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Dienstag, 10.06.2008 | Drucken |
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Rechts vor Links
Das Phänomen NPD in Ostdeutschland, der Schwarze Mann und der Bezirksschornsteinfegermeister. islam.de im Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten Christian Ahrendt (FDP)
(islam.de) Am Sonntag konnten rund 2,9 Millionen Sachsen über zehn Kreistage und zehn Landräte abstimmen. Die NPD, die von allen Bewerbern am deutlichsten zulegte, zieht vermutlich in alle zehn Kreistage ein. Auch in anderen sächsischen Orten haben die Rechtsextremen sich als feste Größe etabliert. Im Landesdurchschnitt hat sich ihr Stimmenanteil mit heute 5,1 Prozent gegenüber 2004 vervierfacht. Spitzenreiter ist die Sächsische Schweiz, wo die NPD 22 181 Stimmen bekam.
Bei den demokratischen Parteien herrscht nun Entsetzen. Von „erschreckenden“ Zahlen spricht man bei der SPD, die ihr eigenes dürftiges Resultat von 11,5 Prozent (minus 0,3) als Stabilisierung „auf niedrigem Niveau“ verkauft, wie bei der LINKEN. Eine „Besorgnis erregende“ Entwicklung konstatieren die Grünen, die über ihr eigenes Resultat von 3,1 Prozent (minus 0,3) enttäuscht sind. Nicht überrascht sind dagegen langjährige Beobachter wie Friedemann Bringt vom Kulturbüro Sachsen. Er stellt nüchtern fest, die NPD sei „in der Fläche angekommen“ – auch weil Gegenstrategien nie wirklich konsequent verfolgt worden seien.
Phänomen NPD – Ein Erklärungsversuch
Die Rechten und mit ihnen ihr braunes Umfeld, das in Juden, Muslimen, Ausländern, Menschen mit anderer Hautfarbe eine große Bedrohung für das deutsche Vaterland sieht und meint auf ihre Art jetzt handeln zu müssen, zeichnen sich durch verschiedenste Aktivitäten aus.
Vor Schulen werden kostenlos CDs mit braunem Inhalt verteilt, NPD-nahestehende Kameraden und Kameradinnen füllen die Lücken, die der Staat aufgerissen hat. Gerade in strukturschwachen Räumen ist diese Tendenz zu beobachten. Schließt aus Kostengründen eine Gemeinde eine Jugendeinrichtung, stehen die Volksgenossen bereit, um ihrerseits ein Freizeitangebot anzubieten. Das dann so nebenbei noch politisiert wird in eine bestimmte Richtung, gibt es dann am Lagerfeuer oder in der Dorfdisco gratis dazu. Auch scheuen sich die Rechten nicht, gezielt Sportvereine, Freiwillige Feuerwehren, das Technische Hilfswerk mit ihren Gesinnungsgenossen zu füllen. Kommt dann die große Politik noch auf recht(s) merkwürdige Entscheidungen, betrachten das die Braunen schon als „Sieg heil“. Da plante Dieter Althaus (CDU), Ministerpräsident des Kulturlandes Thüringen, Peter Krause zum Kultusminister des Landes zu ernennen. Als oberster Dienstherr für Lehrer. Wie mussten sich die Lehrer dort fühlen, die aktiv ihren Schülern die Gefahren des Rechtsradikalismus vor Augen führen und den Autor eines ultra rechten Blattes als Dienstherrn vorgesetzt bekommen sollten?
Einfach nur ein Missgriff von Althaus oder ein kleines Zugeständnis an Rechtsaußen, damit bitteschön bei der nächsten Wahl diese Herrn Althaus und seiner Partei die Stimme geben und nicht NPD, DVU, Republikanern und was noch am rechten Rand blüht und gedeiht. Der Zentralrat der Juden, die Parteien SPD, Grüne, Die Linke haben dazu aufgefordert, diese Personalentscheidung doch nochmals zu überdenken. Gut, dass der Ministerpräsident dies gemacht hat und dann seine Entscheidung zurückgenommen hat – hoffentlich auch aus Überzeugung.
In Sachsen-Anhalt, im Burgenlandkreis, gibt es einen Bezirksschornsteinfegermeister, der auch Kreistagsabgeordneter der NPD ist. Alle Hausbesitzer müssen in diesem Kehrbezirk den Kameraden Bezirksschornsteinfegermeister ins Haus lassen. Er erfüllt ja eine hoheitliche Aufgabe. Für den „Schwarzen Mann“ hat das den Vorteil, er kann nicht nur kehren, er kann auch bekehren. Gleich beim dienstlichen Besuch ein paar Flyers der NPD verteilen. Das Bundesland Sachsen-Anhalt ist nun nicht mehr gewillt, den Bezirksschornsteinfeger kehren zu lassen. Die Rechten betrachten das als Steilvorlage.
„Hält der Terror der Herrschenden gegen politisch Andersdenkende weiterhin an“ heißt es beim "Nationalen Netztagebuch". In Sachsen im Landtag ist die Fraktion der NPD fast so stark wie die der SPD, auch ist sie in Mecklenburg-Vorpommern im Parlament; in Brandenburg sitzt die DVU im Parlament. Wer kam eigentlich auf den Gedanken, einen Kreistagsabgeordneten der NPD zum Bezirksschornsteinfeger zu ernennen? Auch in diesem Fall, genauso wie bei Krause schon geschehen, sollte die Personalentscheidung rückgängig gemacht werden, stärkt das die Braunen. Ein „Opfer“ aus ihren Reihen mehr. Diese Wahlkampfmunition bekommen sie „von denen da oben“ gratis geliefert und können hoffen, da wo sie bereits Landtagsluft schnuppern, stärker zu werden und in anderen Parlamenten einzuziehen, wo sie noch nicht auf den braunen Parlamentsschemeln sitzen. Umso schöner für sie, wenn dieser Staat, den sie doch so verachten, ihnen finanziell unter die Arme greift. Es gibt gemeinnützige Vereine, die der verfassungsmäßigen Ordnung widersprechen. Mancher gemeinnützige Verein ist uralt. Seit 1963 bereits existiert das gemeinnützige „Collegium Humanum“.
Die FDP sagte dazu, dieser Zustand sei „nicht länger hinnehmbar„ und forderte die Bundesregierung wörtlich auf „aus ihrem Dornröschenschlaf“ zu erwachen. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Christian Ahrendt ist auf diesem Gebiet, was die Gemeinnützigkeit von solchen der NPD-nahestehenden Vereinen angeht, ausgewiesener Experte. Christian Ahrendt ist auch Landesvorsitzender der FDP von Mecklenburg-Vorpommern.
Unter seiner Federführung wurde die Bundesregierung durch eine parlamentarische Anfrage aufgefordert, den Extremisten im Dunstkreis der NPD durch Verbote von verfassungsfeindlichen Vereinen den Nährboden zu entziehen. Ahrendt erklärte: „Der Umstand, dass diese Vereine nicht selten als gemeinnützig anerkannt werden, setzt dem Ganzen die Krone des Grotesken auf.“ Schlimmes Beispiel war auch „Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten.“
Wer also das Ermorden von Juden, Kommunisten, Homosexuellen, religiösen Menschen wie Zeugen Jehovas bestreitet und diesen Verein, der solche, aus seiner Sicht, Lügen wie Auschwitz und Dachau bekämpft, darf die finanzielle Unterstützung durch den Steuerzahler erfahren. Im deutschen Bundestag sprach islam.de darüber mit dem FDP-Bundestagsabgeordneten Ahrendt. Von Beruf ist Christian Ahrendt Rechtsanwalt und rechnete vor, wenn ein lediger Steuerzahler 1.000 Euro so einem Verein spende, beteiligen wir alle uns mit 420 Euro daran. Der Verein stelle ja auch eine Bescheinigung dem Spender aus, diese Bescheinigung führe dann dazu, dass sich sein zu versteuerndes Einkommen entsprechend verringere. Ahrendt nannte es ein Unding, dass Straftaten, wie zum Beispiel Volksverhetzung, mit dem Siegel der Gemeinnützigkeit und entsprechender staatlicher Förderung laufend gegangen werden.
Die Bundesregierung hat die beiden genannten Vereine aufgrund der parlamentarischen Anfrage intensiv überprüft und nun diese für Verboten erklärt. Was aber nicht bedeutet, es gäbe in ganz Deutschland keinen gemeinnützigen rechten Verein mehr. Aber der Hebel, so der Landesvorsitzende der Liberalen von Mecklenburg-Vorpommern, sei auch an anderer Stelle anzusetzen, nicht nur bei der Aberkennung von Gemeinnützigkeit bei zu großer rechter Nähe. In seinem Bundesland gebe es kaum eine Lücke, die von der NPD und ihr nahestehender Personen nicht gefüllt werde.
Schließt man in einer strukturschwachen Gegend einen staatlichen Kindergarten aus Kostengründen, werden auf einmal Privatpersonen aktiv. Dann laufe man Gefahr, dass Frauen von Kameraden eine Kinderbetreuung anböten. Diese könne man nur verhindern, wenn der ländliche Raum weder finanziell noch personell ausblute. Es gebe Städte wie Anklam, so betonte Christian Ahrendt, die seit der Wende fast die Hälfte ihrer Einwohner verloren haben. Die Jugend sei Richtung Westen abgewandert. Gute und ausreichende Jobs seinen immer noch Mangelware in vielen Teilen Mecklenburg-Vorpommerns.
Natürlich haben die Kommunalpolitiker darauf reagieren müssen und das kulturelle Leben, Volkshochschulen, Freizeiteinrichtungen, Bildungsangebote stark zurückfahren müssen. In manchen Dörfern oder Städten sogar ganz eingestellt. Es sei geradezu logisch, dass die Rechten sich nun anböten, für Ersatz bei Jugendeinrichtungen, Sommerfesten, Freizeitangeboten zu sorgen. So kämen aus seinem Bundesland oft Schüler nach Berlin zu ihm und forderten ihn auf, die NPD zu verbieten, sagte der Bundestagsabgeordnete. Er verweise dann immer darauf, diese Debatte gäbe der NPD nur eine neue Plattform in aller Öffentlichkeit.
Betreibe man Ursachenbekämpfung, wozu auch Vollbeschäftigung, gute Strukturen im ländlichen Raum gehöre und man lege wirklich alle gemeinnützigen Vereine im Dunstkreis der rechten Szene trocken, würde diese Konsequenz dazu führen, das die NPD und andere ihresgleichen keine Chancen hätten. Christian Ahrendt betonte auch, eine wehrhafte Demokratie brauche wehrhafte Bürger. Welche Anlaufstellen es denn gäbe, käme dem Bürger ein gemeinnütziger Verein braun und rechts vor. Die Polizei werde ja nur bei Straftaten aktiv, ein Finanzamt ziehe sich hinter der Mauer des Steuergeheimnisses zurück, wenn man dort nach einem bestimmten Verein sich erkundige. „Dafür gibt es in den Kommunen Gleichstellungsbeauftragte, Ausländerbeauftragte,“ so Christian Ahrendt, „diese Institutionen werden jedem Hinweis nach einem gemeinnützigen Verein, wo nicht alles einwandfrei zu sein scheint, konsequent nachgehen.“ Man könne auch seinen Bundestagsabgeordneten darauf aufmerksam machen, sollte der – wider erwarten - nicht reagieren, „dann soll man mich kontaktieren. Ich werde jedem Hinweis auf einen gemeinnützigen Verein mit rechter Gesinnung nachgehen,“ erklärte der FDP–Bundestagsabgeordnete Christian Ahrendt.
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