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Freitag, 31.12.2010 | Drucken |
"Was haben die denn mit dem Islam zu tun?" - Das Friedensvermächtnis und der Mord an den sieben Mönchen in Tibherine (Algerien)
Zu einem Film „Von Menschen und Göttern“, den schon 3 Millionen Franzosen gesehen haben - Von Rupert Neudeck
Dass es so einen Film noch mal geben kann, der sich allen Mätzchen und Moden verweigert, die in der Fernsehfilm- und Kinokultur Einzug gehalten haben, das allein ist eine Überraschung. In ganz ruhigen Szenen, die fast alle in der Film-Korrektheit unserer Tage nicht erlaubt sind, in Landschaften und Kloster-Stundengebeten, die nach Maßgabe der Quotenfresse- und Efficiency-Manager alle nicht gehen, läuft dieser große zwei Stunden Film vor uns ab, und wir sind alle bis tief ins Innerste berührt.
Ein wirklicher Spielfilm und ein wirklicher Dokumentarfilm. Ich weiß, das geht eigentlich nicht, aber der Filmautor hat so ernsthafte Schauspieler und eine reale Kulisse dessen aufgebaut, was sich an dem realen Ort in Tibherine 1996 begeben hat, dass wir den Film abwechselnd als Dokumentarfilm mit aktueller Bedeutung und als reinen Spielfilm sehen können. Das Ganze rankt sich um eine furchtbare Mordgeschichte, die noch furchtbarer wird, weil sieben Mönchen der rigidesten Ordensregel, Trappisten in dem Kloster im Atlasgebirge bei Tibherine nicht nur ermordet, sondern auch noch geköpft werden.
Das geschah als Konsequenz zweier geschichtlicher Ereignisse: Einmal der unsäglichen französischen Kolonialzeit, zum anderen als Folge des Verbots politisch siegreicher Kräfte im zeitgenössischen Algerien, die von einer Koalition des machtgierigen Establishments in den Untergrund gezwungen wurde. Die FIS, die Front du Salut Islamique hatte die Wahl haushoch gewonnen mit zwei charismatischen Führern, aber der Wahlsieg wurde dieser Bewegung aberkannt, die beiden Führer ins Gefängnis geworfen. Darauf brach ein Terror in Algerien aus, der später nur noch mal von den Taliban in Afghanistan erreicht wurde und jetzt nur noch als schwacher Abglanz nachzittert in den Entführungen von Zeit zu Zeit in Mauretanien, in Mali und an anderen Orten. Die GIA, die Groupe Islamique Armeé war es, die damals Angst und Schrecken verbreitete, aber es wurde ruchbar, dass auch die Machtapparaturen der staatlichen Armee und des Geheimdienstes eine nicht zu unterschätzende Mitläuferrolle bei Morden und Plünderungen spielten.
Deshalb auch wirkt der Film so befreiend: Es sind nicht einfach sieben friedliche Christen und dann noch Mönche umgebracht worden. Die Bevölkerung des Nachbardorfes war es, die über ihre Ältesten die Mönche zum Bleiben aufforderte, denn damit sei der Ort gegen die mörderischen Terroristen am besten gesichert. Diese Menschen der Gemeinde führten eine wunderbar symbiotische Beziehung mit den Mönchen. Der Arzt unter den Mönchen hatte seine eigene Ambulanz in dem Ort, in die jedermann kommen konnte, ganz gleich aus welcher Richtung er kam. Die Mönche handelten mit den eigenen Produkten des Landes, mit dem Honig z. B. auf dem lokalen Markt. Kurz: Die Bevölkerung war kritisch der Islamistischen Geheimarmee gegenüber.
Wie kann man Morden und gleichzeitig sagen, man sei ein Muslim?
Heftig sagt es jemand im Film: „Was haben die denn mit dem Islam zu tun?“ Wie kann man Morden und gleichzeitig sagen, man sei ein Muslim. Verbiete es doch der Koran, etwas zu tun, was einem Menschen das Leben raubt.
Ein Film, der am Ende offenlegt: Die Morde an den sieben Trappistenmönchen am 21. Mai 1996 sind bis heute nicht letztlich geklärt. Es ist nicht sicher, wer damals die stärkere Hand im Spiel hatte: Der Staat, der die französischen Mönche nach Frankreich zurückschicken wollte? Die algerische Armee, die sich immer wieder der Bevölkerung gegenüber repressiv zeigte? Die Geheimdienste, die es nicht gut fanden, eine so friedliche Enklave ohne Ansteckungsgefahr für eine der beiden Seiten zu kennen?
Als Sarkozy vom 3. auf den 4. Dezember 2007 das erste Mal zum Staatsbesuch nach Algier kam, sagte der Präsident des Landes Abdelaziz Bouteflika, bevor alle Verhandlungen über bilaterale Themen beginnen, sollte zunächst eines klar sein: „Zuerst will ich Ihre Entschuldigung für Setif!“
Sarkozy war nicht vorbereitet und sagte nur: Er sei nicht „wegen der Nostalgie“ nach Algerien gekommen. Am 8. Mai 1945 – während der Krieg in der Welt und Europa offiziell zu Ende ging – demonstrierten in Setif hunderttausende Algierer für die Autonomie des Landes. 45.000 Menschen wurde damals von der französischen Luftwaffe, der Fremdenlegion und der Armee niedergemacht.
Hätten Europas Präsidenten noch Format, hätten sie gewusst, dass man nur mit einer Entschuldigung und Schweigen der Schande des Kolonialkrieges begegnen kann. Aber gleichzeitig wäre es natürlich eine gute Geste für die Freundschaft der Nationen diesseits und jenseits des Mittelmeeres gewesen, hätte sich Nicolas Sarkozy gemeinsam mit dem algerischen Präsidenten für eine letzte Aufklärung des Todes der sieben Mönche in Tibherine ausgesprochen. Diese sieben Ermordeten sind das Faustpfand für alle die, die wissen, dass der Frieden in der Welt nur kommen wird, wenn es Menschen gibt in der Nachfolge von Tibherine, die wissen, dass wir alle den gleichen Gott anbeten. Und dass wir alle, wenn wir beten, uns in die Hände des allmächtigen Gottes begeben. Dass wir uns so helfen sollen, wie das die acht Mönche von Tibherine und die Bevölkerung der kleinen algerischen Stadt Tibherine vorgelebt haben. Vorbildlich vorgemacht haben.
Der, der sich über diesen Film am heftigsten freuen würde, lebt seit 50 Jahren nicht mehr: Albert Camus, der so inniglich eine Versöhnung der beiden Völker gewünscht und mit seinen Reportagen und Büchern herbeigeschrieben hatte. Er war durch einen absurden Verkehrsunfall im Auto seines Freunde Michel Gallimard am 4. Januar 1960 tot liegen geblieben. Vielleicht wird aus diesem Film etwas Neues entstehen, was die Völker als ein Vermächtnis sehen. Die drei Millionen Franzosen, die den Film bereits gesehen haben, werden aus dem Kino anders herauskommen, als sie in es hineingegangen sind. Die deutschen Mitbürger werden gelernt haben, dass es nicht darum geht, dem Islam und seinen dummen Muslimen und ihrer Genetik im Gefolge von Sarrazin nicht zu trauen, sondern um vertrauensvolles und produktives Zusammenleben. Der Film hat alles Potential für eine Rundum-Erneuerung im Verhältnis zu den jeweils Anderen.
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