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Montag, 26.01.2009 | Drucken |
"Eine Kerze verliert nichts von ihrem Licht, wenn sie andere Kerzen ansteckt.“ - Von Murat Aslanoglu
Beim letzten Iftar-Empfang der baden-württembergischen Landesregierung am 22.09.2008 in der Villa Reitzenstein in Stuttgart hielt Murat Aslanoglu eine bemerkenswerte Rede. Wir wollen sie hier nachträglich in Gänze abdrucken:
Sehr geehrter Herr Staatssekretär Wicker,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde,
"Eine Kerze verliert nichts von ihrem Licht, wenn sie andere Kerzen ansteckt.“
Diese Weisheit des großen islamischen Mystikers Mevlana Dschalaladdin Rumi hat auch nach rund 800 Jahren nichts an Einsicht und Aktualität verloren.
Wir sehen und hören von Geschehnissen in der Welt und schließen gerne auf vermeintlich größere Zusammenhänge. Beispiele dafür sind die so genannte Gefahr der Islamisierung Europas oder die Verschwörung des Westens zur Neukolonialisierung der arabischen Welt. Jedoch übersehen wir oft, dass es einzelne Menschen sind, die entscheiden und handeln.
Gott hat uns verschieden erschaffen. Wir unterscheiden uns jedoch nur äußerlich voneinander. In unserem Innern hat er uns eine Seele eingehaucht. Bei Babys und Kindern können wir dieses Licht der Seele besonders einfach erkennen. Es erwärmt unser Herz und seine Liebe steckt uns an.
Im Laufe unseres Lebens entscheidet jeder Einzelne von uns, wie er oder sie mit diesem verantwortungsvollen Geschenk umgeht.
Man könnte diesen Schatz auch als unser Grundkapital bezeichnen, das wachsen und gedeihen soll. Angesichts der Bankenkrise möchte ich doch lieber bei der Metapher des Lichts bleiben.
Jeder Einzelne entscheidet selbst:
So gibt es Menschen, die ihr inneres Licht über die Jahre ihres Lebens bewahren konnten. Viele geben sie sich jedoch zufrieden damit, andere Leute in Ruhe zu lassen und lieber für sich alleine zu leuchten.
Es gibt andere Menschen, deren Leuchten erloschen oder deren Docht abgeschnitten ist. Vielleicht haben sie keine Liebe erfahren können und wollen auch nichts mehr davon wissen.
Es gibt auch wenige Menschen, die Anderen das Licht auspusten. Meist tragen sie in sich Hass auf alles, was nicht so aussieht oder denkt wie sie selbst.
Und es gibt solche Menschen, die ein Leuchten in sich tragen, es weiter geben wollen und auch bereit sind, vom Licht des Anderen angesteckt zu werden.
Sie fragen sich vielleicht, warum ich diese Bilder verwende. Gerne will ich sie in aktuelle Geschehnisse einordnen. Am Wochenende gab es zwei Ereignisse, die in Zusammenhang mit „dem“ Islam gebracht werden.
In Pakistans Hauptstadt wurden bei einem verheerenden Anschlag über 50 Menschen ermordet. Die Schreckenstat wurde genau zu der Zeit verübt, zu der auch wir heute zusammen gekommen sind. Auch dieses Mal waren die meisten Todesopfer Muslime. Viele der getöteten Hotelgäste waren gerade mit ihren Familien beim Iftar-Essen. Spätestens hier wird deutlich, dass der Terrorismus der Feind jeder Religion ist. Die Täter tragen Dunkelheit und kein Licht in sich. Wir Friedfertigen sollten einander beistehen anstatt uns spalten und gegeneinander aufbringen zu lassen.
Dieses Zueinanderstehen durften wir am selben Tag in Köln erleben, als die alarmierten Bürger den Aufmarsch von Rassisten verhindern konnten. Die Kölner, allen voran der OB, stellten sich schützend vor ihre muslimischen Mitbürger. Im Gegensatz zu den Rechtsradikalen und den linken Krawallmachern brachte die große Mehrheit der Menschen ihr friedliebendes Licht zum Vorschein.
Für Muslime ist dieses Zeichen der Solidarität überaus wichtig. Oft hören wir von der Angst der Deutschen vor dem Islam. Sie basiert unter anderem auf Unkenntnis und manch schlechtem Beispiel bei Muslimen.
Die Realität spricht aber auch eine andere Sprache. Allein in diesem Jahr wurden unzählige Brandanschläge auf Moscheen und Häuser mit türkischen Bewohnern verübt. Auch Baden-Württemberg ist davon stark betroffen. So brannte es vor einer Woche in einer Moschee in Aalen, ebenfalls zur Iftar-Zeit.
Dabei gibt es viele positive Beispiele des Zusammenlebens in unserem Land.
So arbeiten die baden-württembergische Polizei und rund 200 Moscheevereine im präventiven Bereich zusammen. Polizisten bauen ihre interkulturelle Kompetenz aus und Muslime gewinnen mehr Vertrauen in die Behörden des Landes, die ja auch für sie da sind und von ihnen mitfinanziert werden. Auch im geheimdienstlichen Bereich sind Tendenzen zu erkennen, die Muslime nicht mehr nur als Thema der inneren Sicherheit zu sehen.
Der Modellversuch des Kultusministeriums zum islamischen Religionsunterricht geht in sein drittes Jahr. Als Vater zweier Kinder hoffe ich, dass die positiven Rückmeldungen aus den Schulen und von den Eltern Mut machen, das Angebot zeitnah zu erweitern.
Der neue Integrationsplan zeigt, dass die Landesregierung wichtige Zukunftsthemen anpackt.
Auch die Wirtschaft des Landes trägt seinen Teil zur Integration und Internationalisierung bei. So hat mein Arbeitgeber, die Daimler AG, die Vielfalt der Belegschaft frühzeitig als wertvollen Faktor verstanden. Als ich vor 16 Jahren anfing, waren die meisten Türken noch am Band beschäftigt. Heute treffe ich auf immer mehr türkischstämmige Führungskräfte und Angestellte.
Und wenn ich mir den interreligiösen Dialog anschaue, dann sind wir im Südwesten ganz vorne mit dabei. Die jahrelange und vertrauensvolle Zusammenarbeit von Juden, Christen und Muslimen trägt hier besondere Früchte und strahlt auch auf andere Bundesländer und Regionen ab.
Dasselbe gilt für den SWR, der mit dem Islamischen Wort und weiteren Vorhaben wichtige Pionierarbeit leistet.
Sehr wichtig halte ich das behutsame Zugehen einzelner Mitglieder der Landesregierung auf muslimische Einrichtungen. Ihre Besuche in Moscheen und der heutige Iftar-Empfang machen deutlich, dass Muslime sich hier zu Hause fühlen können. Gerade für junge Menschen mit mehreren Wurzeln ist die Vermittlung solch eines Heimatgefühls wichtig. Muslim sein und Deutschland lieben vertragen sich sehr gut miteinander.
Zum Abschluss meiner Rede will ich wieder auf das Symbol der Kerze zurückkommen. Auch den Ramadan können wir als eine Kerze verstehen, die Güte ausstrahlt und Gutes bewirkt.
Ein Beispiel dafür ist, dass die muslimischen Verbände in Deutschland sich erstmals auf einen gemeinsamen Kalender im Ramadan geeinigt haben. Die Bedeutung dessen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, da dies eine Abkehr von den Herkunftsländern und eine Zuwendung zu Deutschland als gemeinsamer Heimat darstellt. Somit werden dieses Jahr alle Muslime das Ramadan-Fest am gleichen Tag feiern, nämlich am 30. September.
Ein weiteres Beispiel ist, dass Muslime schon seit langem auch deutsche Nachbarn, Arbeitskollegen oder Kirchengemeinden zum gemeinsamen Fastenbrechen einladen. Sie kommen zusammen, stellen sich Fragen und lernen voneinander. Hier haben Muslime Gelegenheit, sich von ihrer besten Seite zu zeigen. Deutsche sind meistens beeindruckt von der Gastfreundschaft und der Offenheit ihrer muslimischen Gastgeber.
Viele Regierungen haben diese Tradition aufgegriffen, allen voran die USA. Dort gefällt mir besonders, dass seit letztem Jahr das Empire State Building anlässlich des Ramadan-Festes für drei Tage grün leuchtet – wie bei christlichen und jüdischen Festen auch.
Doch warum fasten Muslime überhaupt?
Warum verzichten sie freiwillig auf die Wünsche ihres Körpers?
Der Fastende bekommt die Chance, diesen Monat zu nutzen, um sich aus den Fängen des Alltags zu befreien und wieder zu sich zu kommen.
Man wird ruhiger, einfühlsamer, geduldiger, achtet mehr auf seine Worte, reflektiert das eigene Verhalten, fühlt ein wenig mit den hungernden Menschen auf der Welt mit, spendet mehr für Arme und Bedürftige, kann auch mal verzeihen, ist besser gelaunt und lächelt öfter. Dieses Verhalten trägt zu einem besseren sozialen Miteinander bei.
All dies ist möglich, weil wir durch das Fasten unser Äußeres, unseren Körper, schwächen und somit unabhängiger von ihm werden. Dadurch stärken und erhöhen wir unser Inneres, unsere Seele, die wir so besser verstehen lernen.
Womit wir wieder am Anfang meiner Rede wären. Der Schatz des menschlichen Daseins liegt nicht in der Anhäufung von Materiellem und Macht, sondern in unserem Innern. Geld allein macht nicht glücklich und der Mensch ist nicht das Maß aller Dinge. Die aktuelle Bankenkrise führt uns das wieder deutlich vor Augen.
Ich wünsche mir, dass wir endgültig das 20. Jahrhundert hinter uns lassen, das von menschenverachtender Massenvernichtung und ausuferndem Kapitalismus geprägt war. Und im 21. Jahrhundert ankommen, in dem wir den Sinn des Lebens erkennen und uns unseres Schöpfers und unserer Selbst besinnen.
Lieber Herr Staatssekretär Wicker,
für die Einladung zum heutigen Iftar-Empfang möchte ich mich bei Ihnen als
Hausherrn herzlich bedanken – stellvertretend für all diejenigen, die den
Abend und auch das Essen vorbereitet haben. Sie setzen damit ein weiteres
wichtiges Zeichen, dass Muslime zu Baden-Württemberg gehören. Möge der
heutige Abend der Beginn einer segensreichen Tradition werden.
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