Artikel Donnerstag, 28.01.2010 |  Drucken

Von der Kollektivaversion gegen Islam - Facettenreichtum der Islamfeindlichkeit in Deutschland im öffentlichen Bewusstsein. Von Mohammed Khallouk

Obwohl der Islam mittlerweile bereits seit Jahrzehnten elementarer – wenn auch von einer Minorität praktizierte - Religion der deutschen Gesellschaft darstellt, wird er in der Öffentlichkeit immer noch als „Fremdkörper“ wahrgenommen, der in das vertraute Bild von „Heimat“ vieler Deutscher und Europäer nicht hineingehöre. Dieses Bewusstsein von „authentischem Europa“ geht einher mit dem Konstrukt einer „christlich-abendländischen Kultur“, die sich gegen Bedrohungen und Herausforderungen von außen – speziell aus dem Morgenland bzw. dem Vorderen Orient – behaupten und zur Wehr setzen müsse. Samuel Huntington zufolge bestehe sogar ein unauflöslicher Gegensatz zwischen einem „westlichen“ und einem „islamischen“ Kulturkreis, der aus der Historie heraus determiniert sei und nahe lege, dass auch in Zukunft zwischen diesen beiden universalistisch ausgerichteten Zivilisationen die globale Hauptkonfliktlinie verlaufe.
Unbestreitbar besitzen große Bevölkerungsteile in Deutschland und anderen europäischen Staaten ein angstbesetztes Bild vom Islam wie von Muslimen und wähnen vor allem durch diese Religion, ihre Anhängerschaft und deren gesellschaftliche Vorstellungen ihr „nationales kulturelles Erbe“ in Gefahr. Das von Thorsten Gerald Schneiders herausgegebene Buch „Islamfeindlichkeit – Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen“ behandelt die Hintergründe der Verbreitung gegen den Islam gerichteter westlicher Ressentiments. Zugleich benennt es die Hauptverantwortlichen dafür, dass der zweifellos vorhandene muslimische Beitrag zur europäischen Zivilisationsgeschichte ebenso wenig wie das von Muslimen ausgehende bereichende Element in der gesellschaftlichen Gegenwartskultur des deutschsprachigen Raumes Beachtung findet.

Bei dem Buch handelt es sich um den ersten Band eines zweibändigen Sammelwerks, dem in Kürze als eine Art Gegenüberstellung unter dem Titel „Islamverherrlichung – Wenn die Kritik zum Tabu wird“ der zweite Band folgen wird. In 28 Beiträgen stellen namhafte Autoren aus den unterschiedlichsten fachwissenschaftlichen Disziplinen heraus, dass eine negative Voreingenommenheit gegenüber dem Islam in Deutschland und darüber hinaus im gesamten Europa sich an prominenten „Vorbildern“ aus Geschichte und Gegenwart orientieren kann. Ein Resultat daraus erweist sich darin, dass Muslime auf den verschiedensten Ebenen in und außerhalb der deutschen Grenzen sich mit religiös begründeter Ausgrenzung konfrontiert sehen.
Das Hauptanliegen der beteiligten Autoren ist darin zu erkennen, öffentlich zu thematisieren, wo ein kritischer westlicher Blick auf bestimmte, innerhalb der Ummah zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort anzutreffende Phänomene zu einer pauschalisierten Geringschätzung des Islam als Religion und der von Muslimen geprägten Kulturen sich ausweitet. Weder dem Herausgeber des Sammelwerkes noch den einzelnen Autoren ist berechtigterweise vorzuwerfen, sie ließen problematische Tendenzen im gegenwärtigen Orient und unter hierzulande ansässigen Muslimen unbeachtet. Vielmehr erachten sie Kritik als notwendige Voraussetzung für erstrebenswerte Veränderungen. Mit dem bevorstehenden zweiten Band zielt Schneiders sogar darauf ab, diese Kritikfähigkeit speziell im islamischen Kontext einzufordern. Eine undifferenzierte Kritik jedoch, die Veränderungen nur als vollständige Distanzierung von der ererbten Kultur und Religion positiv zu würdigen versteht, erweise sich als bornierte Version der zivilisatorischen Missionierung sowie letztlich als Vorstufe der kulturalistischen Ausgrenzung.

Der Sammelband geht der Tatsache auf den Grund, weshalb gerade gegenüber dem Islam diese kulturalistische Tendenz in der deutschen Gesellschaft so breite Resonanz erfährt. Dabei entdeckt man ein durch die gesamte europäische Geschichte hindurch bis in die Gegenwart hinein in Teilen von Negativassoziationen bestimmtes Islambild, dass in jüngster Zeit zudem durch die Medien und die überproportional häufige Thematisierung durchaus kritikwürdiger Randphänomene als „Spezifika des Islam“ einen besonders bedrohlichen Charakter bekommen hat. Dass dieses Bild auf Konstrukten und emotional besonders prägenden Erfahrungen beruht, jedoch in keiner Weise die gesamte Historie hindurch in der europäischen Gesellschaft beherrschend war, zeigen die Beiträge in Kapitel I, die sich vorrangig mit der Entwicklungsgeschichte der europäischen Islamfeindlichkeit auseinandersetzen.
Hervorsticht hierbei besonders der Artikel des Siegener Theologieprofessors Thomas Naumann, der die mittelalterliche christlich gerechtfertigte Islamfeindlichkeit vor allem auf die Tatsache zurückführt, dass man den Islam für ein „verfälschtes Christentum“ interpretiert habe. Da mit der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus die alttestamentliche Prophetie nach gängiger theologischer Auffassung bereits erfüllt worden sei, könne ein nachfolgender Prophet – wenn überhaupt – nur ein „falscher Prophet“ gewesen sein, zumal dieser – anders als die Heiden – die wahrhaftige Botschaft Christi bereits gekannt habe.

Neben dieser theologischen Begründung und der Erkenntnis, dass der Islam ebenso wie das Christentum einen Universalanspruch erhebt, erwies sich Naumann zufolge die Erfahrung der rasanten Ausbreitung des muslimischen Herrschaftsbereichs in die christlichen „Kerngebiete“ hinein als prägend, so dass der Islam zu einer Existenzbedrohung für das kulturell und politisch von Rom und Byzanz dominierte Abendland heraufstilisiert wurde.
Interessant zeigt sich, dass Naumann die häufig als „dunkelste Epoche im christlich-islamischen Verhältnis“ bewertete spätmittelalterliche Kreuzzugsperiode erheblich differenzierter einschätzt, denn neben diesen kriegerischen Beutezügen sei es zur gleichen Zeit zur ersten nachhaltig wirksamen friedlichen, auf gegenseitiger Achtung basierenden Konfrontation der Mitteleuropäer mit dem islamischen Kulturraum gekommen, die sich vor allem für die europäische Zivilisationsentwicklung als wegweisend erwies. „Mit unverhohlenem Staunen und Bewunderung begegneten die Franken den Leistungen der arabisch-islamischen Zivilisation und wurden ihrer eigenen kulturellen Unterentwicklung gewahr.“ (S.28/29)

Von einem determinierten Gegensatz beider Zivilisationen im Sinne Samuel Huntingtons und einer beständigen kriegerischen Einstellung der Muslime gegenüber dem Westen wie sie ihnen Naumann zufolge Jahrhunderte später der britische Historiker Edward Gibbon (1737-1794) attestiert habe, konnte damals keine Rede sein. Wurde dieses Gefahrenbild des existenzgefährdenden „islamischen Weltreiches“ mit dem Vordringen der Osmanen im 15.-17. Jahrhundert als „Türkenfeindschaft“ nicht zuletzt bei Martin Luther wieder dominant, worauf vor allem ein Beitrag der Historikerin Almut Höfert die Aufmerksamkeit lenkt, war offenbar auch in der frühen Neuzeit eine heimliche Bewunderung bzw. das sich Gewahr werden eigener kollektiver Abkehr von traditionellen religiösen Werten die treibende Kraft. Allgemein belege jedoch gerade der Blick auf die Historie, so der Tenor der Beiträge, dass die Ressentiments der christlich geprägten Europäer über die Muslime am stärksten dort verbreitet gewesen seien, wo die unmittelbare Konfrontation mit ihrer Kultur und Religion nicht gegeben war.


Die Printmedien als Instrument zur Festigung von Stereotypen

Welche Bedeutung gerade die mediale Entwicklung für die Kultivierung eines Feindbildes Islam in Europa einnimmt, verdeutlicht Höfert daran, dass bereits eine der ersten bedruckten Schriften überhaupt aus dem 15. Jahrhundert die angebliche „Türkengefahr“ als thematischen Gegenstand auserkoren hatte. Entscheidend für den Medieneinfluss sei schließlich immer die Zahl der Rezipenten sowie die Breitenwirkung, die ein Schriftsteller erzielen könne. Die Religionswissenschaftlerin Gerdien Jonker verdeutlicht dies ebenso an den frühen deutschen Schulbüchern wie der Sprachwissenschaftler und emeritierte Duisburger Professor Siegfried Jäger mit Bezugnahme auf den Karikaturenstreit an den häufig gelesenen Tages- und Wochenzeitungen der Gegenwart. Nicht zuletzt belegt dies die Kommunikationswissenschaftlerin Sabine Schiffer anhand islamfeindlicher Blogs im mittlerweile für jedermann zugänglichen Internet. Ernsthafte theologische oder islamwissenschaftliche Abhandlungen mit ihren differenzierenden Darstellungen hätten demzufolge gegenüber polemischen Essays prominenter mediengewandter Autoren wie Henryk M. Broder, Necla Kelek oder Alice Schwarzer tendenziell das Nachsehen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel, dass die einschlägigen Untersuchungen zur Islamfeindlichkeit, präsentiert in Kapitel II, zu dem Ergebnis gelangen, es bestehe eine deutliche Diskrepanz zwischen mit Muslimen und ihrer Religion assoziierten Verhaltensweisen, sowie ihrem tatsächlichen quantitativen Auftreten in muslimischem Umfeld. Die Sozialwissenschaftlerin Monika Schröttle, die eine Untersuchung zur Gewalt gegen Frauen mit türkischem Migrationshintergrund präsentiert, musste darin sogar feststellen, dass zu den medial beherrschenden, häufig mit Muslimen in Zusammenhang gebrachten Themen wie Ehrenmorden und Zwangsheirat bislang so gut wie überhaupt keine statistischen Erhebungen vorliegen.

Wenn ein negative Assoziationen erweckendes Phänomen im Zusammenhang mit „dem Islam“ oder „den Muslimen“ in den Massenmedien thematisiert wird, könne dennoch leicht eine islamfeindliche Einstellung erweckt werden, da die Majorität der Rezipenten dieses Mediums weder in der Lage sei, noch sich der Mühen unterziehe, die beschriebenen Detailumstände mit erwiesenen Fakten zu überprüfen. Da Negativberichte tendenziell eher emotionale Reaktionen hervorrufen als Positivberichte, setzten islamfeindliche Hetzblogs im Internet wie Politically Incorrect, worauf die Kommunikationswissenschaftlerin Sabine Schiffer in ihrem Beitrag Bezug nimmt, diese eben so für ihre Agenda erfolgreich ein wie prominente islamfeindliche Publizisten. Letzteren widmet sich ein Beitrag des Herausgebers Thorsten Gerald Schneiders, in dem demonstriert wird, dass jene populären Autoren bewusst unbelegte Behauptungen aufstellten.

Eine beliebte Methode sei vor allem die Untermauerung des beschriebenen, aus Sicht des Autors wie seiner mutmaßlichen Rezipenten fragwürdigen Verhaltens mit Koranzitaten in Zusammenhang zu bringen. Der Philosophie- und Theologieprofessor Heiner Bielefeldt weist darauf hin, dass hierbei politische und sozioökonomische Hintergründe gewöhnlich weitgehend ausgeblendet werden. Der Islamwissenschaftler Narvid Kermani hebt darauf ab, wie das Koranbild durch diese aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate verzerrt werde.

In seinem Beitrag „Und tötet sie, wo immer ihr sie findet“ nimmt der aus einer iranischen Migrationsfamilie stammende Kermani vor allem auf die bei öffentlichen Diskussionen in den Medien meist ausbleibende Kontexteinordnung bei der Präsentation von Koranzitaten Bezug. Hierbei merkt er zugleich an, dass die frühen islamischen Rechtsgelehrten den wörtlichen Korantext entgegen der häufig im Westen anzutreffenden Vorstellung durchaus als zeitbezogen zu interpretierende Offenbarung aufgefasst hätten. Vielmehr erkennt er Parallelen zwischen der Koranexegese buchstabenorientierter Fundamentalisten und sogenannter „Islamkritiker“, die sich in ihrer Behandlung des Heiligen Buches zueinander weit ähnlicher präsentierten als beide zu einem gewöhnlichen Muslim wie seinem Großvater. „Als Islamwissenschaftler weiß ich, dass die Antwort meines Großvaters weder historisch noch theologisch ganz einwandfrei ist. Aber sie ist für eine muslimische Erziehung mit Sicherheit typischer als die Fatwas muslimischer Fundamentalisten und westlicher Islamexperten, die den Islam zu einer Karikatur seiner selbst machen, wenn sie den Koran auf ein wörtlich anzuwendendes Gesetz reduzieren.“ (S.204)


Die gesellschaftspolitische Dimension islamfeindlicher Stimmungen wird hervorgehoben

Ein großer Verdienst des Sammelwerks ist vor allem darin zu sehen, dass nicht nur die Vielschichtigkeit islamfeindlicher Einstellungen sowie die Formen ihrer Entstehung und Ausbreitung dargelegt werden, sondern darüber hinaus die politische Dimension mit berücksichtigt wird. So erklärt man sich z.B., dass die mittelalterliche und frühneuzeitliche Islamfeindlichkeit sich im Wesentlichen aus einem Bedrohungsszenario ergab. Der Okzident sah ein sich rasant ausbreitendes, zivilisatorisch und technologisch ihm überlegenes islamisches Großreich vor sich und wurde sich des eigenen Zurückstehens schmerzlich bewusst, dass es durch Aufrüstung, aber auch über die Stärkung des inneren Zusammenhalts auszugleichen galt.
Die Kultivierung des Feindbildes diente Naumann zufolge vor allem der Festigung einer in Frage gestellten „europäisch-christlichen Identität“. Später, seit der Aufklärung und erst recht im europäischen Imperialismus vergewisserte man sich des eigenen technologischen Fortschritts, den man nun als Rechtfertigung heranzog, die eigene Kultur mit aggressiven Mitteln in die tatsächlich oder vermeintlich „rückständige“ islamische Zivilisation hineinzutragen. Die vom Humanitätsgesichtspunkt her fragwürdigen imperialen Eroberungen erfuhren auf diese Weise eine religiöse bzw. zivilisatorische Legitimationsstütze.

Sowohl das konstruierte „Bedrohungspotential“ des Islam als auch der in Überheblichkeit wurzelnde Anspruch zur Transferierung eines humanen, demokratischen „westlichen“ Fortschritts in die islamische Zivilisation tauchen in der aktuellen mediengestützten politischen Debatte wieder auf. Der emeritierte Kasseler Politikprofessor Werner Ruf belegt in seinem Beitrag „Muslime in den internationalen Beziehungen – das neue Feindbild“ anhand offizieller NATO- Verlautbarungen seit dem Ende des Kalten Krieges wie der Zusammenhalt des westlichen Militärbündnisses nach dem Verlust des gemeinsamen kommunistischen Feindes durch die Heraufstilisierung des neuen Bedrohungspotentials „Islamismus versus Islamischer Fundamentalismus“ garantiert werden soll.

Indem die heraufbeschworene Konfrontation mit der islamischen Zivilisation nach dem Vorbild Huntingtons zugleich aus der Divergenz in zivilen Kollektivnormen erklärt werde, zeige man sich in der Lage, die fragwürdig gewordene, auf dem demokratisch-kapitalistischen Freiheitsbegriff beruhende „euro-amerikanische Identität“ wiederherzustellen. Ruf zitiert den Generalinspekteur der Bundeswehr der 1990er Jahre, Helge Hansen, und verdeutlicht daran, wie dieses konstruierte Bedrohungsszenario „Islam versus Islamismus“ zugleich als emotionale Selbstbehauptungsstrategie gegen die mit der Globalisierung verbundenen, z.T. eigens herbeigeführten Risiken herhalten müsse. „Angesichts des Fehlens einer territorial verorteten und militärisch bedrohlichen Großmacht, wurden die so genannten neuen Risiken entdeckt und beschworen, wie Ökologie, Migration, Terrorismus, internationale Kriminalität et cetera, wie sie im deutschen Verteidigungsweißbuch von 1994 und von 2006 nachzulesen sind.“ (S. 121)

Der Anspruch der Transferierung des „westlichen Humanitätsgedankens“ an die diesbezüglich „noch unaufgeklärten“ Muslime gelange, wie Ruf herausstellt, ebenfalls in der gegenwärtigen westlichen Außenpolitik zum Ausdruck, wenn die Interventionen in Irak oder Afghanistan mit einer angeblichen „Demokratisierung“ begründet würden und aufgrund der gleichzeitigen Unterstützung den eigenen Interessen entgegenkommender Regime in Islamischen Staaten bei der dortigen Bevölkerung eher eine Abwehrmentalität gegenüber westlichen Aufklärerungserrungenschaften bewirkten. „So erscheinen in den Augen der nahöstlichen Bevölkerung die Schlagworte ,Befreiung` und ,Demokratisierung` nur als verlogene Feigenblätter zur Kaschierung des imperialen Griffs nach dem Öl. Und die Art der Kriegführung in Irak und Afghanistan liefert den Beleg für diese These.“ (S. 125)

Dieses Bild vom zivilisatorisch „rückständigen Muslimen“ prägt gleichermaßen die deutsche Innenpolitik, wie dies in Kapitel III „Institutionalisierte Islamfeindlichkeit“ über den Umgang der staatlichen Institutionen gegenüber dem Islam allgemein und der muslimischen Minorität in Deutschland im Besonderen herausgestellt wird. In seinem Beitrag „Der Islam im Spiegel der Politik von CDU und CSU. Aspekte einer komplizierten Beziehung“ stellt der Politik- und Islamwissenschaftler Mohammed Shakush heraus, wie die in Deutschland wie im gesamten Westen verbreitete Ansicht einer angeblichen Vergangenheitsverhaftung der Muslime, die sich bezüglich moderner Gesellschaftsvorstellungen in der Realität nur bei bekennenden islamischen Fundamentalisten nachweisen lasse und dabei kaum von christlich konservativen Kreisen unterscheide, von Unionspolitikern benutzt werde, um Muslime zu stigmatisieren und auszugrenzen.

Bezeichnenderweise habe sich das CDU geführte baden-württembergische Innenministerium als erstes mit sogenannten „Integrationstests“ als Forderungen an einbürgerungswillige Immigranten in die öffentliche Debatte begeben. Shakush hebt hervor, dass diese Tests nicht nur eindeutig auf muslimische Immigranten als Zielgruppe gerichtet gewesen seien, sondern darin gesellschaftspolitische Sichtweisen als Bewertungsmaßstäbe ausgewählt wurden, mit denen die Union selbst - zumindest ihre christlich konservative Stammklientel - bis in die Gegenwart Akzeptanzprobleme habe. „Der Leitfaden umfasst Fragen wie. ,Was halten Sie davon, dass in Deutschland Homosexuelle öffentliche Ämter bekleiden?` ...“ (S. 370)
In dem Bewusstsein, dass konservativ eingestellte Bürger gegenüber der Inklusion als fremd empfundener Kulturen in noch größerem Maße skeptisch bis abweisend eingestellt seien, nutze man die von anderen Gesellschaftsteilen in Deutschland herbeigeführte Liberalität als Instrument, den muslimischen Immigranten die Integration in das deutsche Gemeinwesen zu verweigern oder zumindest zu erschweren. Wie sehr sich die Funktionsträger der Unionsschwestern bei ihrer mangelhaften Bereitschaft, gegenüber berechtigten Ansprüchen der Muslime Entgegenkommen erkennen zu lassen, weniger von eigenen Überzeugungen leiten lassen als auf islamfeindliche Stimmungen unter potentiellen Wählern reagieren, verdeutlicht Shakush anhand der Diskussion um den geplanten Neubau einer Großmoschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld. Hier sei es sogar eine CDU geführte Mehrheit im Kölner Stadtparlament gewesen, die das Thema als erstes mit der Aufnahme des Moscheeprojekts in den Bebauungsplan auf die Tagesordnung gesetzt habe.

Die Ergebnisse einer Umfrage, die eine Besorgnis bei wesentlichen Teilen der Kölner Wohnbevölkerung erkennen ließ, habe die CDU-Fraktion der Stadt (mit Ausnahme des direkt gewählten Oberbürgermeisters) veranlasst, von ihrer ursprünglichen Zustimmung abzurücken, so dass der Moscheebau letztlich nur durch den Zusammenschluss der anderen Fraktionen im Stadtparlament (abgesehen von der rechtslastigen Fraktion Pro-Köln, die von Anfang an gegen die Moschee eingestellt war) durchgesetzt werden konnte. „Bei der am Ende entscheidenden Abstimmung über die Änderung des Bebauungsplans für das entsprechende Grundstück – also de facto über den Baubeschluss – am 28. August 2008 stimmte die CDU-Fraktion mit Hinweis auf den für sie fragwürdigen Integrationsbeitrag der Moschee angesichts der geplanten baulichen Dimension und der späteren inhaltlichen Ausrichtung gemeinsam mit Pro Köln gegen den Antrag.“ (S. 371)

Die Tatsache, dass ein aus der Bevölkerung und der Medienöffentlichkeit antizipiertes Feindbild Islam im gegenwärtigen Deutschland zur Festigung einer für bedroht empfundenen institutionalisierten Identität, sowie zur Bindung der eigenen Anhängerschaft dient, demonstrieren der emeritierte evangelische Theologieprofessor Wolf-Dieter Just und der Sprachwissenschaftler Jobst Paul auch anhand der beiden großen christlichen Kirchen. Die evangelische Kirche rücke aus Angst vor Austritten konservativer Mitglieder in ihren Leitpapieren für den interreligiösen Dialog von den toleranten Öffentlichkeitspositionen ihrer Funktionäre immer wieder ab. Der katholischen Kirche gelinge auf diese Weise die Bindung kritischer Intellektueller wie Hans-Peter Raddatz, die gegenüber dem Islam angesichts seiner das politische Gemeinwesen einschließenden Rechtsordnung eine noch größere Abneigung hegten als gegenüber dem ebenfalls als „machtorientiert“ bewerteten Vatikan.

Das Fatale an dieser „Anbiederungspolitik“ zeige sich darin, dass ein prinzipiell für notwendig gehaltenes Entgegenkommen der Institutionen der nichtmuslimischen deutschen Mehrheitsgesellschaft an die wachsende, majoritär integrationsbereite muslimische Immigrantengemeinde nicht praktiziert werde und vielmehr bereits bestehende Brücken z. T. wieder abgerissen würden. Eine Folge ist die vom emeritierten Politikprofessor Dieter Oberndörfer herausgestellte restriktive deutsche Einwanderungspolitik, die demographisch ökonomischer Rationalität widerspreche, nicht zuletzt aber die von „sogenannten Islamkritikern“ als Kennzeichen der Muslime beklagte Tendenz zu „Parallelgesellschaften“ hervorrufe.

Der Rechtswissenschaftler Stefan Muckel lässt die bislang unzureichende Bereitschaft der Gesetzgebung in Deutschland erkennen, die Existenz einer zahlmäßig bedeutenden muslimischen Minderheit angemessen einzubeziehen. Letztlich belegt die Erziehungswissenschaftlerin Yasemin Karakaşoğlu, dass auch eine nennenswerter Anteil der Lehrkräfte und Leitungen von Schulen sich der Kompromisssuche im Konfliktfall mit muslimischen Glaubensüberzeugungen nach wie vor verweigert.


Die unkritische Islamkritik als Element, öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen, entlarvt

Im IV. und letzten Kapitel „Personelle Islamfeindlichkeit“ werden die bekanntesten sogenannten „Islamkritiker“ in der deutschen Öffentlichkeit näher unter die Lupe genommen. Ihre Methodik wird ebenso als fragwürdig herausgestellt wie man ihren Motiven kritisch nachforscht. Hervorsticht besonders der Beitrag des Buchherausgebers, Islam- und Politikwissenschaftlers sowie Redakteurs Thorsten Gerald Schneiders „Die Schattenseite der Islamkritik. Darlegung und Analyse der Argumentationsstrategien von Henryk M. Broder, Ralph Giordano, Necla Kelek, Alice Schwarzer und anderen“. Hierin werden die zweifelhaften Recherchemethoden dieser Autoren als Wesenzug benannt und nicht verschwiegen, dass keiner, jener mit seiner Populärliteratur landesweit bekannten Publizisten eine theologische oder islamwissenschaftliche Ausbildung aufweisen kann.

Bei Zitaten bezögen sich diese selbsternannten „Kenner des Sachgebiets“ ebenso vorwiegend auf gleichgesinnte Autoren, deren Statements sie gewöhnlich lobend hervorhöben. Die Tatsache, dass ihr Ziel nicht in der Aufklärung der Bevölkerung über bestimmte kritikwürdige Phänomene innerhalb des Islam liegt, sondern in einer Herabwürdigung der gesamten Religion, zeigt sich, wie Schneiders anhand zahlreicher Beispiele belegt, vor allem an ihrem polemischen Schreibstil und ihren diffamierenden Begriffsschöpfungen wie der eines bevorstehenden „Eurabia“ mit „Dhimmi“-Status für Nichtmuslime. Nicht zuletzt werde das auf Schwarz-Weiß-Malerei beruhende Denken jener Autoren anhand der Stigmatisierung derjenigen, die ihre Ansichten nicht teilen, als „Gutmenschen“ oder „Multikulti-Illusionisten“, offensichtlich. Besorgniserregender noch sei die wissentliche Desinformation ihrer Rezipenten durch Auslassen von wichtigen Details, die den beschriebenen Sachverhalt angemessen einzuordnen ermöglichten.
Großer Beliebtheit erfreue sich bei jenen Propagandisten ein Verweis auf die deutsche Vergangenheit im Dritten Reich und den für unangemessen bewerteten Umgang der nachgeborenen Generation in Deutschland mit dieser Hinterlassenschaft sowie ihrer Stellung zur eigenen Nationalität. Schneiders präsentiert hierzu eine Reihe von Zitaten einiger dieser Autoren und kommentiert sie mit den Worten: „Die Argumente nehmen meist Bezug auf den angenommenen Schuldkomplex, den deutsche insbesondere wegen des Holocausts und Europäer insbesondere wegen des Kolonialismus oder des Faschismus angeblich nach wie vor mit sich herumtragen würden. Ziel solcher Argumentationstechniken ist es, den Menschen ihre vermeintliche Angst vor Rassismusvorwürfen zu nehmen und sie zu ermuntern, endlich Klartext gegen Muslime zu reden.“ (S. 415)

Die Beiträge des Schlusskapitels setzen sich ausgiebig mit den Charaktereigenschaften jener prominenten „Islamkritiker“ auseinander. Die Psychologieprofessorin Birgit Rommelspacher erläutert die Hintergründe, warum mit den beiden Deutschtürkinnen Necla Kelek und Seyran Ateş ausgerechnet gebürtige Musliminnen die islamfeindliche deutschsprachige Öffentlichkeit zu beherrschen trachten. Der Pädagogikprofessor Micha Brumlik geht den Motiven nach, wie ein vom Naziregime verfolgter, einstmals als linkskritisches „Gewissen“ angesehener Intellektueller wie Ralph Giordano, der sich Zeit seines Lebens Minoritäten gegenüber verpflichtet sah, im hohen Alter zum Sprachrohr einer zur Islamophobie gesteigerten Islamkritik avancieren konnte. Letztlich wird dabei der Frage nachgespürt, weshalb die scheinbar seltsam anmutende Allianz von rechtsgerichteten Hetzblogs und linksgerichteten, teilweise auf Migrationshintergründe zurückblickenden Eliten mit dem gemeinsamen Feindbild Islam sich entwickeln konnte und wie die aufgeklärte Civil Society ihr entgegentreten kann.

Ein sinnvolles Gemisch aus Problemdarstellungen und Lösungsansätzen

Mag die Quantität an Beiträgen für ein Buch, das sich in erster Linie an interessierte Laien wendet, ein wenig zu hoch sein und sich wesentliche Aussagen in verschiedenen Beiträgen wiederholen, die Präsentation von Autoren der verschiedensten wissenschaftlichen Hintergründe führt dem Leser vor Augen, dass Islamfeindlichkeit in Deutschland kein Randphänomen darstellt und jegliche Gesellschaftsbereiche betrifft. Die Autoren beschränken sich zudem nicht darauf, der deutschen Civil Society und ihren Eliten den kritischen Spiegel vorzuhalten, sondern präsentieren zugleich Lösungsansätze, wie eine angemessene Reaktion der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft auf die Existenz des Islam innerhalb der eigenen Grenzen, aber auch außerhalb erreicht werden kann.

Die entscheidenden Voraussetzungen für einen auf Konsenssuche zielenden Kulturdialog nennt der Politikwissenschaftler Jochen Hippler. Aber auch bereits angewandte erfolgreiche Strategien der muslimischen Minderheit in Deutschland zu ihrer Integration bei Beibehaltung ihrer religiöskulturellen Grundsätze und Durchsetzung ihrer damit verbundenen Ansprüche werden präsentiert. Der kanadische Sozialwissenschaftsprofessor Y. Michal Bodemann und die deutsch-türkische Soziologieprofessorin Gökçe Yurdakul zeigen anhand der türkischen Immigrantengemeinde auf, dass nicht nur polemische Publizisten, sondern auch muslimische Minoritäten das deutsche Kollektivgedächtnis angesichts der Judenverfolgung im Nationalsozialismus für ihre Zwecke erfolgreich einzusetzen vermögen.

Wenn diese Lösungsansätze sowohl auf Seiten der Muslime als auch auf Seiten der nichtmuslimischen westlich-christlichen Majorität Nachahmung finden, vermag das Sammelwerk einen wertvollen Beitrag zu einem toleranteren, auf gegenseitigem Respekt getragenen Miteinander zu leisten. Die These einer determinierten Feindschaft zwischen Westen und Islam lässt sich anhand des praktischen Alltags in Deutschland erfolgreich widerlegen.


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