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Freitag, 11.12.2009 | Drucken |
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Muslime - Sündenböcke in der Krise
"Al-Qaida mit dem Islam gleichzusetzen, ist ein Wahnwitz, ja ein Verbrechen" - Bischöfe: Minarettverbot trifft alle – Projektionsfolie Islamhass - Sonderausgabe zum Thema von "Sogesehen.TV Unterwegs"
Es sei "wahnwitzig" und ein "Verbrechen", al-Qaida mit dem Islam gleichzusetzen, findet Historiker Fritz Stern. Der berühmte Historiker kritisiert die seiner Meinung nach "rechtsradikalen" Strömungen in England und in der Schweiz und grenzt sich deutlich vom jüngsten eidgenössischen Volksentscheid gegen Minarette ab. Es gebe den Versuch, vor Anti-Islamismus zu warnen und von ihm zu profitieren.
Der weltweit geachtete Professor spürt, dass hier die Saat für neuen Unfrieden gelegt wird - und das passt nicht zu seiner Sicht der Gesellschaft, die frei ist vom clash of cultures. Siehe dazu auch die Sonderausgabe zum Thema von "Sogesehen.TV Unterwegs".
Der 83-Jährige habe sich wie kein anderer dafür eingesetzt, dass die Deutschen durch Aufklärung, Auseinandersetzung und Aussöhnung mit ihrer jüngsten Geschichte ins Reine kommen, begründete die Jury jüngst die Verleihung des mit 20.000 Euro dotierten Dönhoff-Preises.
Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer erklärte kürzlich in seiner Langzeitstudie über deutsche Zustände: „Wenn uns die Fiskalkrise als weiteres Stadium der Finanz- und Wirtschaftskrise im nächsten Jahr so richtig erfasst, wird die soziale Desintegration der Gesellschaft meiner Meinung nach weiter voranschreiten. Wenn dann die Kernnormen, die eine Gesellschaft zusammenhalten, also Solidarität, Gerechtigkeit und Fairness, weiter unterspült werden, muss man sich Sorgen machen. Wir können jetzt schon feststellen, dass Menschen, die sich von der Krise stärker betroffen fühlen, wesentlich feindseligere Einstellungen gegenüber schwachen Gruppen haben als diejenigen, die sich noch nicht so betroffen fühlen.“
Die langfristige Wirkung dieser Haltung ist fatal: Immer weniger Deutsche glauben daran, dass die Politiker die Probleme lösen können. Selbst aus den oberen sozialen Schichten haben 57 Prozent der Befragten dem Satz zugestimmt: "Leute wie ich haben sowieso keinen Einfluss darauf, was die Regierung tut." Im unteren Segment der Gesellschaft sehen das mittlerweile fast 75 Prozent der Befragten so.
Die Forscher sehen in dieser Teilnahmslosigkeit "Anknüpfungsmöglichkeiten für rechtspopulistische Mobilisierer" - die es in manchen Nachbarländern längst gibt. Es bestehe die Gefahr, "dass feindselige Mentalitäten den trügerischen sozialen Frieden von innen zersetzen". Eigentlich müssten die jährlichen Berichte des Heitmeyer-Teams die Politiker elektrisieren. Doch davon spürt Heitmeyer wenig. Otto Schily habe als Innenminister wenigstens "öfter nachfragen lassen", sagt Heitmeyer. "Von Seiten der CDU gab es wenig Interesse."
Die politische Reaktion der Deutschen auf die Krise ist für das Land zwar auf den ersten Blick beruhigend, auf den zweiten Blick hingegen beklemmend. Denn anders als es sich beispielsweise die Linkspartei erhofft hatte, findet im Zeichen der Krise keineswegs eine Repolitisierung der Bevölkerung statt. Und dies trifft dann alle.
Bischöfe: Minarettverbot trifft alle Religionen
Das landesweite Minarettverbot hat nach Auffassung der Schweizer Bischöfe auch negative Auswirkungen auf die Kirche. Es werde andere Folgen haben, „als die meisten der Ja-stimmenden Christen wünschen“, erklärte die Bischofskonferenz auf ihrer Webseite. Das Verbot werde kein Problem im Zusammenleben mit dem Islam lösen. Zudem werde es in islamischen Ländern die Situation der Christen nicht erleichtern, sondern erschweren. Das Nein zu den Minaretten bedeutet nach Einschätzung der Bischöfe auch ein Nein zur öffentlichen Sichtbarkeit von Religion. Es treffe daher alle Religionsgemeinschaften. Die Bischofskonferenz verweist auch auf das jüngste Kruzifix-Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs, das für Italien Kreuze in öffentlichen Schulen verbietet. Dies sei ein weiterer „Beleg für den Druck, der gegen die Sichtbarkeit von Religion ausgeübt“ werde.
Fazit
In Zeiten wirtschaftlicher und sozialer Verunsicherung sowie zunehmender Identitätskrisen fallen einigen Leuten nur noch Sündenbockdiskussionen und Schwarze-Peter-Spiele ein.
„Wir dürfen uns nicht wundern, wenn dann sogar gegen die eigene Verfassung votiert wird, nur um den Muslimen das Recht auf Religionsfreiheit zu entziehen. Ich wünsche mir, dass sich dagegen in Zukunft klarer und deutlicher mutige Politiker, Journalisten und Kirchenfrauen- und -männer engagieren und klar Position beziehen gegen Intoleranz und Angstmache.“(O-Ton A. Mazyek im jüngsten islamischen Wort)
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