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Donnerstag, 14.12.2006 | Drucken |
Der Feind meines Feindes ist mein Freund? Zu den extremistischen Internetseiten und wie sich die Muslime davor schützen können – Von Irmgard Pinn und Aiman Mazyek
Im Internet finden sich zahlreiche Websites, Foren und Mailinglisten zur Verbreitung von Informationen über die Situation im Irak, in Palästina und anderen muslimischen Ländern, die in den offiziellen Medien und in der Politik zu kurz kommen oder gänzlich verschwiegen werden. Außerdem dienen sie der Vernetzung von Gegnern der amerikanischen Hegemonialansprüche im Nahen Osten sowie der israelischen Besatzungspolitik.
Viele Betreiber bemühen sich, diese Aufgaben – trotz eigener Parteilichkeit – ehrlich, gerecht und mit dem Ziel eines friedlichen Zusammenlebens zu erfüllen.
Andere dagegen, insbesondere extremistische Gruppen unterschiedlichster Richtungen (wie z.B. das "Iraq News Network"), nutzen das Internet, um unter dem Etikett "Solidarität mit den Entrechteten und Unterdrückten" rassistisches, nationalsozialistisches, antisemitisches oder den Islam als Hass- und Gewaltideologie missbrauchendes Gedankengut zu verbreiten.
Radikale Internet-Allianzen
Schnell werden Rufe – beispielsweise von Sicherheitsbehörden – laut, die radikalen Internetseiten zu blockieren. Auf den ersten Blick scheint dies auch zum Teil sinnvol zu sein.
Doch jede Zensur birgt auch das Risiko doppelter Standards und damit die Gefahr, dass diese apologetisch ausgelegt werden können. Und letztlich würde dadurch das Symptom lediglich unterdrückt, keineswegs damit aber das Grundübel beseitigt.
Dabei ist es keineswegs leicht, sich in diesen Websites, Foren und Mailinglisten zurechtzufinden. So liefern sie zwar einerseits durchaus von den Mainstream-Medien unbeachtete oder unterdrückte Informationen, doch ziehen die Absender daraus, aufgrund ihres eigenen weltanschaulich-politischen Hintergrunds, oft irreführende, teils sogar radikale Schlussfolgerungen.
So finden sich beispielsweise auf der arabischen Website namens "Al-Moharer" interessante Insider-Berichte und Kommentare zur aktuellen Situation im Irak, insbesondere auch Einblicke in interne Allianzen und Feindseligkeiten.
Um Informationen und Bewertungen adäquat einschätzen zu können, ist es jedoch wichtig zu wissen, dass es sich bei den Betreibern um Baathisten handelt, die für die Rückkehr Saddam Husseins an die Macht kämpfen.
Auf der "Al-Moharer"-Homepage selbst lässt sich diese Bindung leicht erkennen, nicht aber aus jenen Artikeln und Kommentaren, die aus dieser Quelle über "befreundete" Websites und Mailinglisten weiter verbreitetet werden.
Kleinster gemeinsamer Nenner
Vielmehr ist es geradezu charakteristisch, dass der ideologisch-politische Hintergrund von Beiträgen im Dunklen bleibt und dass hier Personen und Organisationen zusammentreffen, die normalerweise nichts miteinander zu tun haben (wollen) bzw. sich sogar gegenseitig anfeinden:
aufrichtige Friedensaktivisten und Anti-Imperialisten, Kommunisten, Saddam-Hussein-Anhänger, Neonazis usw., wobei manche der unter Pseudonym agierenden Autoren bzw. Diskussionsteilnehmer den Gedanken an Infiltration und Provokation nahe legen.
Ein in der Tat explosives Gemisch. Das in Washington ansässige Institut "Search for International Terrorist Entities" meint gar, zwischenzeitlich echte Fibeln des Terrortrainings und praktische Handbücher bei der Erforschung einschlägiger extremistischer Websites entdeckt zu haben.
Das World-Wide-Web wird in vielen islamischen Ländern noch immer mit Argusaugen beobachtet - aus Angst vor staats- oder moralfeindlichen Websites. Andererseits bietet es Intellektuellen neue Möglichkeiten des Austauschs mit der Außenwelt.
Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schätzen Fachleute die Zahl der extremistischen Seiten im Netz, auf die zugegriffen werden kann, auf derzeit 4500.
Letztlich geht es diesen Gruppen kaum um Gerechtigkeit und Frieden im Nahen Osten, sondern darum, Sympathisanten oder Mitstreiter für ihren eigenen weltanschaulichen und politischen Kampf anzuwerben.
Einigendes Band ist ein mehr oder weniger aggressiver Antisemitismus, der von den beteiligten Alt- und Neonazis – insbesondere von in den USA ansässigen Holocaust-Leugnern und Revisionisten – gerne mit "Beweismaterial" aus der NS-Ideologie bedient und weiter angefacht wird.
Exemplarisch zeigt sich das auf einer dem "Proletariat" gewidmeten Mailingliste. Hier treffen sich der militante irakische Widerstand und namhafte Antisemiten, z.B. mit einem Solidaritätsaufruf für den nach Deutschland ausgelieferten Holocaust-Leugner Ernst Zündel.
Der in den USA lebende Nationalbolschewist Constantin von Hoffmeister beklagt Hitlers Verrat am Sozialismus bzw. an Stalin, und der bekannte "Gaskammer-Experte" Robert Faurisson beschwert sich über einen "universalen Bann" der UNO über den Revisionismus – mit einem Quellen-Link zu dem besonders an eine Vernetzung in muslimischen Ländern interessierten rechtsextremistischen "Adelaide-Instititut" in Australien.
Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch der eifrig auf der "Proletariat"-Liste postende Kim Il Sung- und Saddam Hussein-Verehrer John Paul Cupp vom "North American Committee against Zionism and Imperialism".
Hintermänner radikaler Botschaften
Revisionisten und Baathisten versuchen über das Internet, sich mittels einer islamisierten Rhetorik als Vorkämpfer für Interessen und Rechte von Muslimen zu profilieren.
Im Gegenzug melden sich auf den Websites und Mailinglisten extremistische Muslime zu Wort, die den gemeinsamen Kampf gegen die USA und Israel als islamischen Dschihad propagieren und Saddam Hussein zum Helden in diesem "heiligen Krieg" glorifizieren.
Auf der "Proletariat"-Liste geschieht dies insbesondere durch eine als "Scheikha" Aisha Muhammad firmierende Person. In den von ihr verbreiteten Aufrufen des "bewaffneten Kampfes" wird Saddam Hussein zum großen islamischen Kämpfer (Mudschahedin) und "Vater der Märtyrer" verklärt.
Über die Identität dieser mit großem "islamischen" Pathos auftretenden, ansonsten aber offenbar unbekannten Person, wird im Internet spekuliert, dass es sich um die Ehefrau des in den USA lebenden Wissenschaftlers Kaukab Siddique handelt, was auf Verbindungslinien zur pakistanischen "Jamaat al-Muslimin" verweisen würde.
Ob und in welchem Ausmaß Muslime und Musliminnen durch diese Kreise angesprochen werden, lässt sich schwer einschätzen. Immerhin gibt es eine gewisse Resonanz, wobei sich manche vermutlich aus voller Überzeugung identifizieren, während es anderen offensichtlich an islamischem Wissen und politischem Durchblick mangelt.
Aufwiegelung von Muslimen gegen Muslime
Wiederum andere kümmern sich nach dem Motto "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" nicht um die ideologische Basis und die wahren Ziele ihrer "Bundesgenossen", solange ein gemeinsamer Kampf erfolgversprechend erscheint. Schließlich werden diese Netzwerke von militanten muslimischen Extremisten dazu benutzt, Muslime gegeneinander aufzuhetzen.
Dabei werden alle, die sich der Autorität ihrer Islam-Auslegung nicht beugen, als "Ungläubige" oder mit den "Ungläubigen" paktierende Verräter diffamiert. So wird der Iran auf der erwähnten "Proletariat"-Liste als Komplize der Zionsten diffamiert, und ein durch Aisha Muhammad auf dieser Liste verbreiteter Artikel setzt kurzerhand Bush und die US-Regierung sowohl mit christlichen Zionisten als auch mit Schiiten gleich.
Auch in Deutschland gibt es einige Hinweise auf Beziehungen zu nationalistisch-arabischen Gruppierungen, erkennbar z.B. aus Unterstützer-Listen für verschiedene Veranstaltungen des irakischen Widerstands.
Davon unabhängig zirkulieren allerdings in letzter Zeit in deutscher Sprache verfasste anonyme Mails durch das Internet, die ein ähnliches radikales und hetzerisches Gedankengut verbreiten. Und es ist durchaus davon auszugehen, dass dieses im Falle einer weiteren Klimaverschlechterung im Zusammenleben der Muslime mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft breitere Resonanz finden könnte. Wachsamkeit und Aufklärung sind daher geboten.
Die Muslime sollten deshalb also als Teil der Lösung des Problems betrachtet werden. Die beschriebenen Gefahren müssten nicht weiter dämonisiert, sondern gemeinsam mit ihnen inhaltlich demontiert werden.
Dazu bedarf es einer Gegenvernetzung von Muslimen und Personen, Gruppen und Institutionen, die sich kompetent und nicht durch anti-islamische Vorurteile belastet gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagieren.
(Diese veränderte und aktualisierte Fassung ist entnommen mit freundlicher Unterstützung aus der neusten Ausgabe von qantara.de. Ursprüngliche Fassung veröffentlicht am 07.06.06 auf islam.de)
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