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Montag, 17.05.2010 | Drucken |
„Herr Sarrazin vertritt nicht die SPD“ – Sozialdemokrat Raed Saleh entschuldigt sich
Raed Saleh gehört wie Thilo Sarrazin der SPD an. Raed Saleh kam 1977 in Sebastia (West-Jordanland) zur Welt. In Bezug auf (Aus-) Bildung hat Saleh bewiesen, dass er „außer für den Obst – und Gemüsehandel“ brauchbar ist. Laut Thilo Sarrazin kann man Araber und Türken nur für diesen Bereich einsetzen. Saleh schaffte als Einwandererkind das Abitur und ist seit 2002 Mitinhaber einer Medienagentur. Dem Berliner Landesparlament, dem Abgeordnetenhaus, gehört er seit 2006 an. Dort ist Saleh Sprecher seiner Fraktion für Integration. Den Bezirk Berlin- Spandau leitet er als Kreisvorsitzender der SPD, dem Landesvorstand seiner Partei gehört Raed Saleh ebenfalls an. Über die vielen Aussagen seines Parteifreundes Sarrazin (u. a. „Die Türken erobern Deutschland genauso wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine hohe Geburtenrate“ oder „ständig (werden) kleine Kopftuchmädchen produziert“ sprach islam.de mit dem SPD- Parlamentarier Saleh. Er bekennt sich zum Islam.
Gleich nach der freundlichen Begrüßung „Salam Alaikum, ja Achi“ wird er ernst. „Ich kann mich als Sozialdemokrat nur entschuldigen bei allen Menschen, die Thilo Sarrazin verletzt hat. Die Unterschicht ist durch seine Worte am meisten verletzt worden. Es ist beschämend, dass ausgerechnet ein Sozialdemokrat der Unterschicht die Fähigkeit zum Aufstieg abspricht.“ Saleh erklärt, Sarrazin vertrete eine „elitäre Art des Denkens. Er strebt den Kahlschlag in der Bildungspolitik an. Beschämend, was er Menschen mit türkischen, arabischen, jugoslawischen Wurzeln alles vorwirft.“ Saleh „regt sich am meisten darüber auf“, man unterstellt den Migranten von vornhinein, für Bildung „nicht willig und fähig“ zu sein. „Diese Thesen des Herrn Sarrazin sind nicht hinnehmbar. Sie basieren sogar auf einem Gedankengut, dass nicht mit den Menschenbild der SPD vereinbar ist.“
Auf unseren Einwand, warum er dann ein so naher „NPD-ler“ immer noch in Reihen der SPD verweile, antwortet Saleh, der als einer der Aktivsten den Ausschluss von Thilo Sarrazin aus der SPD gefordert hatte: „Ich respektiere das Urteil der SPD- Schiedskommission, Herrn Sarrazin in meiner Partei zu belassen. Nachvollziehen kann ich dieses Urteil jedoch nicht. Es ist jenseits der SPD.“ Für Saleh bedeutet Sozialdemokratie „immer noch, allen einen Aufstieg zu ermöglichen.“ Egal, ob es sich um Frauen, Migranten oder andere Benachteiligte handelt. Raed Saleh verweist auf den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Dieser habe über den 2. Bildungsweg den Aufstieg geschafft.
Der SPD- Politiker Saleh wirft Thilo Sarrazin vor, solche „typisch sozialdemokratische Aufstiege nicht wahrhaben zu wollen. Leider will Thilo Sarrazin bis heute auch nicht zur Kenntnis nehmen, wie sehr er allen Migranten geschadet hat. Er ist verantwortlich dafür, die Migrationspolitik, die auf einem gute Wege war, um Jahre zurückgeworfen zu haben.“
Saleh ist sogar bereit, Sarrazin zu unterstellen, seine Aussagen „dienen nur Rassisten wie PRO- Köln oder PRO- NRW oder rechtsradikalen Gruppen wie der NPD. Thilo Sarrazin hat einen Geist aus der Flasche gelassen, den man nicht mehr einfangen kann. Er hat das rechte Lager gestärkt.“
Islam.de: Was sagt der SPD- Politiker Saleh all jenen Menschen, die ihm nun mitteilen, bei den nächsten Wahlen einen riesigen Bogen um die SPD zu machen? Zumal die Union jetzt im Bundesland Niedersachen die gebürtige Türkin Aygül Özkan zu einer Ministerin ernennen möchte.
Raed Saleh teilt als erstes mit, „man möge Herrn Sarrazin vergessen. Er spielt in der Partei keine Rolle mehr. Er hat sich geistig von der Partei längst verabschiedet. Ich als Berliner Sozialdemokrat kann nur an alle Menschen, mit oder ohne Migrationshintergrund, appellieren, verzeiht uns den Schandfleck Sarrazin. Bleibt weiterhin bei uns, der SPD. Die SPD ist und bleibt die einzige Partei, die die Interessen der Migranten vertritt.“ In diesem Zusammenhang verweist er nochmals auf Gerhard Schröder. 1998 habe Schröder als erster Staatsmann hier erklärt, Deutschland sei ein Einwanderungsland. Zuvor habe man das jahrzehntelang bestritten. Gerhard Schröder habe auch erklärt, der Islam sei neben den beiden großen Kirchen und dem Judentum eine „der Religionen in Deutschland.“ Schröder habe den Islam mit den beiden großen christlichen Religionen gleichgestellt.
Raed Saleh spricht speziell der CDU ab, sich für Migranten einzusetzen. „Die Damen wie Emine Demirbüken- Wegner (Anmerkung: Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin und Bundesvorstandsmitglied der CDU) sowie Aygül Özkan, die künftige Sozialministerin von Niedersachsen, sind nicht die wahre, ehrliche CDU. Die CDU verharrt noch immer im konservativen Denken der 60er und 70er Jahre.“
Die FDP sei für Migranten attraktiv, aber nur für solche „mit sehr viel Geld. Die FDP unterscheidet nur nach arm und reich. Sie ist für die Elitekreise“ speziell die Elitekreise des Geldes, da. Nur die SPD sei die politische Kraft, die sich wirklich für die Belange der „kleinen Leute und der Migranten einsetze.“
Nach unserem Termin empfängt Raed Saleh den türkischen Generalkonsul in Berlin, Mustafa Pulat. Auch dieses Gespräch beginnt mit einer Entschuldigung für die Worte des jetzigen Bundesbänkers Sarrazin.
Was aber die hiesigen Medien und politisch Verantwortlichen so gut wie gar nicht behandelt haben: Kann ein Mann wie Thilo Sarrazin eigentlich diese Funktion ausfüllen? Was muss man erst sagen, bevor jemand das Amt als Vorstandsmitglied der Bundesbank nicht mehr ausüben darf? Oder gegen wen muss man hetzen, bevor man den Vorstand der Bundesbank verlassen muss? Wenn der SPD- Abgeordnete Raed Saleh Recht hat, dann haben alle Deutschen einen rassistisch angehauchten Mann wie Sarrazin in der Bundesbank. Als Vorstandsmitglied. So einer wie Thilo Sarrazin kümmert sich ganz „oben“ um unser Geld. Ein schönes, behagliches Gefühl, oder? (Volker- Taher Neef, Berlin; Foto: Günter Meißner)
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