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Sonntag, 06.07.2008
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"Die Armut besiegen" - Neues Buch des Friedens-Nobelpreisträgers Mohammed Yunus

"Der Rebell, der kein Politiker sein will, es aber wider Willen doch ist" und: "Der aus seinem islamischen Glauben und dem von diesem Glauben begründeten Menschenbild lebt" Buchbesprechung von Rupert Neudeck

Auf dieses Buch haben wir lange gewartet - jetzt kommt es über Frankreich und Großbritannien endlich zu uns. Endlich haben wir die Gelegenheit, die Nobelpreisrede integral zu lesen, die Mohammed Yunus am 10. Dezember 2006 in Oslo gehalten hatte.
Endlich erfahren wir etwas mehr über den gewaltig guten Mann, der in seiner Person die Alternative darstellt zu der gescheiterten Entwicklungs- und Dritte Welt Politik. Die Politiker werden wieder versuchen, ihn zu umgarnen und für sich zu vereinnahmen, aber er wird sich das nicht gefallen lassen. Yunus macht fast alles frag-würdig, was auf den Fahnen des BMZ immer noch steht, sei es das BMZ von Erhard Eppler, sei es das von Carl Dietrich Spranger, sei es das von Heidemarie Wieczorek-Zeul oder das von Karin Kortmann.

Alles ist anders. Der Mann lebt aus einem ganz anderen Menschenbild, das es in Deutschland weder in der CDU und CSU noch in der alten sozialistischen oder sozialdemokratischen Tante SPD noch gibt. Gibt es doch kaum noch Christen in der Partei, die das C im Wappen trägt noch Sozialisten alter Moral und Ethik in der Partei, die das sozialdemokratische Wappen führt (Ausnahmen verletzen die Regel). Schweigen wir von den anderen Parteien und ob sie davon etwas bringen.
Wie eherne Sätze streut sie der Nobelpreisträger in seinen Text. Aber alles, was er schreibt, hat er durch eigene wirkungsvolle Taten beglaubigt. Er kritisiert die alten Modalitäten unserer Politik, ob wir sie Hilfe, Entwicklung, Entwicklungspolitik oder Solidarität nennen. Multilaterale Institutionen wie die Weltbank – schreibt Yunus – bezeichnen die Beseitigung der Armut als ihr Ziel. Aber um diese Ziel zu erreichen, konzentrieren sie sich ausschließlich auf die Förderung des Wirtschaftswachstums. Dieses Wachstum könne verschwindend gering sein, es kann auch ohne jeden Nutzen für die Armen sein, die Weltbank wird sich –so Yunus - nicht bewegen lassen, ihre Politik zu ändern.

Unter den Experten, die Yunus nur von ferne bewundern kann, unterscheidet man das „Wachstum für die Armen“ und das „Wachstum gegen die Armen“, so als ob das separate Optionen seien. Aber in den konventionellen Konzepten werden die Armen als Objekte betrachtet und als solche Objekte ins System geholt. „So entgeht den Politikern das gewaltige Potential der Armen, insbesondere der armen Frauen und der Kinder armer Frauen“. Die Politik war bis Yunus nicht in der Lage, „die Armen als eigenständige Akteure zu sehen. Die Politiker machen sich Sorgen über die Gesundheit, die Bildung und die Arbeitsplätze der Armen, aber sie sehen nicht, dass die Armen selbst Akteure sein können. Sie können selbständige Unternehmer sein.“
Warum ist uns das nicht vor Yunus klargeworden, wenn wir auf die Dörfer gegangen sind und Menschen bei ihrem genialen Versuch zugesehen haben, mit einem oder zwei Dollar pro Tag eine ganze große Familie zu ernähren und gleichzeitig noch irgendein Gewerbe zu betreiben?
Wir waren alle gefangen in unserer Ideologie, dass wir Europäer kommen müssten, um den unfähigen, passiven Armen zu zeigen, wo der Hammer hängt, um damit auch noch mal deutlich zu zeigen, dass die Welt nur gesunden wird durch unsere Ratschläge, durch unsere reichen Beraterbataillone, unsere GTZ-Brigaden und Consultants. Er habe im Laufe der letzten Jahre immer wieder die Unterschiede studiert – zwischen der Weltbank und der Grameen Bank, denn beide sind auf demselben Gebiet tätig. Warum ist die Grameen Bank erfolgreich, die Weltbank sinnlos für die Armen? Wir möchten, sagt Yunus und hat alles dazu getan, solche Sätze zu bewahrheiten: „dass unsere Kreditnehmerinnen sich wichtig fühlen.“

Die Weltbank nimmt die Armen nicht wichtig, sie gibt ihnen Training, fachliche Beartung. Der Kreditnehmer hat den vorgezeichneten Linien zu folgen. Doch trotz aller Bemutterung entwickeln sich die Projekte nicht wie geplant. Normalerweise muss dann das Empfängerland die Schuld für ein gescheitertes Projekt auf sich nehmen und die Konsequenzen tragen.
Mittlerweile gibt es ja nicht nur die Grameen Bank, es gibt schon alle möglichen Sozialunternehmen, die der große Muslim und Wirtschaftswissenschaftler Yunus aus der Taufe gehoben hat als Nachfolgeunternehmen der Dorfbank. Bis heute gibt es zwar viele Sozialentrepreneure, aber wenig Sozialunternehmen. Denn die bisherigen betrieblichen Kennzahlen kreisen ausschließlich um die Gewinnmaximierung. Es sei ganz wichtig, zwischen diesen beiden Modellen zu unterscheiden. Zwischen dem um Gewinnmaximierung bemühten Unternehmen auf der einen und dem Sozialunternehmen auf der anderen Seite gibt es erst mal keine Brücke.

Mohammed Yunus beschreibt mit großer Akribie die Geschichte des ersten Sozialunternehmens, an dem ein ganz großer multinationaler Betrieb beteiligt ist: Grameen Danone. Das hat den realistischen Professor Mohammed Yunus so fasziniert, dass er das Loblied von Danone singt. Im Oktober 2005 war Yunus eingeladen zu einer Frauenkonferenz nach Deauville in Frankreich. Einige vor seinem Abflug meldete sich der Hauptgeschäftsführer des französischen Lebensmittelkonzerns Danone, Franck Riboud, und ließ fragen, ob er ihn nicht zum Mittagessen einladen dürfe.
Nach einigen Hin und Her kam es zu diesem Treffen. Und die Mannschaft von Danone war von Yunus Unternehmungen fasziniert und gründete in der Folgezeit mit ihm zusammen Grameen Danone. Da das bei diesem Essen aber wie mit einem Handschlag alles vereinbart schien und Yunus ganz verwirrt war, wollte er noch einmal wissen, ob man ihn verstanden habe und erläuterte: Ein Sozialunternehmen sei eines, das keine Dividenden ausschüttet. „Es verdient mit dem Verkauf seiner Produkte oder Dienstleistungen genug Geld, um seine Kosten zu decken. Das in das Unternehmen investierte Kapital kann an die Eigentümer zurückgezahlt werden, aber sie erhalten keine Dividende als Gewinnausschüttung. Alle Betriebsüberschüsse verbleiben im Unternehmen, um seine Expansion zu finanzieren neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln.“

Es sind bewegende Begegnungen in dem Buch enthalten, auch sehr eindringliche Fotos über die Methode von Mohammed Yunus. Der Mann lebt aus seinem islamischen Glauben und dem von diesem Glauben begründeten Menschenbild. Wie die Berliner Tageszeitung damals aus Anlaß des Kirchentages in Köln schrieb: „Ein Muslim beherrscht den Kirchentag.“
Wer ihn selbst einmal erlebt hat, wird diesen klugen und fröhlichen Menschen nie vergessen. Der wird auch wissen, dass es nur ganz wenige Menschen auf der Welt gibt, die so wenig eitel sind, dass sie selbst bei der Vergabe des Friedensnobelpreises darauf sehen, auch diejenigen mitzunehmen, die an dem Erfolg der Grameen Idee maßgeblich beteiligt waren: Neun Grameen Ladies, die in den Dörfern Bangladeshs diesen Erfolg begründet haben. Er hat immer neue Bilder, mit denen er seine Idee zu verwirklichen versucht. Der Kampf ist ja nicht einfach. Bei der Konstituierung der ersten Grameen Danone Einrichtung wurde ihm noch einmal ein Prozent Dividende in das Statut geschrieben. Er gibt zu, dass er diesen Kampf darum noch führen muss, auch dieses eine Prozent aus dem Statut zu streichen.

Mit Zinedine Zidane („Zizou“) und dem Danone Geschäftsführer Franck Riboud wurde bei dem Besuch der beiden im November 2007 zur Eröffnung von Grameen Danone ganz Bangladesh umgekrempelt, denn niemand ist in dem islamischen Bangladesh bekannter denn der große französische Fußballer, der nach dem Kopfstoß auf dem Rasen gegen den italienischen Spieler in dem südostasiatischen Land noch bekannter und populärer wurde.
Yunus beharrt darauf, dass die Armut die größte Bedrohung für den Weltfrieden sei, nicht der Terror. Da die Armut einem Menschen jegliche Kontrolle über sein Schicksal entzieht, kann sie als völlige Verweigerung der Menschenrechte bezeichnet werden. Werde in einem Land die Meinungsfreiheit oder die Religionsfreiheit verletzt, so sind oft weltweite Probleme die Folge. „Wenn die Armut die Hälfte der Menschheit ihrer grundlegenden Menschenrechte beraubt, wenden sich die meisten von uns ab und leben wie gewohnt weiter“.

Der Rebell, der kein Politiker sein will, es aber wider Willen doch ist, der den stärksten Kontrapunkt und die heftigste Konkurrenz zu der imperialen und verhängnisvollen Politik der Amerikaner darstellt, aber auch zu dem Schlendrian unserer deutschen Politik, heisst Mohammed Yunus. Er kommt aus einem hergelaufenen Land, geringschätzig als „hoffnungsloser Fall der internationalen Politik“ vom damaligen US-Präsidenten Richard Nixon apostrophiert.

Die deutsche Politik in der Zeit der Bundeskanzlerin Angela Merkel täte gut daran, sich der Mithilfe von Mohammed Yunus bei dem schwierigen und schmerzhaften Versuch zu versichern, die eigene Politik gegenüber der Weltarmut und den Habenichtse-Ländern vom Kopf auf die Füße zu stellen. Angeboten hat er der Bundesregierung: Er würde mit seinem Grameen Trust bei der drastischen Verstärkung von Mikrokredit Institutionen in afrikanischen Ländern beitragen und sich bei dem von Deutschland bezahlten Aufbau einer Akademie für Mikrokredit Akteuren beteiligen.



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