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Stimme eines neuen Deutschlands: Deutschtürken werden oft verkannt - Von Till-r. Stoldt
Kelek und Co spiegeln nicht das Lebensgefühl junger Deutschtürken wieder
Die 26-jährige Kölnerin Ikbal Kilic ist Chefredakteurin des Magazins "Mikses", das sich vor allem Integrations-Themen widmet. Ihr Anspruch: Stimme eines neuen Deutschlands zu sein
So kommt es jedenfalls der Deutschtürkin Ikbal Kilic manchmal vor, wenn sie deutsche Medien studiert. Nur eines entdeckt sie in der Berichterstattung über Zuwanderung und Integration fast nie: Zwischentöne. Und das scheint der 26-jährigen Kölnerin typisch für die hiesige öffentliche Meinung.
Ob man ihr darin nun folgt oder nicht - jedenfalls hat Kilic tatkräftig Konsequenzen gezogen und "Mikses" gegründet: ein "Magazin für Interkulturelles", das einen differenzierteren und entspannteren Blick auf Integrations- und Zuwanderungsfragen werfen soll.
Und mit diesem Magazin gelingt es Chefredakteurin Kilic zunehmend, als neue Stimme im Chor der Frauenrechtlerinnen, Promi-Zugewanderten und Integrationsexperten Gehör zu finden. Zumindest wird sie in einschlägigen Foren bereits als solche Stimme gepriesen. Kürzlich wurde ihr Magazin gar mit dem renommierten "Lead Award" als bestes Newcomer-Magazin 2008 ausgezeichnet.
Und manchen Beobachtern gilt Kilic bereits als "Anti-Kelek", weil sie die Bestseller-Autorin und Frauenrechtlerin Necla Kelek harsch kritisiert, dabei aber eine ungewohnte Tonlage anschlägt: Kelek spiegle wie so manche deutschtürkische Frauenrechtlerin nicht das Lebensgefühl junger Deutschtürken. Zudem befinde sie sich im ständigen Angriff auf die türkisch-islamische Gemeinde, so Kilic über die doppelt so alte Kelek.
"Die meisten Deutschtürken leben aber nicht im permanenten Kriegszustand mit ihrem Umfeld und ihrer Herkunft." Vor allem vermissten viele junge Frauen bei Kelek und Co. den Hinweis, dass man Missstände wie Frauendiskriminierung beheben und trotzdem als Muslim oder Deutschtürke seiner Herkunft verbunden bleiben könne. Und wegen dieses Mangels an positiven Anknüpfungspunkten erreiche Kelek auch die meisten Türkischstämmigen nicht.
Interessant an dieser Schelte ist unter anderem ihre Differenziertheit. Denn zugleich räumt Kilic ein, Frauenrechtlerinnen wie Kelek hätten auch große Verdienste. "Dass in Deutschland offen über Zwangsheiraten oder Ehrenmorde gesprochen wird", sei Frauen wie Kelek, Seyran Ates und anderen zu verdanken.
Solche differenzierten Töne geben auch "Mikses" den besonderen Klang. Dort wird weder dramatisiert noch verharmlost, wird weder Moralinsäure noch Verbrüderungssauce verschüttet. Genau darin dürfte wohl der größte Trumpf von "Mikses" bestehen. Denn über Zuwanderungs- und Integrationsfragen berichten auch andere deutschsprachige Blätter. So entspannt, spielerisch und humorvoll berichtet dagegen kaum ein zweites Blatt.
Das zeigt sich schon in Äußerlichkeiten. So sind die Ressorts halb deutsch, halb türkisch betitelt mit Namen wie "Leitkültür" (Feuilleton) oder "Streitkültür" (Politik).
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Wichtig ist ihr deshalb, nicht nur durch die Augen von Zugewanderten zu berichten. Und weil die junge Chefredakteurin offenbar um die Grenzen ihrer eigenen Wahrnehmung weiß, ist ihre Redaktion ein Gemisch aus Redakteuren mit und ohne Zuwanderungshintergrund. Womöglich ist es dieser Mix, der die "Mikses"-Macher befähigt, auch Sorgen und Fragen der Alteingesessenen aufzugreifen.
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(Erstveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors in: WELT am Sonntag vom 22.06.08; Kompletter Text unter http://www.welt.de/wams_print/article2132527/Neue_Stimme_der_Deutschtuerken.html zu lesen)
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