Newsnational Sonntag, 25.03.2007 |  Drucken

Anzeige:


Wer "Koran-Alarm" auslöst, betreibt Hetze. Von Heribert Prantl

Wie und warum aus einem juristischen Pups Hysterie wird.

Toleranz bedeutet mitnichten, dass jeder machen kann, was er will. Toleranz heißt nicht Beliebigkeit, heißt nicht, dass man für alles Verständnis haben soll. Toleranz ist nichts Schrankenloses. Sie kann nur innerhalb klarer Grenzen existieren. Diese Grenzen setzt in Deutschland das deutsche Recht, nicht ein Koran oder sonst ein heiliges Buch. Wenn diese Grenzen nicht geachtet werden, wird aus Wohltat Plage (siehe dazu auch: Punkt 13 der Islamischen Charta des ZMD im unteren link, Anm. der Redaktion).

Innerhalb dieser Grenzen gibt es natürlich Multikulturalität - und wer sagt, dass Multikulturaliät sich nicht mit Demokratie und Rechtsstaat vertrüge, der ist mindestens so töricht wie die Frankfurter Familienrichterin, die sich zur Begründung einer Rechtsansicht angeblich auf den Koran bezogen hat.

Schon die Rechtsansicht der Richterin war falsch; und der Koran hatte in ihrem Verfahren nichts zu suchen. Aber noch viel falscher ist ein Teil der Berichterstattung über den Fall: Die Richterin hat kein Urteil gefällt. Und sie hat mitnichten geduldet, dass der marokkanische Ehemann seine Frau prügelt. Sie hat auch nicht ein eheliches Züchtigungsrecht gebilligt. Das ist alles Unsinn. Das Gericht hatte den prügelnden Ehemann der scheidungswilligen Frau schon im Juni 2006 aufgrund des Gewaltschutzgesetzes aus der Ehewohnung verbannt; es untersagte dem Mann, sich der Wohnung weiter als fünfzig Meter zu nähern.

Es geht in dem "Skandalfall" darum, ob es nun der Frau zumutbar ist, mit der Scheidung noch die wenigen Monate zuzuwarten, bis das nach dem Gesetz obligatorische Trennungsjahr abläuft. Die Richterin hatte (im Rahmen des Antrags der Frau auf Prozesskostenhilfe für die Scheidung) die Ansicht vertreten, dies sei zumutbar - das allerdings mit dem törichten Hinweis darauf, dass die Eheleute aus einem anderen Kulturkreis stammten und es im Koran nun einmal ein Züchtigungsrecht gebe. Das war eine unwürdige, eine obszöne Begründung, mit der die Richterin wohl davon ablenken wollte, dass sie zu bequem war, rasch ein Scheidungsurteil zu fällen, das sich ein paar Monate später quasi von selbst schreibt. Sie ist deshalb zu Recht als befangen abgelehnt worden. Das heißt: Jetzt bearbeitet ein anderer Richter den Fall. Das heißt: Der justizinterne Korrektur-Mechanismus funktioniert. Für Hysterie gibt es keinen Anlass. Wer nun einen "Koran-Alarm" auslöst und behauptet, die Justiz sei islamhörig, der betreibt Hetze.

Natürlich gibt es falsche Urteile, auch bei der Bestrafung muslimischer Täter. Wenn ein sogenannter Ehrenmord zu milde bestraft worden sein sollte, muss das in nächster Instanz genauso korrigiert werden, wie zu milde Urteile gegen deutsche Rechtsradikale. Falsche, manchmal unsäglich falsche Urteile sind der Preis der Unabhängigkeit - ein Preis, der aber bezahlt werden muss, wenn man nicht will, dass abhängige Richter nach Gutdünken der Politik oder des Boulevards diszipliniert oder abgesetzt werden. An der Rechtsprechung kann man in so manchem Einzelfall verzweifeln. Ohne Unabhängigkeit müsste man es immer.
Erstveröffentlichung in der SZ vom 23.03.07.

(Mit freundlicher Genehmigung des Autors Dr. Heribert Prantl, Innenressortchef der Süddeutschen Zeitung)




Lesen Sie dazu auch:
Islamische Charta von 2004 des ZMD: "Das Gebot des islamischen Rechts, die jeweilige lokale Rechtsordnung anzuerkennen, schließt die Anerkennung des deutschen Ehe-, Erb- und Prozessrechts ein."
IZ-Interview mit Frankfurter Anwalt: "Und es gibt wirklich Richter, die auf so etwas hereinfallen"

Wollen Sie einen
Kommentar oder Artikel dazu schreiben?
Unterstützen
Sie islam.de
Diesen Artikel bookmarken:

Twitter Facebook MySpace deli.cio.us Digg Folkd Google Bookmarks
Linkarena Mister Wong Newsvine reddit StumbleUpon Windows Live Yahoo! Bookmarks Yigg
Diesen Artikel weiterempfehlen:

Anzeige

Hintergrund/Debatte

𝐌𝐞𝐢𝐧 𝐀𝐮𝐬𝐭𝐫𝐢𝐭𝐭 𝐚𝐮𝐬 𝐝𝐞𝐫 𝐂𝐃𝐔: 𝐄𝐢𝐧𝐞 𝐄𝐧𝐭𝐬𝐜𝐡𝐞𝐢𝐝𝐮𝐧𝐠 𝐝𝐞𝐬 𝐆𝐞𝐰𝐢𝐬𝐬𝐞𝐧𝐬 - Aladdin Beiersdorf-El Schallah, Stv. Vorsitzender ZMD-NRW, Stadtverordneter Sankt Augustin und ehemlaige dortige Fraktionsvorsitzender erklärt detailliert seine Beweggründe
...mehr

Extreme bis extremistische Einstellungen in Deutschland auf dem Vormarsch mit Spiegelung in der Politik und Medien
...mehr

Langes KNA-Interview: Der neue Vorsitzende des Zentralrats der Muslime über sein Amt
...mehr

Bochum ehrt Ahmed Aweimer zum 70. Geburtstag
...mehr

Aiman Mazyek kommentiert das Verbot der Imam Ali Moschee: "Blaue Moschee - Islamisches Zentrum in Hamburg
...mehr

Alle Debattenbeiträge...

Die Pilgerfahrt

Die Pilgerfahrt (Hadj) -  exklusive Zusammenstellung Dr. Nadeem Elyas

88 Seiten mit Bildern, Hadithen, Quran Zitaten und Erläuterungen

Termine

Islamische Feiertage
Islamische Feiertage 2019 - 2027

Tv-Tipps
aktuelle Tipps zum TV-Programm

Gebetszeiten
Die Gebetszeiten zu Ihrer Stadt im Jahresplan

Der Koran – 1400 Jahre, aktuell und mitten im Leben

Marwa El-Sherbini: 1977 bis 2009