Newsnational Donnerstag, 07.10.2010 |  Drucken

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SPD und GRÜNE werben für rechtliche Anerkennung des Islam in Deutschland und Zentralrat der Juden lobt Wulffs Rede

Integrationsprogramm in Osnabrück: Imame besuchen deutsche Uni - "Islamdebatte" offenbart immer mehr auch Sinnkrise in der Union

Berlin - "Der Islam ist Teil Deutschlands", sagte 2006 der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland, sagte Bundespräsident Christian Wulff bei seiner Rede zu den Feiern zur Deutschen Einheit vor vier Tagen. Einige Unionspolitiker warnen davor, den Islam mit Christen- und Judentum gleichzusetzen, obwohl doch dies das Grundgesetz selber vorschreibt.

Unterdessen erhält der Bundespräsident Christian Wulff prominente Unterstützung auch vom Zentralrat der Juden. Dessen Generalsekretär Stephan Kramer sagte, Wulffs Rede vom vergangenen Sonntag sei mutig gewesen. Obwohl die Empörung abzusehen gewesen sei, habe der Bundespräsident Flagge gezeigt. Dies verdiene Anerkennung und Respekt. „Die hierzulande lebenden Moslems sind Teil unserer Gesellschaft. Daher gehört natürlich auch ihre Religion in dieses Land“, sagte Kramer. Erforderte zudem pragmatische Konzepte, wie eine plurale Gesellschaft zukunftsfähig gemacht werden könne.

Pragmatisch auch der Vorschlag vom innenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz. Er sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ am Donnerstag: „Es wäre ein wichtiges Signal an die vier Millionen Muslime in Deutschland, wenn der Staat den Islam als Religionsgemeinschaft anerkennt.“ Es gelte jetzt den Dialog mit den muslimischen Dachverbänden zu forcieren, um die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen. „Der Islam braucht eine faire Chance in Deutschland“, sagte Wiefelspütz.

Der integrationspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Memet Kilic, sagte: „Die Anerkennung des Islam als gleichberechtigte Religionsgemeinschaft würde den Muslimen das Gefühl vermitteln, in Deutschland willkommen und angekommen zu sein.“ Für die Integration könne das nur förderlich sein. Die aktuelle Debatte in der Union um die Rolle des Islam in Deutschland bewirke leider das Gegenteil. „Die Union muss ihre neurotische Selbstbeschäftigung schleunigst beenden.“

Ohnehin hatte man in den leztten Tagen eher das Gefühl, dass es um eine Sinnkrise der Union geht, als und eine Debatte um Integration und eine verbesserte Islampolitik. Siehe dazu auch unseren Kommentar: "Parlamentarische Staatssekretärin Klöckner (CDU) irrt - oder will sich irren" im unteren Link.

Parallel zur aufgeregten politischen Debatte werden in Deutschland erste Fakten geschaffen, die den Islam in Deutschland verankern sollen: Erstmals in der Geschichte werden von Beginn nächster Woche an Imame an Universität Osnabrück weitergebildet.

Das Pilotprojekt in Osnabrück ist ein Rezept genau gegen diese Probleme - und der Run auf das Weiterbildungsprogramm ist groß. Fast hundert Imame und religiöse Betreuer - also etwa ehrenamtliche Gemeindehelfer, die in Moscheegemeinden in Deutschland arbeiten - hatten Interesse an der Ausbildung. Die Universität hat für die einjährige Weiterbildung aber nur 30 Plätze. Unter den studierenden Imamen und Seelsorgern sind jetzt Männer und Frauen aus Bosnien, aus arabischen Ländern und der Türkei.
In Blockseminaren werden sie vom 11. Oktober an unterrichtet in Religionspädagogik, Gemeindepädagogik, und darin geschult, wie sie religiöse Inhalte alltagstauglich mit den Lebenswelten von muslimischen Kindern und Jugendlichen in Verbindung bringen.

"Wir müssen kompetente muslimische Gesprächspartner schaffen", so Rauf Ceylan, Professor für islamische Religionspädagogik in Osnabrück gegenüber SPIEGEL.DE. Außerdem gehe es bei der universitären Weiterbildung auch um detaillierte Kenntnisse des deutschen Rechtsstaates und um die europäische Aufklärung, erklärt Ceylan. Mit den Wissenschaftlern gehen die Imame auf Exkursionen: Auf dem Programm steht der Besuch einer KZ-Gedenkstätte, eine Visite im Bundestag in Berlin. "Natürlich erreichen wir damit nur die ohnehin demokratisch eingestellten Imame in Deutschland - aber auch von denen haben viele kein Handwerkszeug, wie sie religiöse Inhalte zeitgemäß vermitteln, wie sie mit Konflikten der multikulturellen Gesellschaft umgehen", so Ceylan.

"Die universitäre Weiterbildung von Imamen ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Normalität. Der Islam wird so immer mehr heimisch in Deutschland", sagt der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek gegenüber SPIEGEL.DE.

Osnabrück ist der erste Standort dieser universitären Lehre für Imame in Deutschland - ab nächstem oder übernächstem Jahr soll es auch in Tübingen ein ähnliches Programm geben.




Lesen Sie dazu auch:
Parlamentarische Staatssekretärin Klöckner (CDU) irrt - oder will sich irren

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