Artikel Montag, 03.12.2007 |  Drucken

Alles Burka, oder was? Teil II - Assoziationsketten, Klischees bis hin zur als Reportage kaschierte Propaganda. Sabine Schiffer untersucht deutsche Medien

Assoziationsketten, Klischees bis hin zur als Reportage kaschierte Propaganda über Frauensterblichkeit bei Geburten, die höher ist als vor der US- Invasion 2001 in Afghanistan

Das Magazin Cicero 10/2007 (S. 50) liefert ein anschauliches Beispiel dafür, wie moderne Kriegspropaganda mit Hilfe des lange kultivierten Islambildes funktioniert. Die Burqa-Trägerinnen dürften schon ganze Assoziationsketten in Bezug auf (zu rettende) „unterdrückte Frauen“ aktualisieren.

Der Text darunter zeugt von allen Techniken, die wir in den letzten Jahren beobachten konnten und die einen bestimmten Zweck erfüllen, wie man an diesem Beispiel gut sehen kann. Zunächst beschreibt der Text das Bild und geht von dem erwähnten Kleinkind im zweiten Satz gleich auf das Thema „Schleierlüften“ zum Zecke des Stillens über. Dann kommt die Passage „Was sagt der Koran dazu?“. Woher die Geschichte mit dem Tropfen kommt, wird nicht gesagt – sie ist eigentlich nicht Ernst zu nehmen. Aber, wer ahnt das schon? Die erwartete Kuriosität wird durch den direkten Satzanschluss und den Indikativ unterstrichen. Dann kommt eine statistische Information über die Geburtenrate in Afghanistan und die Sterblichkeitsrate der Kleinkinder. Der traurige Spitzenplatz in der hohen Sterblichkeitsrate der unter- 5-Jährigen ist nicht der einzige traurige Spitzenplatz, den dieses Land inne hat. Auch die Frauensterblichkeit bei Geburten ist hoch – höher als vor der US-Invasion 2001.

Das erwähnte Faktum der hohen Kindersterblichkeit wird hier ausschließlich im kontextuellen Anschluss an das Islam-Koranthema und die Kuriosität erwähnt. Darum werden falsche Zusammenhänge suggeriert und die richtigen ausgeblendet – etwa die schlechtere medizinische Versorgung von Frauen seit dem Kriegsbeginn, die Steigerung der Geburten missgebildeter Babys seit dem Einsatz von Uranmunition und anderen Giftstoffen. Den Verlust der sozialen Absicherung vieler Kinder durch den Verlust der Eltern durch Bomben, Krankheit und Hunger. Den Verlust der sozialen Absicherung von Frauen durch den Verlust der Männer usw.

Das Beispiel hier ist insofern typisch, als dass es Themen, die überhaupt nicht islamspezifisch sind, in diesen Kontext verschiebt und damit ablenkt von den wirklichen Zusammenhängen – und noch die Situation von Frauen ausnützt, um für einen Kriegseinsatz zu werben, der nicht nur menschen- und völkerrechtlich illegal ist, sondern gerade den Frauen und Kindern die Lebensgrundlagen entzieht unter dem Vorwand, sie gar „retten“ zu wollen.
Die Frau erfüllt hier eine doppelte Rolle: Symbol eines angstmachenden Islams und Objekt der mitleidausschlachtenden Propaganda (Stichwort: „humanitäre Intervention“). Dass sich diese beiden Rollen eigentlich gegenseitig ausschließen, kann dabei übergangen werden. Propaganda war noch nie logisch, sie spricht vor allem die Emotionen an und wirkt, weil sie sich ein subjektives Angstszenario zunutze macht und durch platte Wiederholung der immergleichen Ausschnitte – auch im 21. Jahrhundert.

Wer glaubt, dies sei ja nur eine kleine, leicht zu übersehende Bildunterschrift, dem sei die Lektüre des ganzen Heftes empfohlen: eine als Reportage kaschierte Propaganda reiht sich an die andere.





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