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Dienstag, 07.07.2009 | Drucken |
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Bestürzung und Trauer über den Fall von Marwa
In gemeinsamer Stellungnahme äußern sich die Verbände im KRM zum Hass-Mörder von Dresden: „endlich Islamphobie in unserem Land ernst nehmen“. Zentralrat macht sich Bild vor Ort. Sachsens Ministerpräsident Tillich anschließend: „Angriff galt allen Menschen, die für ein weltoffenes und friedliches Miteinander der Völker und der Religionen eintreten.“
In einer gemeinsamer Stellungnahme finden die Verbände im Koordinationsrat der Muslime (KRM) deutliche Worte zum Hass-Mord von Dresden. Im KRM sind die vier größten muslimischen Verbände Ditib, Islamrat, VIKZ und ZMD vertreten. In der Mitteilung heißt es:
"Am 01.07.09 (9. Rajab 1430) wurde unsere Schwester im Islam, Marwa El-Sherbini in Dresden aus Hass auf die Muslime und Fremde erstochen.
Unser aller Gebete und Mitgefühl gilt nun den Angehörigen des Opfers. Die 28jährige, schwangere Frau und Mutter hinterlässt einen Ehemann und einen Sohn. Wir Muslime werden Marwa ein dauerhaftes und nachhaltiges Andenken in Deutschland bereiten.
Marwa ist das bisher tragischste Opfer unserer muslimischen Schwestern, die unter Demütigungen, Verdächtigungen und Diskriminierungen zu leiden haben. Marwa ist auch Opfer der Hetze und Verleumdungen, die spätestens seit der Zeit der Entscheidung zum Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst und auf einschlägigen Internetseiten betrieben wird. Die insbesondere an ihrer Bekleidung erkennbaren muslimischen Frauen sind unterdessen weitgehend gesellschaftlich und menschlich abgewertet.
Wir rufen jetzt alle Muslime auf, in ihren Schweigemärschen unserer ermordeten Schwester friedlich trauernd zu gedenken. Wir appellieren an das Gute und die Gerechten in unserem Land, dass jeder an seinem Platz für die Liebe unter den Menschen und die Achtung vor der Glaubensüberzeugung jedes Einzelnen werben möge. Marwas Tod hat uns in Angst und Schrecken versetzt. Die Politik muss endlich die Islamphobie in unserem Land ernst nehmen. "
Kondolenz am Krankenbett
ZMD-Generalsekretär Aiman Mazyek war gestern nach Dresden gekommen um sich ein Bild vom Ort des Geschehens zu machen. Er besuchte den Witwer der Getöteten am Krankenbett und kondolierte dem schwer verletzten. Dieser hatte seiner Frau beistehen wollen und war ebenfalls mit mehreren Messerstichen und durch einen Schuss verletzt worden (islam.de berichtete). Er war immer noch schwer gezeichnet von den schockierenden Eindrücken der grausamen Tat gegen seine Frau.
Gemeinsam mit Mazyek kondolierten der Generalsekretär der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, und der sächsische Landesbischof Jochen Bohl. Dieser gemeinsame Auftritt hatte viel Symbolkraft. Kramer sprach von einer Herzensangelegenheit, über Religionen hinweg Solidarität zu bekunden, denn „es ist ein Vorurteil, dass Muslime und Juden sich nicht verstehen können“.
Zentralrat mach sich Bild vor Ort
ZMD-Generalsekretär Mazyek traf sich auch mit Sachsens Landespolizeipräsident Bernd Merbitz, um sich ein Bild vom Tathergang im Gericht zu machen. Merbitz sicherte eine zügige Aufklärung der Tat im Landeskriminalamt mit einer Sonderkommission zu. Auch beim Treffen des Zentralrats an diesem Tag mit Justizminister Geert Mackenroth sicherte dieser zu, alles in seiner Macht stehende zu tun, um die Hintergründe der Tat aufzuklären und versprach auch den Hinterbliebenen weitere Unterstützung. Der Fall, dass eine junge, mutige und tüchtige Frau für eine Zeugenaussage in ein deutsches Gericht gekommen sei und es nicht mehr lebend verlassen habe, sei für ihn „nahezu ein Albtraum“.
Anschließend kam Mazyek mit Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich zusammen, der sich daraufhin erstmalig öffentlich zu dem Fall äußerte: „Der Angriff galt nicht nur der Verstorbenen, sondern allen Menschen, die für ein weltoffenes und friedliches Miteinander der Völker und der Religionen eintreten“, so Tillich. Er übermittelte der Familie der Verstorbenen im Namen aller Sachsen sein „tief empfundenes Mitgefühl“. Diese „hinterhältige und feige Tat“ sei „beschämend“, sagte Tillich.
„Unzweifelhaft fremdenfeindliche Tat“
Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, sagte, es habe sich um eine „unzweifelhaft fremdenfeindliche Tat“ gehandelt. Er sprach von einem „Klima im Land“, in dem Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus selbst bei nichtorganisierten Kräften zu Handlungen und Taten führten. Kramer warnte vor „Islamophobie“. Er drückte in Dresden seine Trauer und Solidarität mit den muslimischen Mitbürgern aus.
Unverständnis über spärliche Reaktionen
Sowohl Kramer als auch der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime hatten sich tags zuvor erstaunt gezeigt über die "unverständlich spärlichen Reaktionen" von Politik und Medien. Auch in der muslimischen Community reagiert man mit Unverständnis über die Zurückhaltung. „Wenn bei einer schändlichen Tat in München drei vermeintlich ausländische Schläger einen Rentner verprügeln, erreicht es bundesweites Aufsehen und mindestens drei Monate Wahlkampf in Hessen. Wenn eine Muslima aus Islamhass ermordert wird, will keiner darüber sprechen“, so ein Moscheebesucher aus Köln.
Der Hass-Mörder von Dresden sitzt derweil in Haft, seine Wohnung wurde nach Angaben der Polizei durchsucht. Es wurden Materialen und ein Computer sichergestellt. Eine Sonderkommission ermittelt bereits. Die Zeugen aus dem Gerichtssaal konnten bisher noch nicht polizeilich vernommen werden, da sie nach der schrecklichen Tat noch immer unter Schock stehen und betreut werden.
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