Erfahrungen. Wieder andere gehören Parteien an, die Respekt genießen, sie selbst sind aber noch unbekannt und unerfahren.
Meiner Meinung nach weist allein Herr Ayadi die notwendigen Erfahrungen, sowie Charisma verbunden mit den erforderlichen fachlichen Kenntnissen auf sodaß ich eine Wahlempfehlung für Herrn Ayadi abgeben möchte.
In Deutschland finden die Wahlen am 20., 21. und 22. Oktober 2011 statt. Um die Wahlen zu ermöglichen, hat die regionale unabhängige Wahlinstanz, die die unabhängige Wahlkommission in Deutschland vertritt, die erforderlichen Wahllokale in Berlin, Hamburg, Bonn, München, Wolfsburg, Karlsruhe, Hannover und, Braunschweig bereitgestellt.
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